Keine Schutzräume

Auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wird die Onlinedurchsuchung weiter angestrebt. Praktisch dabei: die technische Umsetzbarkeit muss man gar nicht erst erläutern.

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Nachdem über einem längeren Zeitraum hinweg die Meinungen der Bundesjustizministerin Zypries und des Bundesinnenministers Schäuble beim Thema Onlinedurchsuchung aufeinander prallten, sah man sie nun diesbezüglich in seltener Eintracht (ein Grund mehr für viele, hinter der vorangegangenen Debatte das alte „good cop, bad cop“ Spiel zu vermuten). Dazu passt auch, dass von der Medienöffentlichkeit weitgehend unbemerkt und im Windschatten der Debatte um den angeblich kabelbeschränkten Onlinetrojaner neue Möglichkeiten zur Überwachung von Wohnungen mittels Mini-Kameras und persönlicher Gespräche mit aufgenommen wurden.

Das BKA-Gesetz, in dem diese Regelungen enthalten sind und das noch vor der Sommerpause zur Abstimmung im Kabinett kommen soll, war der Grund für diese Eintracht. Dieses Gesetz, welches momentan in der Debatte weitgehend auf die Onlinedurchsuchung reduziert wird, gibt insbesondere der Strafverfolgung geheimdienstähnliche Ermächtigungen. Diese Problematik, die insbesondere der Chaos Computer Club schon thematisierte bleibt derzeit überwiegend außen vor, weil das Interesse daran dominiert, wie die Onlinedurchsuchung trotz des Richterspruches von Karlsruhe realisiert werden soll.

Von Online- und Hausdurchsuchungen

Was aber viele bereits während der Diskussion um die Onlinedurchsuchung im allgemeinen vermuteten, zeigt sich nunmehr am Beispiel Bayerns: denn während man auf Bundesebene von der Idee, mit der (heimlichen) Onlinedurchsuchung auch gleich die heimliche Hausdurchsuchung zu etablieren, Abstand nahm, ist man in Bayern weiterhin auf diese Möglichkeit erpicht. Und wie auch bei der Onlinedurchsuchung versucht man sich in Rabulistik und spricht schon einmal davon, dass es ja hier nicht um eine Durchsuchung der Wohnung sondern nur um ein Betreten ginge - als ob die Unverletzlichkeit der Wohnung nur vor unbefugtem Durchsuchen, nicht aber vor unbefugtem Betreten schützen solle.

CSU-Chef Huber jedenfalls hält die heimliche Wohnungs“betretung“ zur Installation von Überwachungssoftware auf dem Zielrechner für „in einem eng definierten Bereich unbedingt notwendig", um Terror und Schwerstkriminalität wirksam bekämpfen zu können. Bei dieser Gelegenheit werden dann auch für den Verfassungsschutz und die Strafverfolgung die gleichen Befugnisse gefordert, womit man wieder beim BKA-Gesetz landet, welches noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll.

Das BKA arbeitet mit Hochdruck an der Software?

Das BKA jedenfalls, so wurde vom bei diesem Thema besonders engagierten Jörg Ziercke verlautbart, arbeite bereits mit Hochdruck an der Software für Onlinedurchsuchungen.

Diese Aussage ist in vielfacher Hinsicht fragwürdig. (Wobei das BKA hier einen Trumpf in der Hand hat was die technische Realisierbarkeit angeht - kann man sich doch stets darauf berufen, dass nichts nach Außen dringen darf da solcherlei Einzelheiten ja denen helfen würde, die es zu fangen gelte. In diese Kerbe schlug dann auch die Aufforderung, die Debatte um die technische Realisierbarkeit des Bundestrojaner einzustellen.)

Dennoch stellt sich jedem logisch denkendem Menschen die Frage, inwiefern hier an einer Software gearbeitet werden kann, wenn es doch um Programme gehen soll, welche individuell für ca. ein Dutzend Fälle pro Jahr zur Anwendung kommen sollen. Da nicht davon auszugehen ist, dass in sämtlichen Fällen die Konfiguration des Zielrechners, das technische Wissen des Rechnernutzers oder die Sicherheitseinstellungen identisch sind, würde eine „mit Hochdruck entwickelte Software“ somit die berühmte eierlegende Wollmilchsau sein, so sie denn alle Fälle abdecken soll.

Markus Hansen vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz in Schleswig Holstein vermutete bereits während der Sommerakademie 2007, dass es eher ein modulares Konzept geben würde, damit nicht jederzeit neu entwickelt werden muss. Inwiefern aber das Konzept überhaupt bei denjenigen greift, die es zu fangen gilt - nämlich jene, die bereits Verschlüsselungstechnik etc. nutzen - bleibt weiter offen.

Es ist insofern wenig verwunderlich, dass vermehrt misstrauisch angemerkt wird, es könne eigentlich nicht um Terroristen etc. gehen, da diese ja wohl kaum so dämlich seien, beispielsweise eine Email zu öffnen, welche dann die Spionagesoftware enthält. Dieses Argument brachte der Innenminister Sachsen-Anhalts, Holger Hövelmann, denn auch während der letzten Debatte zum Thema an. Es spielt in der Diskussion jedoch ebenso wenig eine Rolle wie auch die Frage, wie man insbesondere die Beweiskraft der gegebenenfalls durch die Onlinedurchsuchung(en) erlangten Daten gewährleisten soll.

Übrig bleibt anhand solcher Meldungen die Vermutung, dass die derzeitige Idee, Onlinedurchsuchungen durchzuführen, eher für eine Massenüberwachung geeignet ist, welche sich aber nicht mit dem Urteilsspruch aus Karlsruhe vereinbaren lässt, der der Onlinedurchsuchung hohe Hürden auferlegt.

Folgeschäden

Die Debatte um die Onlinedurchsuchung bzw. den Bundestrojaner hat, egal auf welche Weise nun eine Onlinedurchsuchung realisiert werden soll, längst weitreichende Folgeschäden. So ist einerseits das Vertrauen in staatliche Software nicht zuletzt durch die öffentlich geäußerten Phantasien der Politik, den Bundestrojaner in behördlichen Emails oder ähnlichem zu verstecken, weiter sinkend. Andererseits lässt die weitgehende Weigerung der Politik, nach einem Richterspruch in Karlsruhe zunächst einmal eine Zeit der ruhigen Überlegung einkehren zu lassen und stattdessen fast schon trotzig mit den bisherigen Plänen weiterzumachen, insbesondere auch das Bundesverfassungsgericht in der Achtung der Menschen sinken - erscheint es doch so, als sei ein Urteil höchstens geeignet, eine kurze Atempause bis zur nächsten „Sicherheit“idee der Politik zu ermöglichen.

Die Worte des scheidenden Bundesverfassungsrichters Wolfgang Hoffmann-Riem im Interview mit der Süddeutschen Zeitung sind insofern symptomatisch für die derzeitige Politik, nicht nur im Bereich Onlinedurchsuchung:

„Manchmal heißt es, ohne die neuen Möglichkeiten hätte man das geplante Attentat nie rechtzeitig aufgedeckt, oder auch, man habe viel Glück gehabt, dass es auch ohne neue Instrumente aufgeklärt werden konnte. Es wird aber nicht gesagt, warum die herkömmlichen Mittel nicht gereicht hätten und ob die verschiedenen Behörden die herkömmlichen Mittel angemessen und hinreichend koordiniert eingesetzt haben. So geht das häufig. Es werden Bälle in die Luft geworfen, mit denen man jongliert, aber wir wissen nicht, welcher Ball in welche Hand soll und welcher ruhig herunterfallen darf.“

Ebenso symptomatisch ist Dr. Wolfgang Schäubles Begründung für die Onlinedurchsuchung. Seiner Meinung nach ist sie notwendig, um "ein Hinterherhinken bei der technischen Entwicklung und damit das Entstehen von Schutzräumen zu vermeiden". Schutzräume stellen für ihn insofern nur Hürden für die Strafverfolgung, nicht aber auch verfassungsgemäß legitimierte Möglichkeiten zur Erhaltung der Privatsphäre dar. Eine Argumentation, die an die Logik erinnert, dass „safe harbours“ automatisch "safe harbours für Verbrecher" sind.

Die Privatsphäre wird somit immer stärker mit dem Versuch gleichgesetzt, etwas Kriminelles zu verbergen. Zusammen mit der Parole „Datenschutz ist Täterschutz“ lässt diese Entwicklung insbesondere die Datenschützer und Bürgerrechtler immer stärker in Bedrängnis geraten, da es längst nicht mehr ausreicht, zu betonen, dass Privatsphäre ein Menschenrecht ist, sondern zeitgleich erläutert werden muss, warum man damit nicht automatisch den vier infokalyptischen Reitern die Sporen geben will.