Keine Opfertypen - und auch vom Fundamentalismus kann mancher profitieren

Christ werden, Glauben wechseln, Atheist oder gleichgültig werden - warum macht man das und was macht es mit einem?

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Vor Kurzem erschien die deutsche Übersetzung von Deborah Feldmans Buch Unorthodox. In den USA war die autobiographische Erzählung der Loslösung aus einer jüdisch-hassidischen Glaubensgemeinschaft ein Bestseller und auch in Deutschland wurde breit berichtet - unter anderem im Stern, im Deutschlandradio und im RBB.

Aber nicht alle Menschen wollen religiöse Sondergemeinschaften oder "Sekten" verlassen, und viele suchen sie sogar bewusst - und sind darin zufrieden. Schon der 13. Deutsche Bundestag hat eine Enquete-Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" eingesetzt, und im 236-seitigen Endbericht aus dem Jahr 1998 (Drucksache 13/10950) heißt es:

Ein von der Kommission in Auftrag gegebenes Forschungsprojekt hat als Ergebnis erbracht, dass Menschen, die sich zu neuen religiösen oder ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen hingezogen fühlen, keine 'passiven Opfer' sind. Vielmehr bringen sie eine Reihe von Bedürfnissen, Wünschen oder Lebensproblemen mit, die in diesen Gemeinschaften erfüllt und befriedigt werden sollen. Die Qualität der 'Passung' zwischen den Erwartungen der suchenden Menschen und den Angeboten und dem Milieu der Gemeinschaften entscheidet über Einstieg in die Gemeinschaft, Verbleib oder Ausstieg.

In den darauffolgenden Jahren haben allerdings mehrere Menschen ihren mühsamen und schmerzhaften Weg nicht nur aus jüdischen, sondern auch aus christlich-fundamentalistischen Milieus und Organisationen beschrieben: Misha Anouk (Goodbye Jehova), Friedel Geisler (Die Rose sagt, ohne Dornen kriegt ihr mich nicht), Torsten Hebel (Freischwimmer - dieser Autor jedoch ist nach wie vor in einer Freikirche sehr aktiv), Brianna Karp (Homeless), Tilman Moser (Die Gottesvergiftung) und Claudia Schreiber (Ihr ständiger Begleiter).

Grund genug, einige Ergebnisse des Berichtes noch einmal genauer anzuschauen und nachzufragen.

Die Enquete-Kommission hatte Gründe für die Mitgliedschaft in einer sogenannten Sekte oder Psychogruppe eruieren sollen. Aber: "Die Forschungslage in der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Thema erwies sich [...] als sehr dünn."1 Darum ließ die Kommission vier inhaltlich miteinander verbundene Forschungsprojekte durchführen, die mit der gleichen Methodik vier verschiedene Milieus untersuchten, nämlich den Bereich radikaler christlicher Gruppen der ersten Generation, den Bereich christlich-fundamentalistischer Milieus und Organisationen, fernöstliche Milieus und Gruppen sowie den Bereich der Psychogruppen und Esoterik.

Die Federführung für das Teilprojekt "Biographieverläufe in christlich-fundamentalistischen Milieus und Organisationen" hatte Heinz Streib, Professor an der Universität Bielefeld. Er schrieb auch den Bericht über die vorausgegangene Forschung im Enquete-Bericht.2

Außerdem führten Heinz Streib, Barbara Keller und weitere Forscher in den Jahren 2002 bis 2006 die Bielefelder kulturvergleichende Studie über Dekonversion durch, für die ungefähr 1200 Menschen in Deutschland und den USA interviewt wurden.

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