"Keine Wiederholung des Kalten Krieges mit China"

Seite 2: Was China von der Sowjetunion unterscheidet

Inwieweit ist das von Ihnen beschriebene Problem eine Folge eines viel beschworenen neuen Kalten Krieges, also der Bildung geopolitischer Blöcke?

Javier García: Wenn wir in einen neuen Kalten Krieg mit China und anderen Akteuren eintreten, muss allen klar sein, dass es keine Wiederholung des Kalten Krieges sein wird, wie wir ihn mit er Sowjetunion erlebt haben. Das heutige China unterscheidet sich erheblich von der damaligen Sowjetunion. Und die Welt hat sich auch verändert.

Natürlich erinnern viele Verhaltensweisen in der internationalen Politik an die damaligen Auseinandersetzungen. Aber mit China kann man heute nicht so umgehen wie man es mit der Sowjetunion gemacht hat, auch und vor allem nicht in der Informationspolitik.

Die Sowjetunion stand der Entwicklung im Westen in vielen Bereichen in den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren nach. Wenn man heute auf China blickt, gibt es da große Unterschiede, denn in einigen Bereichen tritt China gegenüber dem Westen als Vorbild auf.

In welchen etwa?

Javier García: Nun, die Bewältigung der Pandemie ist ja gerade das offensichtlichste Beispiel, die Bekämpfung der Armut oder die Entwicklung erneuerbarer Energien und E-Fahrzeugen.

China hat in den letzten 45 Jahren mehr als 850 Millionen Menschen aus der Armut geholt. Sie ist mit Abstand Weltmarktführer in der Solar- und Windenergie. Die Waldfläche hat von zwölf Prozent im Jahr 1980 auf 23 Prozent im Jahr 2020 zugenommen. Und in den nächsten fünf Jahren sollen Bäume auf einer Fläche so groß wie Deutschland gepflanzt werden.

Wie blickt China in dieser Situation denn auf den Westen und auf Europa? Findet dort Ihrer Beobachtung nach auch eine Entfremdung statt?

Javier García: Nein, ich empfinde es eher so, dass dem Westen hier in China grundsätzlich mit Anerkennung begegnet wird. Und das spiegelt sich auch in der Berichterstattung der Medien wider, vielleicht mit einer Ausnahme: an den USA wird im Rahmen des bilateralen Konfliktes zwischen Washington und Beijing auch harsche Kritik geübt.

Ich beobachte hier, dass man sich in China oft am Westen misst, trotz aller Konflikte auch mit den USA, aber diese Art von Herablassung, die den Blick westlicher Medien auf China bestimmt, die ist hier kaum zu finden.

Natürlich werden negative Aspekte der westlichen Politik mitunter in übertriebener Weise dargestellt. Grundsätzlich aber findet eine professionelle und respektvolle Berichterstattung statt.

Nun haben wir über das Verhältnis zwischen China und dem Westen gesprochen, auch über die Probleme der Berichterstattung. Wie lassen sich die bestehenden Unstimmigkeiten aber lösen?

Javier García: Ich habe da auch kein Wundermittel zu bieten, möchte es aber so sagen: Was fehlt, das ist das Verständnis und die Kenntnis anderer Kulturen, in diesem Fall also Chinas, einem im Westen noch sehr unbekannten Land. Grundlegende kulturelle Kenntnisse und ein gegenseitiges Verständnis sind unabdingbar für eine Annäherung.

Wir brauchen tatsächlich einen interkulturellen Dialog, auch einen Austausch zwischen politischen Modellen, weil es die Unterschiede ohne Zweifel gibt. Jedes Land hat seine eigene Geschichte, aus der es seinen Regierungs- und Verwaltungsstil ableitet.

Der chinesische Kommunismus hat daher einiges mit den alten Dynastien gemein, seine politische Kultur hat viel aus der zweitausend Jahre alten Geschichte des Kaiserreiches geerbt. Daraus leitet sich die Haltung gegenüber der Regierung ab: Lief es schlecht, musste sich selbst der Kaiser dem heiligen Recht der Abberufung stellen. Solange es aber gut lief, ließen die Menschen die Herrschenden gewähren.

Dieses Verhältnis zwischen der Bevölkerung und den Herrschenden unterscheidet sich erheblich von unserem westlichen Modell, in dem gewählte Mandatsträger den Souverän vertreten. Ich finde es angebracht, auf andere Konzepte mit der Frage zu schauen, ob sich daraus etwas lernen lässt.

China hat schließlich auch die bewährten Konzepte westlicher Systeme übernommen, allen voran den Kapitalismus. In China versucht man aber auch, die negativen Aspekte zu kontrollieren, etwa die soziale Ungleichheit und Spaltung.

Mein Plädoyer ist also, dass wir dazu beitragen, Brücken zu bauen, statt Mauern zu errichten, dass wir stets versuchen, das Gegenüber zu verstehen. Und zum Bau solcher Brücken zwischen den Kulturen sollten Medien beitragen, statt ein Land, das als Gegner wahrgenommen wird, zu verteufeln.

Sie haben auf Twitter geschrieben, dass Sie den Journalismus verlassen werden, zumindest vorübergehend. Nun werden Sie also Brückenbauer?

Javier García: Ich werde jetzt erst einmal an einer Universität unterrichten und mich einem Buchprojekt widmen, das diesem Gedanken folgt …

… und in China bleiben?

Ja, es scheint mir ein sehr interessantes Land zu sein in einer Zeit, in der wir Zeugen der Gestaltung der neuen post-pandemischen Weltordnung werden. Wir können entweder wieder den üblichen Weg der Konfrontation und des Krieges wählen oder versuchen, den Aufstieg Chinas als Chance zu nutzen, um endlich eine gerechtere und friedlichere multipolare Welt aufzubauen.

Außerdem fühlen meine Familie und ich uns persönlich in China zu Hause, und wir haben noch viel über die Menschen, die Kultur und die Sprache zu lernen.