Keine zwei Jahre her: Als Polizeigewalt in Deutschland niemanden störte

Seite 2: Polizeigewalt: Einmal akzeptiert, einmal skandalisiert

Die Aktivistengruppe "Letzte Generation" hat der deutschen Polizei indirekt Folter vorgeworfen. Über einen auf Video dokumentierten Fall in Berlin hatte auch Telepolis berichtet. Beim Auflösen von Straßenblockaden setzten die Beamten immer wieder sogenannte Schmerzgriffe ein, beklagten die Aktivisten nun auch unabhängig von Einzelfall in Berlin.

"Die Polizei in Deutschland, vor allem die Polizei Hamburg, setzt sogenannte Schmerzgriffe gegen friedliche Menschen ein, um sie zu etwas zu zwingen oder sie abzuschrecken. Das ist nicht mit dem Folterverbot der UN vereinbar", schrieben Klimaaktivisten am Donnerstag auf Twitter.

Video und Behauptung hatte einen erstaunlichen medialen Impact dafür, dass es sich nur um ein Video und eine Behauptung handelte, die zudem rechtlich umstritten ist. Denn die Letzte Generation könnte sich ja nicht nur auf die Antifolterkonvention berufen, sondern die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen zum Thema Folter einschalten, die Australierin Alice Jill Edwards.

Das ist schon einmal geschehen – und es ist gar nicht so lange her. Vor gut eineinhalb Jahren hatte sich Edwards Vorgänger, der Schweizer Nils Melzer, nach heftigen Polizeiübergriffen auf Corona-Maßnahmenkritiker zu Wort gemeldet.

In seiner Eingabe verwies er damals auf Informationen, die er im Zusammenhang mit mehreren Fällen übermäßiger Gewaltanwendung durch Polizisten "unter offensichtlicher Verletzung der Grundsätze der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit bei Kundgebungen gegen die staatlichen Coronamaßnahmen in Berlin am 1. August 2021 und in Dresden am 19. April 2021" erhalten habe. Die spätere Antwort der Bundesregierung fiel ausweichend aus, Medien juckte die Beschwerde des UN-Sonderberichterstatters kaum.

Mehr noch. Der Redakteur der Süddeutschen Zeitung, Ronen Steinke, schrieb nach der offiziellen Eingabe Melzers an die Bundesregierung, der Schweizer Jurist setze sich "für Opfer staatlicher Gewalt ein, und besonders für Julian Assange". Jedoch mehrten sich die Hinweise, "dass er dabei zu weit geht", so Steinke und sein Ko-Autor Thomas Kirchner damals.

Wie ein Vertreter der Vereinten Nationen bei seinem Einsatz für Opfer staatlicher Gewalt "zu weit gehen" kann und ob bei der Kritik an staatlicher Gewalt Grenzen geboten sind, beantwortete der Artikel kaum. Stattdessen raunte es in dem Text, Melzer habe "auf Twitter viele zweifelhafte Kontakte" und sei "auch bei RT, dem staatlich finanzierten russischen Propagandasender, (…) regelmäßig zu Gast, als profilierter Kämpfer für den inhaftierten australischen Whistleblower Julian Assange. Wenn man sich bei ihm meldet, ruft er blitzschnell zurück, auch spät abends."

Weitaus gnädiger war Steinke nun nach den Vorwürfen der Klimaaktivisten. "Blockieren Demonstranten den Verkehr, dürfen Polizisten sie von der Straße räumen, wenn nötig mit Zwang. Aber wo liegt die Schmerzgrenze – auch gesetzlich?", fragt Steinke nun nachrichtlich-langweilig.

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