Keine Kontrolle ist auch eine
Zoff beim Zoll im Flughafen Frankfurt
Hartmut Neßler hat es nicht leicht. Der Mann ist Chef des Hauptzollamtes am Flughafen Frankfurt und damit Vorgesetzter von rund 800 Beamten. Nicht alle sind im lammfrommen Beamtenbund-Ableger BDZ organisiert und informieren wohl auch deshalb seit Wochen immer wieder - anonym, aber untermauert mit Dienstplänen und anderen schriftlichen Belegen - die Medien über die ihrer Meinung nach unhaltbaren Zustände beim Flughafen-Zoll.
Von mangelnder Sicherheit ist die Rede und von Mobbing gegen selbstständig denkende Beamte. Massenweise würden Zollbeamte den Dienstort verlassen. Alles Lügen? Hartmut Neßler und seine Vorgesetzten in der Oberfinanzdirektion starten jetzt eine Gegenoffensive - sie veranstalteten eine Pressekonferenz.
Stadtflucht oder Mobbing?
Dafür, dass Beamte weg wollen vom Frankfurter Airport (Fraport) haben Zollamtschef Neßler und seine Vorgesetzten in der Oberfinanzdirektion Koblenz eine simple Erklärung: Die Lebenshaltungskosten in der Bankenstadt Frankfurt sind schuld. "Viele der oft jungen Beamten, die zum Dienst am Fraport eingeteilt wurden, würden sich recht bald um einen 'heimatnahen Dienstort' bemühen". So erklären Hartmund Neßler, zwei seiner Chefs von der Oberfinanzdirektion Koblenz und ein Beamter des Bundesfinanzministeriums den konstanten Fehlbestand von rund hundert Beamten. Mit der angeblich "massiven Zufriedenheit" oder gar Mobbing gegen allzu selbstständige Beamte, wie seit Wochen in der Presse berichtet, habe dies dagegen nichts zu tun.
Nein - Hartmut Neßler und seine Kameraden aus Koblenz und Berlin haben einen ganz anderen Gegner ausgemacht - es ist die Gewerkschaft der Polizei, die einige wenige, nach Auffassung der Vorgesetzten natürlich zu Recht mit Disziplinarmaßnahmen bedachte Beamte, für den soeben abgeschlossenen Personalrats-Wahlkampf instrumentalisierte und die Medien gleich mit. Dabei, so die Zolloberen, habe die Polizeigewerkschaft doch eigentlich mit dem Zoll gar nichts zu tun. Die Frankfurter Beamten entschieden anders und wählten immerhin vier GdP-Kandidaten in den zehnköpfigen Personalrat, dazu einen Unabhängigen und fünf Kandidaten des BDZ.
Die Tatsache, dass zahlreiche Beamte sich vom Dienstort "Fraport" weg versetzen lassen, habe nicht etwa mit einer dort bestehenden "massiven Unzufriedenheit der Beschäftigten" zu tun, die in Medienberichten schon mal als eine Art "Massenflucht" beschrieben wurde, sondern "sei bei solchen Standorten völlig normal", erklärte der Oberfinanzpräsident Alfred Basenau auf einer Pressekonferenz im Frankfurter Flughafen. Auf Fragen von Telepolis vermochte der hohe Beamte jedoch bedauerlicherweise keine echten Vergleichszahlen zu nennen. Stattdessen verbreitete er kühne Hochrechnungen. Zitat aus dem an die Journalisten verteilten Sprechzettel:
"In den letzten beiden Jahren haben insgesamt etwa 150 Beschäftigte zu anderen Dienststellen gewechselt. Das sind im Durchschnitt bei ca. 850 Beschäftigten weniger als 10 % pro Jahr."
Richtig wären rund 17 %, aber ein Versuch war's wert, Journalisten stehen ja in dem Ruf, nicht rechnen zu können und die Nennung einer Personalfluktuation von nur zehn Prozent - etwa über eine Nachrichtenagentur - hätte sich ganz gut gemacht. Denn mit den Medien hadert die Bundesfinanzverwaltung gehörig und weil kleine Zollbeamte keine Pressekonferenzen veranstalten können sondern, wenn es gilt, mächtige Vorgesetze öffentlich anzugreifen, in der Regel nur anonym auftreten können, ist nun das Internet-Forum der GdP die Quelle allen Übels: Im Forum der "Finanzpolizei" sprechen Mitglieder der Gewerkschaft der Polizei Klartext.
Seit Monaten sind die Zustände am Frankfurt-Airport das Hauptthema. Das Forum der Bundesfinanzpolizei dient den Beamten in erster Linie zum "Dampfablassen" über mehr oder weniger fähige Vorgesetze, tägliche Erfahrungen und der Diskussion neuer Medienberichte. Weil dort die Beamten selten mit ihrem Klarnamen in Erscheinung treten, sondern sich als "Fensterstuerzer", "depri"; oder "FFMBeamter" zu Wort melden und weil sich Journalisten des Forums bedienen, ist für den Koblenzer Oberfinanzpräsidenten Alfred Basenau die Sache klar:
"Meine Damen und Herren, bei der Bewertung des bisherigen Geschehens können sich Oberfinanzdirektion und Hauptzollamt Frankfurt am Main-Flughafen nicht des Eindrucks erwehren, dass hier einige wenige versuchen, unter dem Deckmantel der Anonymität die Medien für die Verfolgung eigener Interessen zu instrumentalisieren".
Unbeachtet in dieser behördlichen Wertung bleibt allerdings, dass sich die meisten Fernseh- und Presseberichte außer auf Aussagen anonymisierter Personen meistens auch auf schriftliche Unterlagen wie Dienstpläne und Behördenschreiben stützten. Für diese Seite werden täglich bis zu 5000 Besucher gezählt. Daraus ergibt sich ein aufschlussreiches Bild einer ansonsten gegenüber der Öffentlichkeit recht zugeknöpften Behörde.
"Gris" nahm den bei etlichen Zolldienststellen verbreiteten "Sporttick" auf' s Korn.
"Hallo Kameraden (so können wir uns bald ansprechen)! Sagt mal, ist bei euch der WSV(waffenlose Selbstverteidigung) und Sport auch so schlimm?? Ich fühle mich als würde ich zu einem Kampfeinsatz Ausgebildet oder geschult! Ich finde das ganze nicht mehr witzig, einige Sportlehrwarte übertreiben voll. Und dann kommt jetzt auch noch die neue Schießausbildung und somit werden einige Schießlehrwarte auch noch voll ausrasten! Wo kommen diese Ideen den nur her?? Warum werden die Zöllner aus- und fortgebildet wie eine Sondereinsatzgruppe (GSG9, KSK, ZUZ usw.)????"
Posting von Gris
Sport und Schießausbildung nannte der Frankfurter Oberzöllner Neßler als mögliche Gründe dafür, dass bestimmte Kontrollstellen schon mal nicht besetzt sind. Aber, so Neßler, "man wolle schließlich keine hundertprozentige Kontrolle, sonst lege man den Flugverkehr lahm". Auf die Frage eines Redakteurs der ZDF-Sendung Frontal21 zu laut dem ZDF vorliegenden Dienstplänen oft längere Zeit verwaisten Passagierkontrollstellen sprach Nessler einen wohl auch in Zukunft immer wieder gerne zitierten, denkwürdigen Satz:
"Wenn keiner da steht, ist das eine Form der Stichprobe. Das müssen Sie begreifen."
Ein beliebtes Thema des GdP-Forums war in den vergangenen Wochen immer wieder die Situation in Frankfurt. Dazu schrieb ein "Che":
"Vielleicht sollten sich einige Führungskräfte überlegen, ob ein Führungsstil nach "Gutherrenart" heute noch zeitgemäß ist. Wer den Stil der vorherigen Jahrhunderte heute noch praktizieren will, muss sich nicht über Gegenreaktionen wundern"
Und Forumsteilnehmer "Neo" meint:
"Es wurde höchste Zeit, dass sich mal jemand des Themas "Frankfurt-Flughafen" annimmt. Hoffentlich zieht das BMF die Konsequenzen und entfernt den Dienststellenleiter Nessler endlich aus dem Amt. Dann können wir "kleinen" Beamten unseren Dienst ordentlich verrichten. So wie es momentan läuft muss man nämlich bei jeder Art der vollzugsdienstlichen Tätigkeit Angst haben, in den Innendienst versetzt zu werden!"
Posting von Neo
"Frankfurter" kommentiert einen der Presseberichte über Sicherheitsmängel am Flughafen und Disziplinarmaßnahmen gegen Zollkollegen:
"Ja, es ist ein Skandal! Und um ehrlich zu sein- ich bin froh, dass es endlich mal an die Öffentlichkeit gelangt, was in Frankfurt a.M. los ist. Ich bin sicher, an keinem anderen Amt in Deutschland gibt es solche Zustände. Obendrein auch noch Schikane und Mobbing gegen engagierte Kollegen, die ihr bestes geben, um an dieser Dienststelle trotz der widrigen Umstände ihre Arbeit zu machen."
Die Beamtin "Anja" findet es wiederum
"wirklich an der Zeit, dass dort etwas passiert. Mittlerweile gewinnt man den Eindruck, Strafvereitelung im Amt sei etwas "ganz normales..."
Posting von Anja
Aus den Forumsbeiträgen wird deutlich, dass es kritikwürdige Zustände nicht nur in dem bisher im Fokus der Medien stehenden Passagierbereich gibt, auch im Frachtbereich ist der Wurm drin.
Morddrohungen im Frachtbereich
So berichtet ein nachts am Flughafen tätiger Beamter:
"Auch im Frachtbereich werden Personalnot und Abfertigungsschwerpunkte immer auf dem Rücken der kleinen Beamten ausgetragen. Im Mittelpunkt steht eine zu befriedigende "Kundschaft". Bei Handgreiflichkeiten und Übergriffen wenden sich die Zollbeamten der Fracht wie selbstverständlich an die örtliche Polizei, in Ermangelung eigener Aufgabenwahrnehmungsmöglichkeiten. So wurden mehrfach Kolleginnen und Kollegen im Frachtbereich von unzufriedenen "Kunden" mit Morddrohungen bedacht. Der Amtsleitung am Flughafen genügte ein formelles "Du, Du" für den "Kunden" oder die Aussprache eines Hausverbotes. Große Fluggiganten wie die FEDEX bestimmen, in welchem Umfang der Zoll Waren beschaut. Dauert es zu lange, reicht ein Anruf und die Beschau neigt sich umgehend dem Ende entgegen. In Ermangelung von Personal, gepaart mit den üblichen Vorgesetzten, beschränkt sich die Kontrolle des Warenverkehrs im Frachtalltag zu 97 Prozent auf die Bewältigung des sogenannten Papierkrieges. Ankommende Lastzüge im TIR- Verfahren werden ebenso selten sicherheitsbegründet geprüft wie rausgehende Waffen- oder BTM- (Betäubungsmittel)-Sendungen... (...) Die Öffentlichkeit hat verstanden, dass wir keine Rache an unseren Vorgesetzten üben möchten, sondern dringend erforderliche Veränderungen fordern. Gezielt hat man auf der Pressekonferenz versucht, diese Kollegen als Heimatlandsverräter öffentlich zu brandmarken. Gebracht hat es nichts. Jeder weiß, dass die Kollegen in den Medien nicht versteckt aufgetreten sind, weil sie etwas zu verbergen haben, sondern weil sie Repressalien und Verfolgung fürchten. Selbstherrliche Vorgesetzte demonstrieren in den Medien und auch in diesem Forum den täglichen Umgang mit den Mitarbeitern unserer Dienststelle. Die Öffentlichkeit hat verstanden, dass wir keine Rache an unseren Vorgesetzten üben möchten, sondern dringend erforderliche Veränderungen fordern...
Nächtliche Morddrohungen
Zur Situation nach der Pressekonferenz erklärte ein am Fraport tätiger Beamter gegenüber Telepolis
"Das ganze Amt ist seit Tagen kopflos, die Vorgesetzten haben nichts anderes mehr zu tun, als die Internet-Foren zu analysieren. Die Zustände haben sich nicht geändert, es läuft alles wie bisher. LRD Neßler hat durch seine Sachgebietsleiter verlauten lassen, dass man "es der Presse schon zeigen werde". Wir hoffen alle, dass die Presse dem Treiben dieser "Führungspersonen" endlich ein Ende bereitet. Die Hartnäckigkeit des BMF ist allerdings bemerkenswert."
Auch andere Forumsbeiträge nach der Pressekonferenz der Oberzöllner verdeutlichen nochmals den Frust der Beamten. Viele hatten wohl gehofft, die Bundesregierung würde ihren von vielen so ungeliebten Chef in den Ruhestand schicken. Nun scheint es, dass er und seine Getreuen weiter wirken können. Bis zum nächsten dicken Skandal. Und der kommt bei unveränderter Personalstruktur mit Sicherheit.