Keine Zeit für Schmerz
Alle werden manipuliert. Martin Scorseses Western "Killers of the Flower Moon": Der vielleicht beste Film über das schlechte Gewissen der Vereinigten Staaten von Amerika.
Dies ist eine Abrechnung mit dem amerikanischen Traum. Und vielleicht der beste Film über das schlechte Gewissen der Vereinigten Staaten von Amerika. Ein Thema, das Regisseur Martin Scorsese seit jeher sehr am Herzen liegt.
Bisher hatte der New Yorker Italoamerikaner vor allem den Gangsterfilm - in "Goodfellas" oder "Casino" - zum Spiegel einer ganzen Nation und ihrer Leiden erhoben. Mit "Gangs of New York" wendete er den Gründungsmythos der Staaten gegen sich selbst, mit "Wolf of Wall Street" ironisierte er den Kapitalismus.
Scorseses neuer Film "Killers of the Flower Moon" ist nun ein Western. Aber kein normaler Western, sondern ein desillusionierter, der in den 1920er-Jahren spielt, und einem Gangsterfilm zum Verwechseln ähnlich sieht und vor allem an Scorseses Vorbild Sergio Leone und dessen Western-Oper "Spiel mir das Lied vom Tod" erinnert. Und an Paul Thomas Andersons "There will be Blood".
Der Tod und das Töten sind auch hier ganz präsent: So wie die Mythen - die aber nur da sind, um vom Regisseur auseinandergenommen zu werden.
Gerissen-böser Strippenzieher mit idiotischen Marionetten
Weiße Gier nach schwarzem Gold unter roter Erde. Es geht von Anfang an um Farben und Kontraste. Auch um Hautfarben und Rassismus. In "Killers of the Flower Moon" schlüpfen wir Zuschauer in die schmutzige Haut eines von Anfang an Gescheiterten: Ernest Burkhart heißt dieser von Leonardo DiCaprio gespielte, alles andere als liebenswerte Trottel.
Killers of the Flower Moon (10 Bilder)
Als armer Schlucker und Veteran des Ersten Weltkriegs kommt er nach Oklahoma zu seinem Onkel William, den Robert de Niro verkörpert. William ist ein reicher Ölbaron, doch er muss sich das Land und seinen unermesslichen Reichtum unter der Erde mit den Osage-Indianern teilen.
Das will er nicht akzeptieren. Darum hat William einen teuflisch-hinterhältigen Plan ausgeheckt, in den er seinen Neffen verwickelt: Er verheiratet die Töchter der Indianer mit seinen Verwandten, und bringt dann eine nach der anderen ums Leben.
Ernest wird zur idiotisch-bösen Marionette in den Händen dieses gerissen-bösen Strippenziehers.
Böse Clowns
So entsteht ein abgründiges Puppenspiel, in dem alle manipulieren oder manipuliert werden. Im Scorseses Wildem Westen gibt es keinen Platz für Liebe und Zuneigung. Und es gibt keine Zeit für Schmerz. Es gibt nur die Zivilisation, die von der Barbarei kaum zu unterscheiden ist, und den Hunger der kleinen Männer, die morden, lügen, erobern.
"Killers of the Flower Moon" ist die Geschichte von solchen Männern, die bösen Clowns gleichen, die das Neue, das Andere und den Fortschritt nicht akzeptieren, weil sie ihn nicht verstehen. Sie klammern sich an alte Zeiten, an das vermeintlich bessere "Früher" und an das Recht des Stärkeren, mit aller Macht. Das ist auch für sie sehr anstrengend und Scorsese verbirgt diese Anstrengung nie, die die Protagonisten dieser Geschichte oft lächerlich erscheinen lässt.
Groteske Menschen mit Cowboyhüten auf dem Kopf und Gewehren in der Hand, die in ihrem Verhalten und ihrer Haltung nicht ernst zu nehmen sind. Aber die morden wie Bestien. Das ist es, was diesen Film aktuell und sehr zeitgemäß macht: Man muss an das gegenwärtige Amerika denken. Und auch an Donald Trump, den bösen Clown auf dem Präsidentensessel, seinen Clan und seine Wähler.
Das Ende der Mythen
Es gibt nichts Mythisches mehr zu erzählen. Scorsese hat genug von den coolen Gangstern, charismatischen Figuren und witzig-scharfen Dialogen seiner früheren Filme. Es ist ein Kurswechsel, der aus "Killers of the Flower Moon" einen Film macht, der tragisch ist in dem, was er sagt, aber auch brillant und lustig in der Art, wie er es sagt.
Nur das Tempo des Films ist zwischendurch manchmal schleppend und zu breit; erst im letzten Drittel mündet alles in ein außergewöhnliches Finale.
Scorsese und seine Darsteller erzählen viel durch ihre Körper und Gesichter. Leonardo DiCaprios Ernest ist von einer Grimasse der Selbstverachtung gezeichnet. Robert De Niro dagegen ist ein Schurke, der wie Mephisto Lust an der eigenen Bosheit empfindet.
Das Ergebnis ist eine tiefgründige Untersuchung des menschlichen Elends, erzählt in einem Epos, das eines großen Romans würdig ist. Amerikanisch, versteht sich. Seine Seiten sind mit Blut und Öl befleckt.