Keine "Biodeutschen" und keine "Rassen" weit und breit
Seite 2: "Biodeutsche" nirgendwo: Die Europäer, ein buntes Gemisch von Wanderungsbewegungen aus Afrika, dem Nahen Osten und der russischen Steppe
- Keine "Biodeutschen" und keine "Rassen" weit und breit
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- Nationalismus und fiktive Gemeinsamkeiten
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Eine spezielle Form des modernen Rassismus betrifft die Vorstellung, Staatsvölkern als solchen lasse sich ein "biologisches" Wesen, eine biologische Herkunft und Eigenart zurechnen, weshalb sie vor "Bevölkerungsaustausch" geschützt werden müssten. Zwar mag heutzutage keiner mehr offen von der "Reinheit des Blutes" und der "Reinhaltung der arischen Art" sprechen wie einst die Nazis. Aber genau diese rassistische Ideologie ist in der Rede von der "Umvolkung" unterstellt: Die Zuwanderung von z.B. Syrern kann nur zur "Umvolkung" führen, wenn eine natürliche deutsche Identität biologisch bestimmbar ist. Dieses Thema ist insofern mit den Erfolgen des völkischen Flügels der AfD im Osten der Republik von bleibender Aktualität.
Die August-Ausgabe der traditionsreichen Zeitschrift "National Geographic" fasste nun die neuesten Ergebnisse aus Tausenden von genetischen Skelettknochenanalysen zusammen, die ein ziemlich genaues Bild der Migrationsbewegungen erlauben, aus denen sich die heutige europäische Bevölkerung zusammensetzt. Dabei ergibt sich folgender Befund:
Jäger und Sammler aus Afrika erreichten Europa vor rund 45.000 Jahren. Um 6.000 v.Chr. schlossen sich ihnen Bauern aus der Türkei an. Dann wanderten Jamnaja-Menschen aus Russland ein. Die meisten Europäer tragen heute DNA aus allen drei Gruppen in sich.
National Geographic 8/2019
Die aus Afrika stammenden Jäger und Sammler wurden demgemäß vor etwa 8000 Jahren mit einer breiten Einwanderungswelle konfrontiert, die auch in den Artefakten noch nachweisbar ist - man denke z.B. an die 7500 Jahre alten Funde von bandkeramischen Tonscherben im niederbayerischen Aiterhofen. Die neolithischen Migranten aus dem großen Gebiet zwischen anatolischem Hochland und Zweistromland brachten Viehzucht und die Kenntnis des Ackerbaus mit; sie scheinen die Besiedlungsregionen schließlich breit dominiert zu haben, da sie in Mitteleuropa fast die Hälfte der untersuchten DNA prägen, während die "Afrikaner" zumeist 10-15 Prozent ausmachen.
Ca. 3000 v. Chr. schließlich wanderte eine hochentwickelte nomadische Reiterkultur mit Pferden und Wagen aus der russischen Steppe östlich des Schwarzen Meers ein; ihr genetischer Nachweis hält sich quantitativ mit demjenigen der anatolischen Bauern zumeist in etwa die die Waage. Natürlich gibt es auch Unterschiede. In Sardinien z.B. zeigen sich die "Anatolier" in fast 90 Prozent der DNA; in Norwegen hingegen sind die russischen Steppennomaden in etwa 60 Prozent der DNA nachweisbar.
Damit ist das ganze Geschwätz um nordische "Urvölker", "Arier" und angebliche ureuropäische "Rassen", das nicht auszurotten ist, endgültig widerlegt. Der schwedische Archäologe Kristian Kristiansen fasst zusammen:
Für mich untergraben die neuen Ergebnisse aus den DNA-Analysen das nationalistische Paradigma, wonach wir schon immer hier gelebt und uns nicht mit anderen Völkern gemischt haben (...).Es gibt keinen Dänen oder Schweden oder Deutschen.(...) Stattdessen sind wir alle Afrikaner und Russen.
Kristian Kristiansen
Die Menschen aus dem Mittleren Osten vergaß er dabei allerdings zu erwähnen.
Natürlich gibt es Dänen und Schweden und Deutsche. Als rechtlich legitimierte Mitglieder einer politischen Gebietskörperschaft, als Staatsbürger. Insofern sind "wir" auch keine "Russen", da es sich auch bei diesen um einen politischen Begriff handelt - gerade das riesige Gebiet des russischen Reiches wurde von zahllosen Migrationsbewegungen, slawischen, nordeuropäischen und mongolischen Menschengruppen geprägt; nirgendwo in Europa sind die Menschen die ganze Zeit an einem Fleck sitzen geblieben.
Rassistisch ist es daher, wie die AfD im Wahlkampf zu fordern: "Hol Dir Dein Land zurück!", weil dies eine natürliche Zugehörigkeit unterstellt, die durch die "Überschwemmung" mit "Fremden" gefährdet sein soll. Die AfD spricht deshalb von "Umvolkung" und meint damit eben keine rationelle Debatte über die ökonomischen, rechtlichen und humanitären Voraussetzungen für die Aufnahme von Migranten in das politische Gemeinwesen, sondern die "Bedrohung", die angeblich von einem geplanten Austausch der biodeutschen Bevölkerung mit "fremdrassigen" Ausländern ausgehen würde.
By the way: Ein kleiner Nebenwitz der ganzen Idiotie liegt darin, dass die geschätzten "Bio-Deutschen" allesamt ausgerechnet auch von Menschen aus einer Region abstammen, die heute u.a. die Türkei, Syrien und den Irak umfasst, also der Weltgegend, aus der die angeblich so "Fremdartigen" derzeit kommen....
Und, um das Wichtigste nicht zu vergessen:
Zu 99,9 Prozent sind wir Menschen in unserem Erbgut identisch. Wir beziehen uns also auf 0,1 Prozent unserer Erbinformation. Da gibt es in der Tat einen Unterschied zwischen der geografischen Herkunft. Diese Tatsache hilft uns, die Geschichte der menschlichen Bevölkerung, ihrer Mobilität zu verstehen.
Der Genetiker Mark Stoneking in der taz
Ergo: Der Nachweis von regionalen Besonderheiten im Erbgut bedeutet nicht, dass dort andere menschliche Eigenschaften oder "Wesenszüge" codiert sind! Noch einmal: Menschen sind Menschen, als solche qua Gattungsmerkmal soziale Individuen, die als Mitglieder unterschiedlicher Kulturen, Gesellschaftsordnungen und politischer Systeme ihr Leben gemeinschaftlich bestreiten. All dies sind keine biologischen Unterschiede. Die 0,1 Prozent, die sich in unterschiedlichen DNA-"Einfärbungen" ausdrücken, verweisen nur auf die Migrationsgeschichte der Menschheit, die schon immer unterwegs war - und zwar überallhin, wohin man gelangen konnte.
Deshalb gilt letztlich:
Jeder ist mit jedem irgendwie verwandt.
Der Paläo- und Archäogenetiker Johannes Krause
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