Keine Zeit für Pazifisten
Gestern Flugabwehr, heute Panzer, morgen vielleicht Kampfflugzeuge: Deutschland befeuert mit aller Macht den Krieg in der Ukraine. Pazifismus hat da einen schlechten Stand. Eine gute Idee ist er aber auch nicht.
Selbst mit der größten Lupe findet man sie hierzulande derzeit kaum. Die Pazifisten und Friedensbewegten, die wie einst vor rund 40 Jahren zu Hunderttausenden gegen eine massive Aufrüstung Deutschlands auf die Straße gingen. Damals warnten sie vor einem Atomkrieg und forderten deshalb von der Bundesregierung, die Stationierung von US-amerikanischen Mittelstreckenraketen abzulehnen.
Heute demonstrieren keine Massen gegen eine 100 Milliarden Euro-Aufrüstung – eine Aufrüstung, die die Nachrüstung gegen die damalige Sowjetunion locker in den Schatten stellt. Und die schon jetzt vom frisch gebackenen Verteidigungsminister als nicht ausreichend bezeichnet wird.
Es finden sich auch keine Massen, die gegen eine drohende nukleare Auseinandersetzung demonstrieren. Dabei ist sie angesichts der harten Konfrontation in der Ukraine zwischen USA und EU einerseits und Russland andererseits nicht weniger wahrscheinlich, eher sogar wahrscheinlicher.
Nun könnte man den alten Friedensfreunden eine ganze Menge vorhalten. Sie hielten tatsächlich die Raketen für die Wurzel des Übels. Damit sprachen sie die deutschen Politiker von jeder Überlegung frei, eben mit diesen Waffen im Nato-Bündnis eine gewichtigere Rolle zu spielen und gegenüber der Sowjetunion eine größere Militärmacht darzustellen, mit entsprechend größerem politischem Drohpotenzial. Die Pazifisten von damals erklärten Krieg als "Scheitern der Politik".
Dabei genügt ein kurzer Blick in die Geschichte, um festzustellen: Krieg hat eine lange Tradition als Mittel von Staaten, ihren Willen und ihre Ansprüche gegen ihresgleichen durchzusetzen. Gescheitert ist in solchen Fällen nur der Versuch, denselben Zweck ohne Gewalt zu erreichen.
Ebenfalls oft angeführt wurde "unnötiges Leid und Zerstörung", weil Krieg doch "keine Lösung" sei. Für den Sieger stellt der Krieg sehr wohl die "Lösung" dar, nämlich seinen Kriegszweck zu realisieren. Das damit verbundene Leid und die Zerstörung nimmt er dabei in Kauf, auch bei seinem eigenen Volk.
Immerhin wollte die Friedensbewegung "Frieden schaffen, ohne Waffen". Davon ist heute wenig zu vernehmen. Es hat eher den Anschein, als wäre diese Forderung fast schon so etwas wie Landesverrat.
Bombenstimmung in Deutschland
Denn seit Monaten dominiert eine Bombenstimmung in Deutschland. Die herrschenden Politiker überbieten sich in ihren Forderungen, die Ukraine mit Waffen auszurüsten, pushen sich gegenseitig. Man fragt sich, was nach den Panzern noch kommen soll: Kampfjets? Taktische Nuklearwaffen? Raumschiffe?
Die Hofreiters, Strack-Zimmermanns und Melnyks arbeiten daran. Wer sich dieser Kriegsbefeuerung öffentlich entgegenstellt, wird in Talkshows niedergeredet oder erst gar nicht dazu eingeladen.
Aber es gab doch diese große Friedensdemonstration "Stoppt den Krieg" im Februar 2022 in Berlin! Die wandte sich jedoch nicht gegen Waffen für die Ukraine. Stattdessen forderte der offizielle Aufruf "scharfe wirtschaftliche Sanktionen" gegen Moskau sowie nur den Rückzug Russlands – und nicht im gleichen Atemzug der Nato, der EU und der USA.
Die zahlreichen ukrainischen Flaggen auf der Demo und auch Plakate mit "Waffen für die Ukraine" zeigten klar die Parteinahme im Krieg. Und die Parteinahme für eine neue nationale Energiepolitik, die die Bundesregierung flugs einläutete: "Wir müssen möglichst schnell raus aus Kohle, Öl und Gas."
So bildeten die Demonstranten die passende Begleitmusik zum offiziellen deutschen Vorgehen gegen den Aggressor. Konsequent, dass es bei dieser großen Demonstration blieb: In den folgenden Monaten haben Scholz und Co ziemlich genau das unternommen, was gefordert wurde – die Regierenden hatten dies allerdings schon zuvor kundgetan ...
Zweifelhaftes Lob des Pazifismus
Immerhin vermissen einige wenige Stimmen die zur Kriegsenthaltung rufenden Pazifisten. So hob die Süddeutsche Zeitung Ende September vergangenen Jahres zu einem "Lob des Pazifismus" an.1 Ein sehr zweifelhaftes Lob:
Man muss ihnen nicht zustimmen. Aber man braucht sie. Zum Beispiel für ihre guten Fragen (…) als wichtige Gegenstimme im Ernstfall und vor allem als andere Art der Kriegsprävention.
Nele Pollatschek, SZ, 29. September 2022
Wenn also Krieg geführt wird, ist es gut, wenn es auch Leute gibt, die sagen: Ist der Kriegszweck nicht auch ohne Krieg zu erreichen? Dann kann man doch viel besseren Gewissens mit einem "Leider Nein!" weiter auf den Feind schießen.
Und wenn die mahnenden Pazifisten wertvolle Tipps geben, wie der Gegner mit anderen Mitteln als mit Waffengewalt auf Linie gebracht werden kann – warum nicht? Damit spart der Staat sich eine Menge Geld und Schäden, die nun einmal so ein Krieg kostet. Denn Krieg will ja keiner, sondern nur, wenn es unbedingt sein muss.
Darin liegt die ganze Krux: Wer trifft aus welchen Gründen die Entscheidung, dass ein Volk ein anderes Volk auf Leben und Tod zu bekämpfen hat? "Es" mithin sein "muss". Klar, die jeweilige Staatsregierung. Da werden bis vor kurzem noch anständige Partner zu Parias erklärt, umgekehrt ehemalige Erzfeinde zu Brüdern, wenn es gemeinsam gegen ausgemachte Gegner besser funktioniert.
Das kann dann schon eine Weile dauern, bis das brave Volk das kapiert und verinnerlicht hat, siehe die deutsch-französischen Beziehungen. Es kann aber auch recht zügig gehen, wenn eine Feindschaft wieder hervorgeholt wird, die nur zeitweise aus taktischen Gründen zurückgefahren wurde, siehe das deutsch-russische Verhältnis.
Im Endeffekt beschließt eine Herrschaft, sein Volk gegen ein anderes zu hetzen. Gefragt wird das Volk selbstverständlich nicht. Sondern ihm mitgeteilt, dass es ab sofort aus guten Gründen Untertanen der anderen Seiten gepflegt zu hassen hat und sie durch die eigenen Soldaten töten soll.
Aktuell "muss" der Krieg gegen Russland sein. Das hat nun sogar Bundesaußenministerin Annalena Baerbock so gesagt, nachdem lange Zeit selbst "Wirtschaftskrieg" auf dem Index stand.
Sahra Wagenknecht kann davon ein Lied singen. Als sie diesen Begriff in ihrer Bundestagsrede im September vergangenen Jahres gebrauchte, erntete sie drastische Kritik, auch aus der eigenen Partei.
Die "guten Gründe" für die massive Unterstützung der Ukraine mit Geld, Material und Waffen sind bekannt: Das Land muss sich gegen einen Angriffskrieg wehren, den der Aggressor Russland mit einem Tyrannen, Irren, Unberechenbaren und noch viel Schlimmeren an der Spitze namens Putin angezettelt hat.
Wenn zwei Weltmächte sich bekämpfen
Eine sachliche Erläuterung, warum der Staat Russland gegen den Staat Ukraine vorgeht, ist das natürlich nicht. Das würde auch zur Kriegspropaganda nicht taugen. Denn dann würde deutlich, dass sich in der Ukraine gegensätzliche Interessen von zwei Weltmächten gegenüberstehen – Russland und USA.
Die eine möchte nicht zulassen, dass die andere dort weiter gegen sie vorrückt. Nachdem die US-Amerikaner alle Aufforderungen Russlands abgelehnt hatten, von der Ukraine diesbezüglich zu lassen, blieben "Putin" nur zwei Alternativen: Dies hinzunehmen, mit der Folge eines weiteren mächtigen Nato-Stützpunkts mit Nuklear-Potenzial direkt an seiner Grenze. Oder mit Gewalt dagegen vorzugehen. Letzteres geschah. (ausführlicher dazu siehe "Wenn zwei Weltmächte streiten").
Wohlgemerkt, dies ist keine Rechtfertigung oder gar Parteinahme für das Handeln einer dieser beiden waffenstarrenden Staaten. Eine Rechtfertigung und Parteinahme ist allerdings im Westen ebenso gefordert wie im Osten: Beide Lager sehen sich im Recht.
Wäre ja auch noch schöner, wenn die geschätzten und benutzten Untertanen ins Grübeln kämen. Wie sie aufeinandergehetzt werden, damit die jeweiligen Vorhaben gelingen – also Aufmarsch der Nato in der Ukraine oder Abwehr desselben.
Nein, hier geht es um Höheres, hier werden Werte verteidigt: Freiheit, Demokratie, Selbstbestimmung. Verdächtig, dass diese Kategorien von den Propagandamaschinen hier wie dort als Grund angeführt werden.
Einfach so einen Kriegszweck ausrufen und ihn dann durchzusetzen versuchen? Von wegen. Da muss schon mehr her, um die Bürger in heiligen Zorn zu versetzen. Die vom Westen vor dem Krieg und auch noch jetzt der enormen Korruption bezichtigte Ukraine, mit Oligarchen, einigen Faschisten, Parteienverboten und Zensur, hält nichts Geringeres als die Fackel der Demokratie hoch.
Gegenüber, im Osten des Landes, stehen die abtrünnigen Regionen für einen geradezu heroischen Kampf gegen "Nazis". Da muss natürlich Russland helfen, angesichts der furchtbaren Erfahrungen mit diesen Leuten im Zweiten Weltkrieg. Auch das also fraglos ein "gerechter" Krieg. Weil ja beide Lager sich lediglich "verteidigen". Und selbstverständlich wollen beide Frieden – freilich nur den, der ihnen gemäß ihrer Kriegszwecke gefällt.
"Fundamental-Pazifismus": Unterlassene Hilfeleistung!
Damit landen wir bei der Gretchenfrage an den aufrechten Pazifisten: "Frieden schaffen ohne Waffen"? Das ist doch unterlassene Hilfeleistung, geradezu zynisch! Wenn ein Staat einen anderen überfällt, ist es gerecht und notwendig, dagegenzuhalten. Und moralisch geboten, ihn dabei zu unterstützen, siehe aktuell Deutschland und der Westen.
Eine prinzipielle Ablehnung von Waffengewalt ist ein falscher "Fundamental-Pazifismus". Das sagt nun nicht irgendwer, sondern Franz Alt in einem Beitrag hier auf Telepolis:
Auch die Friedensbewegung muss in dieser Situation umdenken und ihren Appell 'Stoppt den Krieg' an die richtige Adresse richten, nämlich an den Aggressor in Moskau. Das ist schmerzlicher Real-Pazifismus im Gegensatz zum Fundamental-Pazifismus. Fundamental-Pazifismus heute ist ein Pazifismus im Sinne des Aggressors.
Dazu zitiert er als Kronzeugin die berühmteste Pazifistin, Bertha von Suttner:
Jedes Volk hat selbstverständlich das Recht zur Selbstverteidigung.
Auch Franz Alt ist damit bei der gebotenen Parteinahme gelandet. "Volk" setzt er, wie von Suttner, gleich mit "Staat". Damit sind die beiden nicht allein. Diese Gleichsetzung ist seit jeher der Renner, wenn von den Politikern und die sie soufflierenden Medien ein Krieg begründet wird: Der Feind will den braven Bürgern an ihren Besitz, ihr Wohlergehen und natürlich ihre Freiheit! Da müssen sie sich doch wehren, oder? Die Realität trifft das nicht.
Beide Kriegslager nehmen ihr Volk rücksichtslos in die Pflicht
Wenn Russland in die Ukraine einfällt, dann will es den Willen dieses Staats brechen, sich mit dem Westen gegen ihn gemein zu machen. So will die Moskauer Herrschaft ihren Weltmachtstatus aufrechterhalten. Dafür nimmt Putin sein Volk in die Pflicht. Es hat gefälligst dies zu unterstützen, Einschränkungen in Kauf zu nehmen und genügend Soldaten abzustellen.
Gefragt wird das Volk nicht, es hat keine Wahl. Bekanntlich macht es aber mit wie ihm geheißen. Wir müssen uns doch gegen die "Nazis" und die atomare Bedrohung des Westens verteidigen! Mit diesem "Wir", also Volk gleich Staat, wird der ziemlich ungemütliche Gegensatz weggewischt zwischen den Politikern, die die Ansagen machen, und den Bürgern, die diesen Ansagen zu folgen haben, unter Einsatz ihres Hab und Guts und ihres Lebens. Noch dazu für einen Zweck, Stichwort Weltmachtstatus, den partout ein Wassilij Normalmensch nicht hat.
Spiegelbildlich sieht es gegenüber aus. Seit Jahren verfolgt die ukrainische Staatsführung das Ziel, in die EU und in die Nato aufgenommen zu werden. Die einstmals engen Beziehungen zu Russland wurden immer mehr gekappt, bis hin zu offenen Feindschaftserklärungen.
Der Plan lautet: Mit Hilfe des Westens wird die Ukraine endlich zu einer respektablen und erfolgreichen Macht in Südosteuropa. Dafür leistet sich der Staat seit 2014 einen Bürgerkrieg gegen ihre östlichen Regionen – gegen das "eigene Volk", würde die Presse sagen, wenn es sich nicht um die gute Ukraine, sondern um das böse Syrien handelte. Denn diese Sorte Bürger macht bei der Feindschaft gegen Russland nicht mit.
Aber auch das Volk auf Linie bekommt die Ansagen von Selenskyjs Regierung hart zu spüren. Es hat alles zu mobilisieren für den Kampf gegen die angreifenden Russen und Zerstörung, Hunger und Tod hinzunehmen. Und dazu alle wehrfähigen Männer in die Schlacht zu werfen. "Wir" müssen uns gegen den "Aggressor" doch verteidigen? Als wenn der es auf den Bauernhof, die Familie oder das Auto von Jelenska Normalbürgerin abgesehen hätte.
Der ukrainische Staat lässt sein Volk bluten für seinen sehr von seinen Untertanen getrennten Zweck, sein Heil in den Armen des Westens zu finden – koste es dieses Volk, was es dafür bezahlen muss. Das kann dann schon den Verlust des Bauernhofs, der Familie und des Autos bedeuten. Denn das Material und die Menschen stellen schließlich die Mittel des Staats, mit denen er seine Gewalt ermöglicht und anwendet.
Im Krieg sind sie daher logisches Ziel der Auseinandersetzung – sofern sich das Volk es gefallen lässt, für den Staat, dem es unterstellt ist, den Krieg zu führen. Zivile Opfer und zerstörte Wohngebiete stellen daher keine Ausnahme dar, sondern gehören notwendig zu modernen Kriegen – zu studieren an allen der jüngeren (zum Beispiel Irak, Jugoslawien, Vietnam) und älteren Vergangenheit (Erster und Zweiter Weltkrieg).
"Realer Pazifismus": Mit Gewalt Verhandlungen erzwingen
Was soll angesichts dessen ein "realer Pazifismus", wie ihn Franz Alt vorschlägt, bewirken? Gewalt durchaus anwenden gegen Russland, um den Angriff zu stoppen; aber das Verhandeln nicht vergessen! Da findet er den Satz von Bundeskanzler Helmut Kohl aus seiner Regierungserklärung von 1982 gut, gegen die damals sehr starke Friedensbewegung gemünzt:
Frieden schaffen mit immer weniger Waffen (statt ohne Waffen – B.H.).
Klar, wenn der dem Westen genehme "Frieden" – also die Welt im Griff haben fürs globale Geschäft – mit weniger Aufwand zu bekommen ist, warum nicht? So ist das wohl gewiss nicht gemeint. Eher geht es um die Vorstellung, eine Welt mit weniger Waffen würde weniger gewalttätig, mithin sicherer. Und dafür müsste stattdessen der Diplomatie der Vorrang gegeben werden.
So sieht das auch die Berliner tageszeitung und präzisiert den angesagten neuen Pazifismus:
...eine Art bewaffneter Pazifismus. Einer, der den Einsatz von Militär nicht ausschließt, dabei aber nie vergisst, dass der nur das Mittel zum Zweck sein darf: dem Erreichen einer Verhandlungslösung. Für Idealist:innen mag das absurd, ja hart klingen. Aber Pazifismus ist eben nichts für Weicheier.
Der verantwortungsvolle Pazifist von heute setzt demnach Kanonen und Panzer nur ein, um eine Verhandlungslösung zu erreichen. Solange schießen, bis der Gegner merkt, er kann nicht gewinnen, oder er verliert sogar.
Ja, dann kommt es zu Verhandlungen – weil eine der beiden Kriegsparteien ihren Kriegszweck nicht erreicht oder ihr schlicht Munition und Menschenmaterial ausgehen. Solche Art Verhandlungen sind daher keine friedliche Veranstaltung, sondern behandeln brutal die Konditionen für Sieg und Niederlage.
Was daran gewaltfrei, auch nur der Tendenz nach sein soll, bleibt das Geheimnis des bewaffneten Pazifisten. Gewalt anwenden muss man heutzutage einfach wollen, das gehört zum neuen guten politischen Ton. Wer das nicht kann, ist ein "Weichei".
Die Partei Die Linke plädiert in eine ähnliche Richtung, vor dem Hintergrund der beschlossenen Lieferungen deutscher Leopard-Panzer:
Der Krieg muss sofort beendet werden, Russland muss die Truppen aus der Ukraine zurückziehen. Die Ukraine hat das Recht auf Selbstverteidigung gegen den Angriff Russlands. Aber mehr Waffen-Lieferungen werden nicht zu einem Ende des Krieges führen – das geht nur mit Verhandlungen und Diplomatie.
Verhandlungen und Krieg gehören zusammen
Dass die Nato mitsamt den unterstützenden USA und der EU ebenfalls raus aus der Ukraine sollen, fällt der Partei nicht ein. Damit entfiele zwar der Kriegsgrund für Russland, und es gäbe tatsächlich den Raum für Verhandlungen.
Doch von der angesagten politmoralischen Verurteilung Putins will auch Die Linke nicht lassen. Nur ein bisschen weniger Waffen wäre gut, lautet ihr bescheidener Einwand. Ab welchem Umfang die gewünschte Wirkung sich entfaltet – nur ein paar Haubitzen, aber "keine Leos"?
Absurd, das kann natürlich nicht bemessen werden. Es ist auch gar nicht die Zahl der Waffen, die eine Verhandlung verhindert. Sondern die Kriegsparteien schauen, inwiefern ihre Kriegsziele in Reichweite oder gar bereits erreicht sind. Dann erfolgt das Angebot für eine Verhandlung – nämlich darüber, in welchem Maß der angeschlagene oder geschlagene Gegner zur Aufgabe seiner Kriegsziele bereit ist.
Verhandlungen und Krieg sind daher keine Gegensätze. Vielmehr finden die Gespräche zwischen Staaten auf Basis der jeweiligen Machtverhältnisse statt. Dabei kann sich für einen Staat herausstellen, dass es keinen Krieg braucht, um seinen Willen einem anderen Staat aufzuzwingen. Weil er eben genügend Gewaltmittel in der Hand hat – in Form ökonomischer Erpressung und des sie absicherndern Militärs.
Krieg bleibt dann aus, es braucht ihn nicht, um den Zweck zu erreichen. Umgekehrt ist er das letzte Mittel, wenn die Diplomatie versagt. Das heißt, wenn die Drohung mit unangenehmen Maßnahmen bei der Gegenseite nicht verfängt. So viel zur angeblich friedlichen Seite diplomatischer Treffen.
Der reale, weil bewaffnete Pazifist reiht sich ein in die Phalanx der gewalttätigen Solidarität mit der Ukraine. Sein konstruktiver Hinweis, mit Gewalt allein sei es jedoch nicht getan, sondern man müsse davon auch wieder herunterkommen, fügt der von Waffenlieferungen beherrschten hiesigen Debatte einen zwar nicht nötigen, aber wunderbar moralischen Akzent hinzu: Die Ukraine im Krieg gegen Russland unterstützen, ja. Doch bitte maßvoll und schauen, wann es Gelegenheit zu Verhandlungen gibt.
Und so guten Gewissens und mit mahnendem Zeigefinger bei alldem mitzumachen, was die Bundesregierung treibt. Größere Scheunentore, die sperrangelweit offen stehen, kann man nicht einrennen.
Kein Platz für "echten" Pazifismus: Gewalt gehört zum guten Ton
Was aber würde ein echter Pazifist sagen, der die Zeichen der Zeit einfach nicht erkennen will? Ein solcher Mensch lehnt bekanntlich Krieg als Mittel der staatlichen Auseinandersetzung ab, fordert den Verzicht auf Rüstung und militärische Ausbildung.
Er verweist auf das unendliche Leid und die Zerstörung, die mit Krieg einhergehen. Das muss nicht sein, lautet das Credo. Die Staaten können doch friedlich Konflikte lösen. Und wenn sie kein Militär hätten, was bliebe ihnen anderes übrig?
Ein solcher Standpunkt muss sich eine ganze Menge wegdenken. Er muss nicht wissen, was Staaten auf der Welt treiben, welcher Art die Konflikte sind, die sie immerzu gegeneinander aufbringen.
Er muss nicht so schnöde Begriffe kennen wie "Konkurrenz" um Märkte und Einflusssphären und wie das zu wechselseitigen Erpressungen bis zu Androhungen und Anwendungen von Gewalt führt.
Er muss keinen Zweifel gegenüber einem Zustand namens "Frieden" hegen, in dem die Staaten ihre Völker für ihre Zwecke herrichten, benutzen und aufeinanderhetzen, wenn es opportun erscheint.
Er muss nicht bemerken, dass Staaten sich im Frieden auf Krieg vorbereiten, weil zur Erhaltung des Friedens, wie sie sich ihn vorstellen, öfter Krieg nötig ist. Das sind dann die bekannten friedenserhaltenden, -sichernden oder -schaffenden Maßnahmen. Und für alle diese Fälle und Phänomene benötigt nun einmal jeder Staat, der etwas auf sich hält in der Welt, ein ordentliches Militär.
Insofern liegt dieser "Fundamental-Pazifismus" tatsächlich fern der Realität. Er kümmert sich nicht um die gegensätzlichen Interessen und ihre Verfechter, die Staaten. Eine Kritik an der Herrschaft, der er untersteht, fällt ihm nur hinsichtlich der Gewalt ein: Bitte lassen, muss doch nicht sein! Ansonsten weiß er schon, wo sein "Vaterland" ist.
Entsprechend national gerät seine Perspektive. "Sein" Deutschland gilt es zu unterstützen, damit "wir" in der Welt für das Gute sorgen. Dabei gibt er den Mahner – ohne den Einsatz von Militär wäre das Bild des guten Deutschlands erst so richtig rund!
Kein Wunder, dass diese Pazifisten derzeit hier keine Konjunktur haben: Denn zum guten Deutschland gehört es gerade, in einem Krieg eine Seite mit allen Gewaltmitteln zu unterstützen. Aber theoretisch darf man ihren Standpunkt gern aufwerfen. Um ihn dann umso heftiger auf den Schutthaufen der Geschichte zu schmeißen.