Keine Angst vor der Telekommunikations-Überwachungsverordnung

Differenzierte Argumente und nicht Kritik mit dem Holzhammer sind nun nötig, denn für eine komplette Abwendung ist es zu spät und hat Rot-Grün keine Kraft

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Jetzt ist die neue Telekommunikationsüberwachungs-Verordnung (TKÜV) in der politischen Diskussion angekommen. Das Problem für die radikalen Gegner dieses Relikts aus Kanther'schen Zeiten ist, dass die Kritik an der TKÜV zu kurz greift. Diese beschreibt ja nur, wie das Telekommunikationsgesetz (TKG) umgesetzt werden soll. Wollte man die TKÜV loswerden, müsste man das TKG ändern, doch dafür fehlt Rot-Grün die Kraft. Um aus diesem Überwachungskompromiss nun das Beste zu machen, bzw. das Schlimmste zu verhindern, sind differenzierte Argumente nötig, meint .

Telekommunikationsüberwachungs-Verordnung

Grietje Bettin, medienpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen meint jedenfalls brav, dass der Entwurf "nicht zustimmungsfähig" sei. Dass Internetprovider Überwachungstechnik installieren sollen und die aufgezeichnete Kommunikation dann an die Behörden aushändigen sollen, sei eine "Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts". Außerdem sei es "vollkommen unverhältnismäßig", dass die Daten ein halbes Jahr lang gespeichert werden sollen. Die Änderung des Telekommunikationsgesetzes fordert sie allerdings nicht.

Für Jörg Tauss, forschungspolitischer Sprecher der SPD, stellt sich der Entwurf etwas anders dar. Tauss kennt die Diskussion um den alten Entwurf von 1998 anders als Bettin noch aus eigenem Erleben. Damals lief er gemeinsam mit Presse und Wirtschaft erfolgreich Sturm gegen die Vorlage. Heute bezeichnet er den Entwurf als "gute Diskussionsgrundlage" und als "riesigen Fortschritt". Ihm geht es wie Bettin eigentlich nur noch um die Abklärung einzelner Probleme.

Abschied von Kanther'schen Überwachungsvisionen

In der Tat hat sich seit 1998 eine Menge geändert: Anders als vor drei Jahren ist der Entwurf nicht geheim. Er liegt auf dem Server des Bundeswirtschaftsministeriums und soll offen diskutiert werden. Auch sind längst nicht mehr so viele von der Verordnung betroffen: Damals wären laut Regulierungsbehörde 400.000 Betreiber verpflichtet gewesen, Überwachungsschnittstellen für den Staat auf eigene Kosten bereit zu halten. Dies war schlicht unverhältnismäßig:

Nicht nur Internetprovider, sondern auch Betreiber von Mailboxen und Nebenstellenanlagen in Krankenhäusern, Gasthäusern oder Wohngemeinschaften hätten sich zu Hilfslauschern machen müssen. Selbstredend waren auch Firmen mit eigenen Netzwerken betroffen. Die Schnittstellen dort hätten zudem Wirtschaftsspionen den Zugang zum Intranet enorm erleichtert. Die Vision vom allmächtigen Überwachungsstaat drohte unter der Regie von Manfred Kanther Wirklichkeit zu werden - doch selbst der CDU-Wirtschaftsrat zuckte vor dieser Konsequenz damals zurück.

Gefährliches Spiel mit Totschlagargumenten

Es ist verständlich, wenn das Reizthema TKÜV beim ersten Bekanntwerden zu prägnanten Schlagzeilen und griffigen Formulierungen verleitet. Allerdings, wie der SPD-Politiker Jörg Tauss in einem Forums-Posting zu Stefan Krempls Artikel hervorhebt, ist den Anliegen von Reformern wie ihm - Tauss ist einer der wenigen Abgeordneten, der die Anliegen der Internetnutzer versteht - damit kein guter Dienst getan.

Nach der Logik der Aufmerksamkeitsökonomie provozieren Totschlagargumente sogar das Gegenteil von dem, was sie bewirken sollen. Das Bundeswirtschaftsministerium kann mit einem einfachen Verweis auf den Entwurfstext, den kaum jemand wirklich bisher im Detail überprüft hat, diese Art von Kritik schnell entkräften. Die mühsame Arbeit an den Details wird dadurch nicht gefördert - im Gegenteil.

Wer jedoch die Überwachung grundsätzlich in Frage stellen will, greift mit der Kritik an der TKÜV zu kurz. Prinzipiell schreibt der neue Entwurf nämlich genau das fort, was schon längst Praxis ist: Die Internetprovider müssen bereits seit der Fernmeldeüberwachungsverordnung (FÜV) von 1995 mit den Behörden zusammenarbeiten. Und die Kostenfrage wurde bereits im Telekommunikationsgesetz festgeschrieben.

Kein Carnivore

Ein Überwachungssystem wie Carnivore beziehungsweise DCS1000 ist auf TKÜV-Grundlage in Deutschland nicht möglich. Die Überwachung beruht auf Anordnung (§5) und bezieht sich immer auf den Einzelfall. Dies gilt auch für den Zugriff seitens des Verfassungsschutzes. Der Bundesnachrichtendienst hingegen ist gesetzlich überhaupt nicht zum Zugriff befugt.

Ein unkontrolliertes Abgreifen von Verkehrsdaten und Telekommunikationsinhalten und massenhaftes Verarbeiten ist damit nicht möglich. Entsprechend ist auch der Einsatz von Tools wie Harleqin, die das Aufspüren von Freundschaftsnetzwerken ermöglichen, nur eingeschränkt möglich.

Die Kostenfalle im Gesetz

Die TKÜV verpflichtet heute ausschließlich Telekommunikationsanbieter für die Öffentlichkeit zum Einbau von Überwachungsschnittstellen. Dazu zählen eben auch Internetprovider, wenn sie mehr als 2000 Kunden haben. Kleine Provider fallen deshalb nicht darunter (§ 22). Sie müssen wie auch die Firmen oder Hotels nur im Einzelfall die Lauscher unterstützen.

Würde man die Internetprovider komplett aus der Pflicht entlassen, eigene Überwachungsschnittstellen zu unterhalten, würde man deshalb die Telekommunikationsbetreiber diskriminieren, die dieser Pflicht schon seit 1996 nachkommen. Der Mobilfunkbetreiber Mannesmann versuchte bereits vergeblich, sich von den staatlich aufgebürdeten Überwachungskosten zu befreien - vor Gericht zog er den Kürzeren.

Das Telekommunikationsgesetz (§88) von 1996 ist eindeutig: Die Schnittstellen müssen auf eigene Kosten bereit gestellt werden. Der Protest der Provider setzt jedoch vor allem an den Kosten an. Gegenüber der Financial Times Deutschland zeigte sich Michael Rotert, Vorsitzender des Internetlobbyverbandes Eco, "schockiert". Die Kosten pro Überwachungsgerät schätzte Rotert auf 140.000 bis 150.000 Mark. Schon 1998 hatte ein Vertreter der Wirtschaft, Helmut Wörner, kritisiert, dass durch die Auflagen der Telekommunikationsüberwachungsverordnung (TKÜV) eine Art Überwachungssteuer eingeführt werde.

Die Provider entkommen der Kostenfalle jedoch nur dann, wenn sie nicht gegen die Verordnung, sondern gegen das Gesetz selbst vorgehen. Die Kritik an der Verordnung greift zu kurz. Eine Novellierung des Telekommunikationsgesetzes wäre hier die einzige Lösung. Genau zu dieser Einsicht kommt jetzt auch Hans-Joachim Otto, medienpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion: "Man hätte schon bei der Verabschiedung des Gesetzes aufschreien sollen", sagte er jetzt Telepolis. Damals waren allerdings die Bündnisgrünen mit ihrer Kritik am Abhörparagraphen 88 allein gestanden. FDP und CDU/CSU wollten wegen dem Paragraphen das Paket nicht mehr aufschnüren - in der Hoffnung, es werde "schon nicht so schlimm kommen".

Nun, in der Opposition, wehrt sich Otto mit dem klassischen FDP-Argument dagegen, dass "staatliche Lasten auf Private umgewälzt werden". Die deutsche Wirtschaft sei schon jetzt im weltweiten Vergleich am stärksten mit Statistikpflichten belastet. Käme bei den Providern nun noch die "erheblichen finanziellen Lasten" hinzu - sei dies zuviel. Will er jedoch erfolgreich das Gesetz kippen, müsste er neben den wohl willigen Grünen auch die SPD auf seine Seite ziehen. Doch Tauss, der in Oppositionszeiten noch den Abhörparagraphen kippen wollte, setzt nun eher auf Konsens.

Europäische Harmonisierung

Offensichtlich nur der juristischen Logik eines Beamten kann daher das Argument entspringen, die TKÜV habe "kostendämpfende" Wirkung - so steht es jedenfalls in der Begründung des Entwurfs. In der Tat sorgt sie für einen Standardisierungdruck und somit für eine geringe Kostensenkung für die Überwachungsschnittstellen. Doch sie ist es, die diese den Providern eigentlich erst aufzwingt.

Wird, wie es jetzt in Europa allerorten geschieht, die Überwachungsschnittstelle allen Providern aufgezwungen, kommt es in der Tat auch zu keiner europäischen Marktverzerrung - alle stöhnen unter denselben, harmonisierten Lasten.

Immerhin, daran sei an dieser Stelle erinnert, geht der Abhörparagraph im Telekommunikationsgesetz letztlich auf einen EU-Ratsbeschluß von 1995 zurück, der die Überwachbarkeit schon damals forderte. Die technischen Spezifikationen im Anhang der Richtlinie, die unrühmlichen International User Requirements, gehen auf Beratungen der EU-FBI Arbeitsgruppe zur Telekommunikationsgruppe ILETS zurück und bilden die Rechtsgrundlage, auf die sich Beamte schon immer berufne haben. Der Beschluss wurde damals erst nach der Verabschiedung des Gesetzes im Europäischen Amtsblatt veröffentlicht. Den Abgeordneten im Bundestag war die europäische Dimension damals unbekannt.

Kontrolle der Überwachungsmaßnahmen

Grundsätzliches gibt es an der Verordnung selbst heute nicht mehr zu kritisieren - will man sich mit dem Gesetz zufrieden geben. Es bleiben dennoch eine Menge Fragen, die in Anhörungen diskutiert werden müssen. Zentral ist die Frage der Evaluierung. Bislang gibt es bei Überwachungsmaßnahmen keine. Denn "bislang haben es Gesetzesgeber und Regierung unterlassen, die erforderliche Datenbasis zur Evaluierung zu beschaffen", kritisiert der Frankfurter Jurist Johann Bizer.

Die eigentlich zuständigen Länder haben sich bis heute geweigert, Zahlen zur Auswertung herauszurücken - und verwiesen auf die Studie, die derzeit am Max-Planck-Institut in Freiburg/Br. im Auftrag des Bundesjustizministeriums erarbeitet wird. Sie soll im Frühjahr dieses Jahres vorgestellt werden.

Tauss will deshalb jetzt Statistiken, "umfangreiche Protokollierungsergebnisse - natürlich in anonymisierter oder pseudonymisierter Form". Nur so könne der tatsächliche Umfang, die Effizienz und damit die Verhältnismäßigkeit der Grundrechtseingriffe überhaupt festgestellt werden. Tauss bereitet deshalb nun eine Anhörung zur TKÜV im Unterausschuss Neue Medien vor. Sein Ziel ist die Überwachung "in Einzelfällen". Eine schrankenlose, unkontrollierte Überwachung will er verhindern.

Mehrfachüberwachung

Zu den Detailfragen, die noch zu lösen sind, gehört beispielsweise auch das Problem der Mehrfachüberwachung: "Im Internetverkehr wird die Kommunikation beim Kunden meist auf derselben Leitung abgewickelt, wie das Telefonieren oder Faxen", weiß FifF-Experte Ingo Ruhmann. Wird der Anschluss eines Verdächtigen abgehört, wird deswegen der Internetverkehr gleichzeitig vom Telekommunikationsanbieter und vom Internetprovider überwacht.

Eine Differenzierung zwischen der Überwachung bei Netzanbietern und bei Diensteanbietern könnte das Problem schnell beheben. Doch dies ist offensichtlich nicht trivial: Als das Telekommunikationsgesetz verabschiedet wurde, dachte noch keiner ernsthaft an die Internetüberwachung. Die auf die Sprachdienste abgestimmten Formulierungen greifen deshalb beim Internet manchmal daneben.

Verpasste Gelegenheit

Richtig glücklich wird mit der TKÜV wohl nie jemand werden können. Die Streichung des Abhörparagraphen wäre für Rot-Grün wohl die beste Lösung gewesen. Nun bleibt das Herumbasteln an konsensfähigen Zwischenlösungen in einer Verordnung, die eine konsverativere Regierung per Handstreich wieder verschärfen kann.

Telekommunikationsüberwachungs-Verordnung

Begründung

Technische Richtlinie