Keine Zensur in San Sebastian
Ein Filmfestival zeigt Filme, es cancelt sie nicht: Eine Eta-Dokumentation ärgert alle Seiten. Worum es geht. Eine Kritik der Manipulationen.
Vor einem Jahr war es der Österreicher Ulrich Seidl, dessen Film "Sparta" von deutschen Medien, allen voran dem Spiegel, skandalisiert wurde. Das Hamburger Magazin und kurz darauf Zeit online hatten den US-Amerikanern hinterher- und einen Skandal herbeigeschrieben.
Ohne echte Belege, nur nach Hörensagen wurde an einer Rufschädigung Seidls gestrickt, offenbar weil Ästhetik und Attitüde des Mannes den mittelalten Kulturkämpfern des woken Neu-Feuilletons nicht passen und Skandalisierung wie auch im Fall von Rammstein immer Auflage macht.
Während Filmfestivals und andere in Deutschland sich von Seidl eilig distanzierten, blieb nur das Filmfestival von San Sebastian standhaft. Denn hier hat man seit Franco und der katholischen Kirche Erfahrung mit Zensur, darum findet sie hier nicht statt.
Ein Filmfestival sei dazu da, Filme zu zeigen, nicht sie und die Macher zu canceln, lautet die unmissverständliche Position.
Verbotsgeschrei gegen Eta-Doku
In diesem Jahr gibt es mit "No me llamo Ternera" ("Ich heiße nicht Ternera") von dem in Spanien bekannten TV-Journalisten Jordi Évole einen neuen angeblichen "Skandalfilm" und das dazugehörige Verbotsgeschrei.
Dies und 500 spanische Unterschriften für einen Zensurakt interessiert deutsche Medien wie die taz mehr als die spanischen. Aber auch hier blieb das Festival standhaft gegen alle Zensurversuche.
"Schutzgelder", "Bestrafungen" und Angst und Schrecken
Im Zentrum von "No me llame Ternera" steht ein fast 70-minütiges Interview mit dem Eta-Kämpfer Josu Urrutikoetxea, einer der Führungsfiguren der 2018 aufgelösten nationalistschen Terrorgruppe, die als Widerstandsorganisation unter der Franco-Diktatur begann, sich aber zuletzt mehr und mehr zur Mafiabande gewandelt hatte, die "Schutzgelder" kassierte, Verfolger "bestrafte" und die angeblich zu befreiende Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzte.
Urrutikoetxeas Kampfname lautet Josu Ternera. Der Film ist hochspannend, auch wenn der Interviewer nicht gut nachfragt, und der Film auch sonst nicht richtig gelungen ist: Der Kontext der nur Spezialisten bekannten Ereignisse wird bloß sehr willkürlich gegeben. Und der Film "framed" zu sehr, indem er immer wieder ein Opfer – den schwerverletzten Bodyguard eines 1976, also noch zur Zeit der Diktatur ermordeten Bürgermeisters – ins Bild rückt.
Völkische Identitätspolitik der Basken
Das Ergebnis zeigt, dass in der Frage "Terror" und "Baskenland" beide Seiten komplett aneinander vorbeireden: Hier die "Militantes" und "Soldaten", dort die Mehrheitsgesellschaft, die sich nur für Emotionalisierung und Opfer, aber nicht für Begründungen des bewaffneten Kampfes interessiert.
Dabei wäre es erklärungsbedürftig, warum die Eta, die im Widerstand gegen Francos Diktatur begann, 90 Prozent der von ihr ermordeten 852 Menschen während der Demokratie getötet hat.
Man wüsste auch gern mehr über die im Film mehrfach erwähnte Angst in der Gesellschaft des Baskenlands.
Und natürlich hätte man von Ternera gern selbst gehört, wie er sich als Linker begreifen kann, gleichzeitig aber völkische Identitätspolitik vertritt, dessen Kern ein ethnisch gesäuberter Nationalstaat und völkischer Nationalismus bildet.
Polemisch könnte man fragen: Was unterscheidet den baskischen National-Kitsch – eine antizentralistische Erfindung baskischer Großgrundbesitzer und Industrieller im 19. Jahrhundert – vom bayerischen Ethnokitsch eines Hubert Aiwanger?
Wer nicht verstehen will, muss wiederholen
Der Filmemacher sagt zu Beginn zu "Ternera": "I respect the language you use." Dennoch geht es dann vor allem um "Grausamkeit" und "Brutalität", nicht etwa um dessen politische Ziele. Die werden niemals Thema, sie werden gar nicht wirklich ernst genommen.
Genau das müsste aber passieren. Wer nicht lernen und verstehen will, muss wiederholen.
Im Dauerschleifenbild des Opfers ist dies ein manipulativer Film, weil er nur aus der Opferperspektive erzählt.
Damit sind die Sachen aber nicht zu Ende erzählt; das ist gar nicht mal ein Anfang. Sondern man muss sich schon auf die Perspektive der Leute einlassen, wenn man sie verstehen will. Man muss sie nicht verstehen. Aber wenn man das tun will, dann muss man anders agieren.
Die Leichen im Keller der Franco-Nachfolger
So kann dieser Film den Eta-Sympathisanten nicht gefallen. Der anderen Seite gefällt er aber auch nicht.
Sie möchte, dass einer wie Ternera gar nicht erst sprechen darf. Man möchte als Eta-Gegner darin bestätigt werden, selbst auf der richtigen Seite zu stehen und nichts falsch gemacht zu haben.
In dieser Sichtweise verbünden sich die Nachfolgeparteien des Franco-Faschismus, deren Leichen friedlich im Keller schlummern, mit den demokratischen Sozialisten, Liberalen und Republikanern, die von Franco einst ermordet oder ins Exil getrieben wurden, und deren Anliegen eine Demokratisierung Spaniens war.