Kein deutscher Platz an der Sonne

Seite 2: Der Verlust des deutschen Weltherrenanspruchs

So lautet die ganz gewöhnliche staatsmännische Folgerung aus einer erlittenen Niederlage des großen Ganzen. Die wirkliche "Urkatastrophe" für Hitler und die Seinen ist denn auch, dass das große deutsche Ganze nicht als Sieger, sondern als Verlierer das Schlachtfeld, das der Griff nach der Weltmacht erfolgreich verwirklichen sollte, verlassen musste. Mit der unschönen Konsequenz: Deutschlands Anspruch, seine Interessen und Rechte "ohne Schwäche" (von Bülow) auf der höchsten Ebene geo- und weltpolitischer Staatenkonkurrenz geltend zu machen, ein gewichtiges Mitspracherecht in der Ausübung des globalen Hausherren- und Benutzungsrecht über fremde Souveräne, staatliche Gebilde, Kontinente samt Völkerschaften, ist vorerst dahin.

Statt eines wohlverdienten deutschen "Platz an der Sonne" im erlauchten Kreis der herrschenden Weltmächte, hat "das gigantische Völkerringen 1914-1918" im Ergebnis Deutschland zurückgestuft in ein Gebilde minderer Macht und Möglichkeiten. Diese, staatsmännisch gesehen, absolut unbefriedigende weltpolitische Lage verdient und rechtfertigt unbedingte politische Kritik: Kritik von Standpunkt eines großen Ganzen aus, das sich zu Höherem als nur zu einer nach- oder zweitrangigen Macht berufen fühlt.

Gemessen am Anspruch einer gewichtigen Teilhabe am globalen Hausherren- und Benutzungsrecht über den Rest der Welt erscheint der gegenwärtige Status der Nation als Abhängigkeit und Unfreiheit, weil andere Souveräne, nicht die eigene Souveränität, das Gesetz des geo- und weltpolitischen Handelns in der Hand haben. Mehr noch: Höchst- und Endziel des zweiten Griffs zur Weltmacht sollte sein, dass das große deutsche Ganze die führende Weltmacht überhaupt werde: Eine Weltmacht, die nicht mehr innerhalb der Konkurrenz von Weltmächten steht, sondern über diese gebietet, soll der zukünftige Platz an der Sonne überhaupt Bestand haben.

So gesehen gilt das ernüchternde Urteil, das zugleich ein Aufruf ist: "Deutschland ist keine Weltmacht mehr, gleichgültig, ob es militärisch stark oder schwach dasteht." Dieser minderwertige Status einer nachgeordneten Macht gebietet Befreiung, nicht einen Tag der Befreiung, sondern die Tat der Befreiung, die Erlösung (Theodor Heuss) des großen Ganzen von einem Zustand, der nicht hinnehmbar ist.

Als diese politische Alternative, die die Erlösung vom Zustand der Niederlage, die Erlösung vom Zustand einer geo- und weltpolitisch nachgeordneten Macht, wie die Erlösung vom Zustand einer jede nationale Ehre verletzenden Anschuldigung verspricht, hat sich der damals, eine Zeit lang auch international anerkannte und legitime (Reichs-) Kanzler Hitler auf den Weg gemacht und Anhänger um Anhänger für sich und seine Bewegung gewonnen. Das aller Welt verkündete und erklärte weltpolitische Ziel war, "... die Voraussetzung zum äußeren Freiheitskampf zu schaffen." Ganz Staatsmann, betrachtet er die Niederlage im "Völkerringen 1914-1918" als eine Urkatastrophe, als das absolut Böse, das über das eigene große Ganze hereingebrochen ist.

Vom Kolonialismus zur "Bodenpolitik der Zukunft"

Andererseits als ein Geschenk, als eine Aufgabe und Herausforderung, als eine Lehre der Vergangenheit, als einen Erweckungsruf, einen Schlussstrich zu ziehen und das große Ganze durch die Tat der Befreiung zu erlösen. Dieses Programm entlang der alten staatsmännischen Weisheit: "Jede Niederlage kann zum Vater eines späteren Sieges werden".

Die Tat der Befreiung verlangt zum einen Klarheit darüber zu gewinnen, wer die Urheber des absolut Bösen sind, die den deutschen Griff zur Weltmacht so schuldhaft wie kläglich haben scheitern lassen. Zum einen, so die staatsmännische und staatsmoralische Kritik, war der wilhelminisch-kaiserliche Griff zur Weltmacht wegen seiner kolonialpolitischen Zielsetzung ohnehin ein geo- und weltpolitischer Fehler. Stattdessen ist mittels einer "Bodenpolitik der Zukunft" (Hitler, Mein Kampf 1936: 742) das große deutsche Ganze zur auch autarkiefähigen, tonangebenden Macht in Europa zu machen.

Mit dieser neuen geopolitischen Grundlage kann die Weltmarkt- und Weltmachtkonkurrenz auf höchster Ebene der Staatenhierarchie nochmals in Angriff genommen werden, so die neue, außen- und weltpolitische Devise. Wesentlich aber fanden Hitler und die Seinen ihrem Urteil nach innen, neben den Menschen jüdischer Herkunft und jüdischen Glaubens, noch allerlei andere fragwürdigste "Elemente", die der Vernichtung zuzuführen waren, weil sie in ihrem undeutschen, patriotismusfeindlichen, also bösartigen Willen und von ihrer charakterlichen "Natur" her alles zur Niederlage im deutschen Griff nach der Weltmacht beitrugen und überhaupt darauf sinnen, dem großen deutschen Ganzen jeden erdenklichen Schaden zuzufügen.

Körperlich und geistig als hinderlich und untauglich für den deutschen Griff zur Weltmacht Erachtete, waren gleichfalls zu eliminieren. Und darüber hinaus ragte im Osten, ein mächtiges, ein gewaltiges, ein bis in den unendlichen Weiten der Taiga hausendes Reich des Bösen empor, das auch seine Fäden zieht und, solange es existiert, auf ewig eine Bedrohung darstellen und jeglichem deutschen Griff nach der Weltmacht im Wege stehen wird.

Hand in Hand mit dieser staatsmännisch-moralischen Diagnose des Bösen gebot die Tat der Befreiung, die Bevölkerung für die Tat der Befreiung zu gewinnen; was den ab 1933 regierenden politischen Entscheidungsträgern wie ihren Vorgängern vor 1914 denn auch recht zufriedenstellend gelang. Eine Bevölkerung, die auch nach der Schlächterei von 1914 bis 1918, mehrheitlich davon überzeugt war, dass Krieg sein soll, wenn die Regierungsverantwortlichen meinen, Krieg müsse eben sein, erteilte den Regierenden wiederum alle erdenkliche Freiheit, ihrer staatsmännischen Pflicht nach zu handeln und dem Anspruch, "ohne Schwäche unsere Rechte und unsere Interessen zu wahren" (von Bülow), allerhöchste Geltung zu verschaffen.

So konnte zum zweiten Mal der Griff nach der Weltmacht, der dem deutschen großen Ganzen den ihm gebührenden Platz an der Sonne zubilligen sollte, in Angriff genommen werden - und zwar auf diese Weise:

Deutschland wird entweder Weltmacht oder überhaupt nicht sein. Zur Weltmacht aber braucht es jene Größe, die ihm in der heutigen Zeit die notwendige Bedeutung und seinen Bürgern das Leben gibt.

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