"Klimasünden" und CO2-Askese
Interview mit dem Kulturwissenschaftler Nico Stehr zu religiösen Elementen in der Klimadebatte
Nico Stehr ist Professor an der Zeppelin University in Friedrichshafen am Bodensee. Zusammen mit dem Meteorologen Hans von Storch verfasste er den Aufsatz "Einsichten in das Machbare", in dem er blinde Flecke in der Klimadebatte aufzeigt.
In Ihrem Artikel „Einsichten in das Machbare“ beschreiben Sie, wenn ich Sie richtig verstanden habe, die Möglichkeit, individuell durch Verzicht auf Luxus und Bequemlichkeit zur Rettung des Klimas "beizutragen" als quasi-religiösen Akt, der es dem „klimabewussten“ Individuum erlaubt, durch die ausgelebte CO2-Askese die eigene moralische Höherwertigkeit gegenüber dem anderen, also dem Umweltsünder, zu demonstrieren und zu genießen.
Professor Stehr: Die öffentlichen Appelle von Klimaforschern, Politikern und Umweltorganisationen in Deutschland und in anderen Ländern zielen alle auf nur eine Klimaschutzmaßnahme ab: Unter Klimaschutz versteht man die Begrenzung des Ausstoßes von Treibhausgasen. Infolgedessen überrascht es nicht, dass Einzelne oder kleine Gruppen, beeindruckt von diesen Appellen, sich in der Tat bemühen, ihren CO2-Abdruck zu reduzieren und sich 'tugendhaft' zu verhalten - etwa indem sie in einem Niedrigenergiehaus leben oder mit dem Fahrrad fahren und damit ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Ich bin der Überzeugung, dass Klimaschutz nicht so einseitig verstanden werden darf. Es geht weniger um den Schutz des Klimas vor der Gesellschaft, sondern ich bin der Meinung, man muss sich auch zunehmend ernsthafte Gedanken über Klimaschutz im Sinne der Vorsorge, also des Schutzes der Gesellschaft vor den Klimaveränderungen, machen. Auch das wäre tugendhaftes Verhalten.
Sie schreiben, dass Al Gore die Klimawandelvorsorge „tabuisiert“ und stattdessen Verzicht predigt. Das erinnert an die Einstellung des Papstes zu Sexualität und AIDS. Gibt es hier strukturelle Gemeinsamkeiten?
Professor Stehr: Nein, nicht unbedingt. Aber Al Gore ist nicht erst in jüngster Zeit dafür eingetreten, dass man, was die Reaktion der Gesellschaft auf die Klimaveränderung angeht, vor allem die Reduktion von Treibhausgasen betonen sollte. Dagegen wird Vorsorge oder noch schlimmer 'Anpassung' - ein Begriff, der besonders tabuisiert wird - als eine Art 'Herausforderung' der Natur verstanden, weshalb man sich so weit wie möglich auf das Problem der Reduktion von Treibhausgasen konzentrieren soll. Das ist zumindest seine Position. Diese Einstellung hat Gore in den letzten zwei Jahrzehnten nie verändert und auch in jüngster Zeit, nachdem er sich dem Thema der globalen Klimaveränderung wieder intensiver zugewandt hat, erneut betont.
Die öffentliche Debatte präsentiert als Alternative zur CO2-Vermeidung nicht die Anpassung, sondern fast ausschließlich so genannte "Klimaskeptiker" Wie erklären Sie sich, dass ganz überwiegend solche Personen als Gegenpart zu den CO2-Vermeidern zu Worte gebeten werden?
Professor Stehr: Die öffentliche Diskussion mit den so genannten Klimaskeptikern, die die anthropogene Klimaveränderung grundsätzlich in Frage stellen oder die von der Klimaforschung als vorrangig bezeichneten Ursachen des Klimawandels nicht akzeptieren, ist teilweise den Klimaforschern selbst zu verdanken. In der Öffentlichkeit gibt es inzwischen einen Konsens, der umfassender ist, als der innerhalb der Klimaforschung. Nämlich, dass wir es mit Veränderungen des natürlichen Klimas zu tun haben, für die das Verhalten der Menschen verantwortlich ist. Die medialen Auseinandersetzungen mit den Skeptikern sind teilweise von den Klimaforschern selbst, wie zum Beispiel von Stefan Rahmstorf, mitbestimmt oder sogar verursacht.
Meiner Meinung nach lohnt es sich nicht, angesichts der weitgehenden Überstimmung im öffentlich-politischen Raum, des Konsens der Klimaforschung und dessen, was gesellschaftlich und politisch in den kommenden Jahren wirklich notwendig ist, sich mit den Skeptikern anzulegen. Angesichts der trägen Natur sollte man sich zunehmend Gedanken über Wege und Maßnahmen machen, die den Umgang mit diesen Veränderungen im Auge haben: also Klimaschutz als Schutz der Gesellschaft vor den Veränderungen. Zumal solche Vorsorge- und Anpassungsmaßnahmen unmittelbar greifen und nicht, wie die Reduktion von Treibhausgasen (wenn die denn erfolgreich sein sollte), erst in Jahrzehnten oder Ende dieses Jahrhunderts bemerkbar sein werden.
Was halten Sie von Fonds zum Risikoausgleich der Lasten des Klimawandels?
Professor Stehr: Die erfolgreichen Vorsorge- und Anpassungsmaßnahmen kosten natürlich Geld. Dafür müssen Ressourcen bereitgestellt werden, und die Folgen der Klimaveränderung werden besonders in Gesellschaften gravierend sein, die sich diese Maßnahmen nicht unbedingt leisten können. Demnach wird es notwendig sein, dass die entwickelten Gesellschaften, die schließlich auch für die Mehrheit der Treibhausgase verantwortlich sind, sich um solche Regionen in Afrika oder Asien kümmern, die aus eigener Kraft nicht in der Lage sind, sich an die Veränderungen anzupassen. Wenn es darum geht, dann sind solche Fonds politisch und moralisch notwendig.
Die Gefährdung durch klimabedingte Wetterereignisse wie Starkregen, Überschwemmungen und Hitzeperioden, ist in vielen Regionen dieser Welt schon heute sehr groß. Man denke nur an New Orleans. Die Verletzlichkeit unserer Existenzgrundlagen steigt in dem Maße, in dem die wachsende Weltbevölkerung in Regionen siedelt, die gefährdet sind, in der wachsende Bevölkerungsgruppen schutzlos marginalisiert werden und auf Grund der politischen Ökonomie Opfer von so genannten Naturkatastrophen werden.