Klimamathematik: Keine weiteren Vorkommen fossiler Brennstoffe mehr erschließen!
Die Energie- und Klimawochenschau: Harsche Kritik am Klimaschutzplan 2050, schwindende Kohlenstoffbudgets und das Klimaschutzverständnis der Luftfahrtbranche
Wie bereits berichtet (Klimaschutz: Nachsitzen im Bundestag), geht es mit großen Schritten voran bei der Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens. 60 Staaten sind nun dabei, damit ist die erste Hürde zum Inkrafttreten genommen.
Die zweite Hürde bilden die 55% der Emissionen, für die die ratifizierenden Staaten verantwortlich sein müssen. Hier fehlen aktuell noch 7 %. Aber auch die EU und nach neuesten Informationen Indien wollen in diesem Jahr noch nachziehen. Der indische Premierminister Narendra Modi hat überraschend angekündigt, dass sein Land am 2. Oktober ratifizieren werde.
Der unzureichende Charakter des Klimaabkommens würde durch ein Inkrafttreten noch in diesem Jahr nicht aufgehoben. Wie wenig die Unterschrift wert ist, demonstriert die deutsche Bundesregierung, die momentan alles daran setzt, ihre Klimaziele nicht zu erreichen. Dafür hagelt es dann auch permanent Kritik von zivilgesellschaftlichen Organisationen.
So begrüßte der Sachverständigenrat für Umweltfragen zwar die Ratifizierung des Klimaabkommens durch den deutschen Bundestag, forderte aber gleichzeitig ambitionierte Taten. "Der deutsche Klimaschutzplan 2050 muss die Paris-Beschlüsse nun konkret umsetzen und darf nicht verwässert werden. Wir benötigen Klimaziele für alle Sektoren, ehrgeizige Maßnahmen und einen Fahrplan für einen sozialverträglichen Kohleausstieg", erklärte Ratsmitglied Claudia Kemfert.
Die vier Umweltverbände BUND, NABU, Greenpeace und WWF sagten sogar ihre Teilnahme an der Verbändeanhörung zum Klimaschutzplan 2050 ab, die am Dienstag stattfinden sollte. In einem an die Bundeskanzlerin gerichteten offenen Brief heißt es: "Der vorliegende Entwurf des Klimaschutzplans wird dem Auftrag nicht gerecht, das Klimaabkommen von Paris umzusetzen, das Deutschland vergangene Woche ratifiziert hat. Ein solcher Plan bräuchte ehrgeizige Ziele und starke Maßnahmen. Diese sehen wir nicht im aktuellen Entwurf. Stattdessen sind weitere Abschwächungen im Verlauf der Ressortabstimmung zu befürchten."
Die Umweltverbände kritisieren, dass der bisherige Beteiligungsprozess durch das Eingreifen des Wirtschaftsministeriums und des Bundeskanzleramts quasi wieder zunichte gemacht worden ist. Ein Klimaschutzplan, der diesen Namen auch verdiene, müsse konkrete Maßnahmen wie u.a. ein Treibhausgasminderungsziel von 95% bis zum Jahr 2050, ein Ende der Kohleverstromung bis spätestens 2035 und das Einleiten einer Verkehrswende enthalten.
Für einen raschen Kohleausstieg plädiert auch ein Bündnis von 50 Initiativen und Organisationen im "Erkelenzer Appell". Die Argumente dafür sind bekannt, neben den Klimazielen zerstört die Braunkohlewirtschaft Natur, Landschaften und Gewässer, langsam regulierbare Braunkohlekraftwerke behindern die Energiewende und Schadstoffe aus Abbau und Verbrennung gefährden Umwelt und Gesundheit.
Die unterzeichnenden Organisationen fordern daher entweder ein Kohleausstiegsgesetz oder zumindest ein Gremium, das alsbald einen Fahrplan für den Kohleausstieg erarbeitet. Bis 2025 müsse mindestens die Hälfte der Braunkohlekraftwerke abgeschaltet werden, neue Tagebaue sowie Erweiterungen bestehender dürften nicht aufgeschlossen werden. Verursacher müssten verpflichtet werden, für Tagebaufolgen und Ewigkeitslasten aufzukommen, ebenso müsse der Ausstieg sozialverträglich erfolgen und alternative Perspektiven für die betroffenen Regionen entwickelt werden.
Bestätigung findet der Erkelenzer Appell in einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag des Umweltministeriums Nordrhein-Westfalen. 71% der zu verschiedenen Nachhaltigkeitsthemen Befragten hielten einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohleförderung für "sehr wichtig" oder "wichtig".
Der schwedische Energiekonzern Vattenfall, der sich mit seinem Ausstieg aus dem Braunkohlegeschäft aus der Verantwortung zieht, scheint derweil auch aus der Steinkohleverstromung in Deutschland aussteigen zu wollen. Wie IWR berichtet, plant der Konzern, das erst Mitte 2015 in Betrieb gegangene Kraftwerk Moorburg zu verkaufen. Sollte der Verkauf gelingen, besäße Vattenfall Deutschland nur noch einige kleinere Kohlekraftwerke in Berlin und Hamburg.
Auch erschlossene Ressourcen müssen im Boden bleiben
Ein Verkauf ist natürlich kein Ausstieg und folgt daher keinesfalls der Erkenntnis, dass überhaupt keine neuen fossilen Brennstoffe mehr erschlossen werden dürfen, um die Erderwärmung unter 2 Grad Celsius zu halten. Einer Studie von Oil Change International zufolge würde das Verbrennen aller derzeit erschlossenen Öl-, Gas und Kohlevorkommen schon zu einem Überschreiten des 2-Grad-Ziels führen, vom 1,5-Grad-Ziel gar nicht zu reden.
Die Mathematik dahinter ist einfach: Man legt einfach das Kohlenstoffbudget zugrunde, das die Menschheit laut IPCC noch ausstoßen darf, um die Erderwärmung auf 2, respektive 1,5 Grad zu beschränken. Für das 2-Grad-Ziel waren das im Jahr 2011 noch 1000 Gigatonnen CO2, wovon 157 Gigatonnen seither aufgebraucht worden sind. Verbleiben 843 Gigatonnen.
Würden die heute erschlossenen Reserven verbrannt, entstünden allerdings Emissionen von 942 Gigatonnen CO2, also 100 Gigatonnen zu viel. Legt man das 1,5-Grad-Ziel zugrunde, wird das Missverhältnis noch eklatanter, denn dann dürfte die Menschheit nur noch 393 Gigatonnen CO2 emittieren. Bei der gegenwärtigen Emissionsrate wäre das Budget in zehn Jahren aufgebraucht. Betrachtet man die geschätzten Gesamtreserven an fossilen Brennstoffen, dürften für das 2-Grad-Ziel sogar 68% nicht verbrannt werden, für das 1,5-Grad-Ziel 85%.
Die Autoren folgern aus dieser Rechnung: Es dürfe keine weitere Förder- und Transportinfrastruktur für fossile Brennstoffe genehmigt werden, Öl- und Gasfelder wie Minen vor allem in reichen Ländern müssten teilweise geschlossen werden, bevor sie ausgefördert seien, und die reichen Länder müssten die armen bei einer nicht aus fossilen Energien beruhenden Entwicklung unterstützen. Keine weiteren Vorkommen fossiler Brennstoffe zu erschließen - das wäre mal eine konkrete Forderung an die Staatengemeinschaft, die sich vertraglich festlegen ließe.
Leider folgen die Nachrichten der Woche dem Motto: Es ist schlimmer als gedacht. Das betrifft auch den Verlust des Grönlandeises. Ein internationales Forscherteam hat gezeigt, dass bisherige Modellierungen des Eisverlustes zu niedrig waren, weil die Hebung der Erdkruste nicht einbezogen worden war. So schrumpfte der Eisschild in den vergangenen zehn Jahren jährlich um 20 Gigatonnen mehr als bislang gedacht, wodurch das Grönlandeis auch stärker zum Anstieg des Meeresspiegels beitrug, statt 3,2 Meter seit dem Höhepunkt der letzten Eiszeit um 4,6 Meter. Den Wissenschaftlern gelang es nun, genauer zu bestimmen, wie stark sich der Untergrund in Grönland pro Jahr hebt und die Landhebung dann von der Eismasse abziehen.
Offsetting statt Emissionsminderung
Um Klimamathematik wird es auch bei der Vollversammlung der internationalen Luftfahrtbehörde ICAO gehen, die am 27. September in Montreal beginnt. Die 191 Mitgliedsstaaten wollen sich auf eine marktbasierte Klimaschutzregelung für den Luftverkehr einigen. Eine reale Emissionsreduktion im Flugverkehr wird es dabei nicht geben, vielmehr werden diese bis 2020 weiter zunehmen, erst danach soll ein weiteres Wachstum des Sektors CO2-neutral erfolgen.
Zwar strebt die Luftfahrtbranche eine höhere Treibstoffeffizienz an, das wichtigste Instrument zur Klimaneutralität wird aber das "Offsetting" sein, d.h. der Ausgleich von Treibhausgasemissionen durch die Finanzierung von Klimaschutzprojekten. Die Teilnahme an einem entsprechenden Ausgleichssystem ("Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation") soll im Zeitraum von 2021 bis 2027 jedoch freiwillig bleiben.
Umwelt- und Entwicklungsorganisationen kritisieren das Instrument als nicht ausreichend und nicht hinreichend abgesichert. Das Wort Reduktion im Namen sei Greenwashing, schreibt Germanwatch, denn es würden keine Ziele zur Emissionsminderung gesetzt. Zudem gäbe es keine Kriterien für die Ausgleichsprojekte, die sicherstellen, dass diese wirklich dem Klimaschutz dienen sowie sozialverträglich sind.