Kirchhof fühlt sich als Opfer von Medienmanipulation

Der Ex-Steuerfachmann aus dem Kompetenzteam von Angela Merkel bot seiner Ansicht nach als Vertreter der offenen Wissenschaft leichte Angriffsflächen für die Pressemeute

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Paul Kirchhof, der von Bundeskanzler Gerhard Schröder nur als "Professor aus Heidelberg" titulierte ehemalige Steuerexperte aus dem Kompetenzteam von CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel, fühlt sich von den Medien ungerecht behandelt. Sein revolutionäres Steuerkonzept, dem er noch eine große Zukunft verspricht, sei verkürzt dargestellt worden. Auch das Medienbild Merkels sei häufig zur Karikatur verzerrt worden.

Medienmanipulation die zweite: Nachdem Schröder am vergangenen Wahlsonntag in seiner Klammer-Rede in der SPD-Parteizentrale in Berlin und stärker noch später beim Elefantenduell im TV heftige Medienschelte betrieb und inzwischen von Genossen dabei gestützt wird ("Schröder verhindert bis heute eine kritische Bilanz seiner Politik"), zog Paul Kirchhof am Donnerstagabend auf der Speakersnight am Rand des Kommunikationskongresses des Bundesverbands deutscher Pressesprecher nach.

Paul Kirchhof bei der Speakersnight 2005. Weitere Bilder von der Veranstaltung bei AEDT.de

Vertreter der naturgemäß offenen Wissenschaft, die sich dem Transparenzprinzip verschrieben hätten, könnten aufgrund einer manipulativen Medienberichterstattung leicht "ins politische Hintertreffen" geraten, betonte der ehemalige Verfassungsrichter auf sich bezogen in der Berliner Philharmonie. Generell plädierte er für mehr Sachlichkeit in der Presse, denn "die Macht des Wortes kann Freiheit zerstören und Menschen vernichten."

Kirchhof nutzte einen seiner ersten größeren öffentlichen Auftritte nach dem mittelmäßigen Abschneiden der Union zunächst für eine allgemeine, stark ethisch und moralisch geprägte Auseinandersetzung mit der Mediendemokratie. Die Medien hätten in unserer Welt den "Dirigentenstab" übernommen, fand der gute Rhetoriker schöne Bilder im Konzertsaal. Die Wirklichkeit werde durch sie "wie in einem Holzschnitt abgebildet". Es gehe also um das Hervorheben von Grundstrukturen, wobei ein sauberes Porträt oder eine entstellende Karikatur herauskommen könne. Längst sei es kein Geheimnis mehr, dass gerade im Fernsehen die an sich "objektive Kamera" durch die "subjektive Auswahl" des Kameramanns und der Redaktion gelenkt werde.

Langsam konkret werdend ging der CDU-nahe Parteilose auf die nicht beim Namen genannten Medienmanipulationen beim TV-Duell zwischen Merkel und Schröder ein. Da seien "Details hervorgehoben oder verborgen worden", gab Kirchhof verklausulierend zu bedenken. Die eine Person hätte man etwa schon auf dem Weg zum Studio Hände schüttelnd und ins Gespräch mit Journalisten vertieft gesehen. Die andere sei mehr oder weniger in die Aufnahmeräume hetzend und überwiegend von hinten gezeigt worden.

Taxifahrer für Kirchhof

Ihm selbst sei ähnlich zugesetzt worden, kam Kirchhof schließlich zur Sache. So sei sein Steuerkonzept häufig als Plädoyer für die Einführung einer Art "Kopfsteuer" präsentiert worden, obwohl davon seit dem Mittelalter keiner mehr spreche. Regelmäßig hätten die Journalisten unterschlagen, dass er eben gerade keinen Einheitssteuersatz in Höhe von 25 Prozent für alle wolle, sondern dass er beispielsweise "Freibeträge für Sekretärinnen" vorgesehen habe. Ein Taxifahrer, der ihn zunächst staunend nach seinen vermeintlich ungerechten Vorschlägen befragt habe, hätte nach dem entsprechenden Hinweis von Kirchhof, dass er angesichts seiner Einkommensklasse von der Steuerzahlung wohl ganz befreit worden wäre, seine Wahl abseits der Union bereut. Statt dies richtig darzustellen, hätten sich die Medien allein auf seine zwangsweise publizierten Streichlisten anderer Steuervergünstigungen gestürzt.

Kirchhof zeigte sich trotzdem überzeugt davon, dass seinen Besteuerungsvorschläge schon bald doch noch eine große Zukunft bevor stünde: Alle großen wissenschaftlichen Theorien bräuchten zwanzig Jahre, bis ihnen der Durchbruch beschieden sei. Die Veröffentlichung seines Konzepts sei nun 18 Jahre her.

Trotz der Darstellungsprobleme sprach sich Kirchhof aber weiter für einen argumentativen Wahlkampf aus, in dem den Bürgern nicht nur immer wieder stereotyp ohne die Bearbeitung von Themen eingebläut werde, dass man der Bessere sei und die andere Seite "es nicht könne". Die "Verlässlichkeit in den Medien" müsse gleichzeitig gesichert werden. Dafür brauche es Akteure, die mit der Macht der Worte und Bilder "wertebewusst und maßvoll" umgehen. Andernfalls dürfte man sich nicht wundern, dass der "Zwang zum Fertigfabrikat" in der Politikersprache weiter um sich greife und nur noch Worthülsen abgesondert werden. Eine Ausnahme bestätigte er seiner politischen Förderin Merkel, die am Wahlabend "besondere Größe in einfacher Sprache ausgedrückt" habe.

Der faule Apfel blieb diesmal am Stamm

Zu guter Letzt stellte Kirchhof die Sinnfrage und stimmte ein Loblied auf die traditionelle Lebensweise an: Ein Journalist habe ihn einmal gefragt, ob er sich nicht schon komisch vorkomme, weil er seit Jahren mit ein und derselben Frau zusammenlebe und mit ihr vier Kinder habe. Doch für den konservativen Öffentlichkeitsrechtler ist ein solches Verhalten die einzige Möglichkeit, um Deutschland aus dem Weg in ein schrumpfendes Seniorenheim und aus der Wirtschaftsmisere herauszuführen. Den Pressesprechern legte er daher nahe, mit den Kolleginnen durchaus auch mal auf Tuchfühlung zu gehen. Aber nur mit Trauschein natürlich.

Die versammelten Branchenvertreter waren nicht auf Konfrontationskurs und übten sich in Selbstbespiegelung: Ihren Journalistenpreis, den "goldenen Apfel", vergaben sie jedenfalls an "brand eins"-Redakteur Jens Bergmann für einen launigen Artikel über die Typologie des Pressesprechers. Zur Begründung hieß es, dass sich der Autor in seinem Beitrag über Die Stimmen des Herrn "feinsinnig, detailliert, nicht immer ganz schmeichelhaft und doch zielsicher" dem eigenen Berufsstand angenähert habe.

Anders als im vergangenen Jahr, wo der Verband den Medienpreis das erste Mal vergab, fiel die Kür des "faulen Apfels" aufgrund tadelnswerter, Pressesprecher links liegen lassender Berichterstattung dieses Mal aus. Die Jury habe dies so entschieden, begründete BdP-Vizepräsident Michael Donnermeyer die Straffung der Preisvergabe. Der Berliner Senatssprecher bedauerte dies, weil es täglich nach wie vor "so viel schlechtes Handwerk" zu erleben gebe. Auf der anderen Seite selbstverständlich. Eine Auszeichnung für den besten oder übelsten Unternehmenssprecher gibt es ja noch nicht.