Klimaaktivisten besetzen Datteln 4: "Und das war erst der Anfang!"
Das Ziel ist weit von den Vorgaben und Machtverhältnissen der Realpolitik entfernt - Wie weit werden sie kommen?
Die Auseinandersetzung um Datteln 4 verspricht 2020 zu einem der Knackpunkte in der bundesweiten Auseinandersetzung um den Klimaschutz und die Zukunft der Stromversorgung zu werden, schrieb Wolfgang Pomrehn vor einer Woche zu den Schulstreiks gegen Datteln 4.
Am heutigen Sonntag konnten die Klima-Aktivisten erneut einen Aufmerksamkeitserfolg erzielen. Die "Besetzung" des Steinkohlekraftwerks in Datteln erschien in sämtlichen Top-News der großen Medien. 150 Aktivisten hätten sich daran beteiligt, gab eine mittägliche Pressekonferenz vor den Toren des Kraftwerks bekannt. Als Beteiligte an der Aktion genannt wurden: Ende Gelände, DeCOALonize Europe, Aktivisten vom Hambacher Forst wie auch Fridays for Future, die gestern zu einem Protestmarsch vor dem Kraftwerk aufgerufen hatten.
Dass laut Dattelner Morgenpost die 430 Teilnehmer gestern beim Protestmarsch "hinter den Erwartungen zurückblieb", wurde der Lokalzeitung zufolge durch die Freude eines Greta Thunbergs Retweets mit großer Reichweite wieder wettgemacht. Auch die heutige Aktion hatte mit Tweets von Luisa Neubauer eine Reichweite über die Medien-Berichterstattung hinaus.
In der Berichterstattung der Dattelner Morgenpost ist Respekt für die Aktion herauszulesen: "Trotz hoher Sicherheitsmaßnahmen ist es Aktivisten von Ende Gelände, DeCOALonize Europe und Fridays-for-Future gelungen, auf das Kraftwerksgelände zu gelangen."
Respekt in der größeren Öffentlichkeit dürfte auch finden, dass die Aktion offenbar ohne größere Auseinandersetzungen, "friedlich", beendet wurde, wie die Polizei und ein Beobachter aus der parlamentarischen Opposition melden. Die Besetzung von Datteln 4 wurde "erfolgreich" beendet, so Ende Gelände am späten Nachmittag: "Und das war erst der Anfang."
Wie weit werden sie kommen? Das Ziel ist sehr weit von den Vorgaben und Machtverhältnissen der Realpolitik entfernt. Nichts weniger will man, als dass Datteln 4 nicht ans Netz geht. "Wir werden wieder kommen, solange #Datteln4 und alle anderen Kohlekraftwerke nicht abgeschaltet sind!" (deCOALonize Europe).
Die Rhetorik bleibt, wenn es um die Formulierung von Dringlichkeit geht, jedenfalls nicht hinter den Erwartungen zurück:
"Wir können es nicht zulassen, dass mit Datteln 4 ein neues Steinkohlekraftwerk ans Netz geht. Wir rasen gerade auf eine Welt vier bis sechs Grad heißer zu. Wir müssen alle Kohlekraftwerke abschalten und kein neues anschalten", sagte eine Sprecherin von "Ende Gelände" am Sonntag.
Tagesschau
Auch präsentieren sich die Begründungen nachvollziehbar. In den großen Linien: Warum ein neues Steinkohlekraftwerk, wenn im Kohlekompromiss von einem ganz anderen Ausstiegsplan die Rede war, wie Mitglieder der Kohlekommission kürzlich kritisierten. Auch die Inbetriebnahme des Steinkohlekraftwerks Datteln 4 verstoße klar gegen den Kompromiss, demzufolge keine neuen Kohlekraftwerke mehr ans Netz gehen sollen. (Kohlekompromiss aufgekündigt). Auch an konkreten Punkten wird nachvollziehbar argumentiert:
Der Konzern Uniper gibt an, im Gegenzug für die Inbetriebnahme von Datteln 4 ältere Steinkohlekraftwerke vom Netz zu nehmen. Kritiker*innen weisen darauf hin, dass diese Steinkohlekraftwerke jedoch erst in zwei bis fünf Jahren heruntergefahren werden sollen. Außerdem sollen diese Kraftwerke nicht komplett abgeschaltet, sondern möglicherweise auf Gas umgestellt werden - ein weiterer klimaschädlicher fossiler Energieträger. Nach Berechnungen des Bundesumweltministeriums wird Datteln 4 über seine Laufzeit rund zehn Millionen Tonnen CO2 mehr ausstoßen als ältere Kraftwerke, die Uniper als Ausgleich vom Netz nehmen will.
Ende Gelände, Pressemitteilung
Noch im Sommer dieses Jahres soll Datteln 4 ans Netz gehen und bis 2038 laufen, dann soll die Kohleverstromung beendet werden. Der Betreiber Uniper ist kein kleiner Gegner für die Klimaaktivisten, dessen größter Aktionär ist das finnische Staatsunternehmen Fortum. Wie Uniper um seine Interessen kämpft, zeigt etwa die Verleihung der "goldene Klobürste" an das Unternehmen durch Attac. Begründet wird der Preis auch damit, dass sich das "Unternehmen überlegt, die niederländische Regierung wegen des beim Nachbarn für 2030 beschlossenen Kohleausstiegs zu verklagen". (The Fracking States of America).
Allerdings ist man auch in diesem Unternehmen aufs Image bedacht, wie sich auch am heutigen Aktionstag im Gelände von Datteln 4 zeigt. Laut Dattelner Morgenpost sagte Uniper-Sprecher Leif Erichsen der Redaktion, dass das Unternehmen vorerst von einer Räumung der besetzten "Portalkratzer" absehe und fügte hinzu, dass man weiter "auf den Dialog mit den Aktivisten setze". Was soll das für ein Dialog sein?
Konkret setzte Uniper auf die Wirkung von Strafanzeigen gegen die Aktivisten. "Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und gegen friedlichen Protest ist aus unserer Sicht nichts einzuwenden. Allerdings haben sich heute Personen widerrechtlich Zutritt zu unserem Kraftwerksgelände in Datteln verschafft".
Die Hoffnung der Klimaaktivisten ruht sehr wahrscheinlich nicht auf einem Dialog, von dem man sich wenig versprechen wird, sondern auf einem größtmöglichen und langanhaltenden Protest. Das hat auch schon manche Energieriesen ins Wanken gebracht (leichter gemacht durch Milliarden-Entschädigungen von der Bundesregierung).