Keine Arbeit oder mehr Arbeit - auf jeden Fall weniger Sex
Auch in Großbritannien ist die Lust auf körperliche Liebe zu zweit zurückgegangen. Erklärt wird dies mit der Wirtschaftskrise, was wohl etwas zu einfach ist
Nach Japan und Südkorea ("Zölibatssyndrom" in Japan) meldet nun auch Großbritannien, dass die Lust am Sex unter der Bevölkerung abgenommen hat. Obwohl die Sache doch so gesund ist, wie "Principal Investigator" Professor Dame Anne Johnson von der Londoner UCl preist - "Positive sexuelle Erfahrungen sind eng mit Gesundheit und Wohlergehen verknüpft das ganze Leben lang" -, lässt dies, ihren Ermittlungen nach zu urteilen, immer mehr Briten kalt. Eine Rückkehr zum alten Spruch "No sex please we're British"?
Die Studie, die Anne Johnson geleitet hat, ist groß, landesweit - und deshalb erwähnenswert: Es handelt sich um die National Survey of Sexual Attitudes and Lifestyles (Natsal). Es ist die dritte ihrer Art, die Idee zur ersten entstand Ende der 1980er Jahre, als die HIV-Erkrankungen eine Geisel waren. Margaret Thatcher lehnte damals als Premierministerin die Finanzierung aus öffentlichen Mitteln ab, andere sprangen ein, seither gibt es keine ersichtlichen Probleme mehr mit Sponsoren: Dass sexuellen Aktivitäten gesundheitliche Relevanz haben, muss nicht mehr über den Horror einer Krankheit erklärt werden. Sex wird nun eher von der therapeutischen Seite her gesehen.
So wird mit leichter Besorgnis das Ergebnis zur Kenntnis genommen, wonach die Briten im Alter zwischen 16 und 44 Jahren im Vergleich zur Befragung im Jahr 2000 nun um "20 Prozent weniger häufig Sex haben" - im Durchschnitt nur 5 mal im Monat. In der nationalen Befragung von 2000 gaben die Männer noch durchschnittlich 6,2 Mal an und die Frauen 6,3.
Das ist auf den ersten Blick kein allzu großer Unterschied, da sich aber noch fand, dass 14,9 Prozent der Männer und 34,2 Prozent der in der neuen Natsal Befragten nur wenig Interesse am Sex haben, ist dies ein Phänomen, das die Wissenschaftler zu klären suchten. Eine irgendwie britischen Moral aus der viktorianischen Zeit, wie dies der oben genannte Spruch andeute, kam dafür selbstverständlich nicht in Frage.
Da die Befragung der insgesamt 15.000 Teilnehmer im Alter zwischen 16 und 74 während einer Zeit erfolgte (September 2010 bis August 2012), als Großbritannien von einer Wirtschaftskrise geplagt wurde, versucht man sich die sexuelle Müdigkeit aus dem allseits bereitliegenden ökonomischen Erklärungsfundus verständlich zu machen: Die einen, die keine Arbeit hatten, haben auch kein Selbstvertrauen und oft Depressionen, wird Professor Kay Wellings, Mitarbeiterin der Studie, zitiert.
There's a strong relationship between unemployment and low sexual function, according to the literature.
Die Anderen, die einen Job hatten, legten sich während der Rezession noch mehr ins Zeug, um ihn zu behalten, arbeiteten härter und hatten dann auch wenig Lust, deutet Wellings an. Dazu komme, dass iPads und Computer öfter den Weg ins private Schlafzimmer fänden. Auch der demografische Wandel wird als Grund angeführt, weil es dadurch weniger Paare gebe, die zusammenlebten, die Untersuchung stellt allerdings fest, dass die Häufigkeit von Sex auch unter Paaren abnimmt, die zusammenwohnen.
Auch das sinkende Interesse an casual sex in Japan wird bei der Erklärungssuche erwähnt, allerdings nur im Zusammenhang mit Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl durch schlechte wirtschaftlichen Bedingungen. Dass möglicherweise der Aufwand für Sex zu zweit manchem als zu groß erscheint, womit das japanische Zölibatssyndrom erklärt wird, bleibt bei den britischen Forschern unberücksichtigt.
Der Gedanke, dass Sex mit einem Partner, mittlerweile von zuvielen komplizierten Regeln und einem zu großen Anspruch begleitet ist, weswegen viele Masturbation vorziehen, wird von Sexualwissenschaftlern ebenfalls als Erklärung genannt (im Dezember erscheint dazu bei Telepolis ein Interview) - es muss also nicht immer die Wirtschaftslage sein …. Im Übrigen stellte die britische Untersuchung fest, dass ältere Männer und Frauen häufiger Sex haben als früher.