Kettenaktion
Pandora’s Tower von Nintendo
Im letzten Jahr legt Nintendo gleich drei komplett neue Rollenspiele für die Wii auf. Nach "Xenoblade Chronicles" und "The Last Story" folgt jetzt mit "Pandora’s Tower" ein sehr Action-lastiges Spiel, das mehr auf Kämpfe als auf Charaktermanagement setzt.
Die schöne Helena leidet unter einem Fluch, der sie langsam, aber sicher in ein Monster verwandelt. Das Unheil manifestiert sich in einem Symbol auf ihrem Rücken und führt dazu, dass ihre Haut sich verändert und ihr Körper mutiert. Das einzige, das die Verwandlung aufhält und zumindest zeitweise revidiert, ist rohes Bestienfleisch. Sie muss Monster verzehren, um nicht selbst zu einem zu werden.
Das Essen des Fleischs bereitet ihr sichtbar Abscheu. Selbst gestandene Grillfreunde wären nicht sonderlich scharf auf die triefenden, schleimigen Brocken. Die Ironie des Schicksals will, dass Helena einem Volk von Vegetariern abstammt.
Der Verzehr eines Fleischstücks hilft zwar vorübergehend, aber die Verwandlung geht unaufhaltsam weiter. Die einzige wahre Medizin ist Meisterfleisch. Dieses stammt von den Bossen der dreizehn Türme, die im Zentrum des zerrissenen Landes stehen. Helena selbst ist zu sehr damit beschäftigt, den Fluch zu überleben. Daher steht ihr der Krieger Aeron hilfreich zur Seite, den der Spieler durch die Türme steuert, um in zahlreichen Kämpfen zu den Meistern vorzudringen und diese zu bezwingen.
Das Setting bietet den Hintergrund für ein Action-Rollenspiel, das Capcoms "Devil-May-Cry"-Serie deutlich ähnlicher ist als den jüngsten Wii-Rollenspielen Xenoblade Chronicles (vgl.: Das Schwert der Erkenntnis) und The Last Story. Die Türme sind von unzähligen Monstern bevölkert. Die Waffen des Helden sind anfangs ein Schwert und vor allem die sogenannte Oraclos-Kette.
Überhaupt spielen Ketten eine prägende Rolle in Pandora’s Tower: Die dreizehn Türme sind mit schweren metallenen Gliederbändern verbunden und die Türen der jeweiligen Meister mit Ketten versiegelt. Aeron muss zunächst in jedem Turm deren Stahlanker lösen, bevor er sich dem Kampf mit dem Boss stellen kann.
Die Oraclos-Kette ist in seiner Hand eine überaus vielseitige Waffe und das spielerische Markenzeichen von "Pandora’s Tower". Sie ist die einzige Möglichkeit das Bestien- und Meisterfleisch aus den besiegten Monstern und Bossen zu reißen. Darüber hinaus ermöglicht sie diverse Kampftechniken. Aeron kann Gegner mit ihnen fesseln und so in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken und den Monstern durch Reißen Schaden zufügen. Hat er bereits ein Monster an der Leine und wirft das andere Ende auf einen zweiten Gegner, überträgt sich zudem der Schaden, den Aeron einem der beiden zufügt, auch auf den anderen. Im späteren Spielverlauf lernt Aeron kleinere, gefesselte Gegner im Kreis um sich zu schwingen und so einen wirkungsvollen Schutzwall gegen weitere Angreifer zu errichten.
Selbstverständlich lassen sich die Monster nicht wehrlos jagen, sondern schlagen auf ihre Weise zurück. Einige können beispielsweise Feuer spucken und alle versuchen sich aus der Umklammerung durch die Kette zu befreien, was ihnen auch nach einiger Zeit gelingt. Aeron hält seinerseits die Feinde durch geschicktes Gegensteuern an der Leine und maximiert so den Druck für den Reißangriff.
Neben der Masse an relativ einfach zu bezwingenden Monstern gibt es immer wieder Mini-Bosse, die eine spezielle Herangehensweise erfordern. Die großen Bosskämpfe gegen die Meister der Türme bieten die aus unzähligen Videospielen bekannte Kombination aus Ausnutzen der erkannten Schwachstelle und Ausweichen vor den unterschiedlichen Angriffsmustern.
Zusätzlich warten in den Türmen einige Puzzles, zu deren Lösung größtenteils ebenfalls die Kette in unterschiedlicher Form zum Einsatz kommt. Anfangs sind die Aktionen noch offensichtlich, aber im späteren Spielverlauf steigt die Anforderung.
Überhaupt ist der Schwierigkeitsgrad beziehungsweise dessen Steigerung gut gelungen. Bei den ersten Kämpfen darf der Spieler noch experimentieren und sich auf die Kombination aus Schwert und Kette einstellen. Relativ bald ist dann aber eine gute Mischung aus Taktik und Reaktion gefragt. Der erste Boss ist noch Fallobst, die späteren dafür abwechslungsreich und fordernd.
Beim Erforschen darf der Spieler nie die Zeit aus den Augen verlieren. Wenn Helenas Mutation zu weit fort schreitet, muss Aeron mit einem frischen Stück Bestienfleisch zu ihr zurückkehren. Glücklicherweise sind die Türme mit einigen Abkürzungen versehen. So kann der Held beispielsweise auf einer oberen Etage eine Leiter herabschieben, die ihm bei der Rückkehr als Shortcut dient.
Das zeitliche Element haben die Entwickler von Ganbarion, von denen vor allem einige "One-Piece"-Games stammen, geschickt integriert. Es bringt Dynamik ins Spiel und wird dank der Abkürzungen nicht lästig. Auch hat der Spieler nie das Gefühl unverrichteter Dinge heimzukehren, selbst wenn er den Meister noch nicht erreicht hat. Jeder Kampf beschert Aeron Erfahrungspunkte und damit in regelmäßigen Abständen die rollenspieltypischen Stufenaufstiege, die seine Kampfwerte und Lebensenergie verbessern. Neben dem Bestienfleisch sammelt er zudem diverse andere Gegenstände von besiegten Gegnern und aus Truhen.
Bei Helena wartet Mawda, eine alte Frau, die beinahe wie eine Figur aus einem Ghibli-Anime wirkt. Sie ist diejenige, die Helena und Aeron am Beginn der Handlung zu den Türmen führt und den beiden den Fluch und die Wirksamkeit des Bestien- und Meisterfleischs erklärt. Gleichzeitig fungiert sie als Händlerin, die äußerst interessiert an all den Gegenständen ist, die Aeron in den Türmen sammelt. Im Gegenzug bietet sie Heiltränke und ähnliche Hilfsmittel an. Gegen einen kleinen Obolus repariert Mawda defekte Gesgenstände. Mit Hilfe bestimmter Beute wie Fellen und Metallen stellt sie Ausrüstung her und verbessert Aerons Waffen.
Das Item- und Level-System ist sehr überschaubar. Es verzichtet auf Baumstrukturen zur Spezialisierung. Die erzählte Geschichte ist interessant, aber auf den Verlauf der Handlung haben die Aktionen des Spielers wenig Einfluss. Lediglich das Ende hängt vom Verhältnis der beiden Protagonisten zueinander ab. Dieses wird vor allem dadurch bestimmt, wie oft der Spieler das Gespräch mit Helena sucht und wie viel des gesammelten Geldes und der gefundenen Gegenstände er nicht nur in die eigene Ausrüstung, sondern für Geschenke investiert. Ansonsten ist der Handlungsfaden geradlinig und wird vor allem von den Visionen vorangetrieben, die Helena nach dem Verzehr von Meisterfleisch hat.
Die Steuerung ist überwiegend flüssig, hakt aber gelegentlich an entscheidenden Stellen wie beispielsweise beim Schwingen mit der Kette. Besonders ärgerlich, wenn auch selten, sind Abstürze des Helden aufgrund der verzögerten Reaktion des Spiels auf die Steuerung. Ein weiteres technisches Manko ist die fixe Kamera, die besonders dort zum Problem wird, wo sich beispielsweise im Kampf durch einen Perspektivenwechsel die Ausrichtung und damit die Steuerung ändert. Visuell ist "Pandora’s Tower" Mittelmaß. Oft wirkt die Grafik grob und flimmert mehr als in anderen Wii-Titeln. Der Soundtrack ist dafür sehr schön und vermischt geschickt Eigenkompositionen mit bekannten Werken wie beispielsweise dem "Liebestraum" von Franz Liszt.
Gerade weil Nintendo "Pandora’s Tower" als drittes Rollenspiel vermarktet, steht es im Schatten der beiden direkten Vorgänger. "Xenoblade Chronicles" war die positive Überraschung des vergangenen Jahres schlechthin und auch "The Last Story" vom "Final-Fantasy"-Macher Hironobu Sakaguchi ist ein großartiges Rollenspiel. Wer ein weiteres JRPG erwartet, wird vom jüngsten Spiel enttäuscht: Die Charakterentwicklung spielt ebenso eine Nebenrolle wie die Handlung. Im Kern ist "Pandora’s Tower" eben ein Action-Spiel. Als solches kann es dann auch weitgehend überzeugen. Besondere Pluspunkte sammelt es durch die variablen Möglichkeiten der Oraclos-Kette und in den abwechslungsreichen Bosskämpfen.
"Pandora’s Tower" hat interessante Ansätze und ist eigentlich ein gutes Action-Rollenspiel. Leider drängt sich zu oft der Vergleich zu anderen Spielen auf, die jeweils etwas besser machen: Die Kämpfe in "Devil May Cry" sind packender und abwechslungsreicher, die Puzzles und Dungeons in den "Zelda"-Titeln sind deutlich besser und die "God of War"-Spiele sind flüssiger und beeindruckender. Trotzdem oder gerade deshalb wäre eine Fortsetzung wünschenswert, die auf den individuellen Stärken wie den Möglichkeiten der Kette, dem Zeitmanagement und den Bosskämpfen aufbaut und die Schwächen ausmerzt. Damit könnte eine neue interessante Serie entstehen. Als Einzeltitel würde "Pandora’s Tower" vermutlich irgendwann in Vergessenheit geraten.
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