Klimawandel und Kapitalismus: "Nicht mehr blind dem Markt vertrauen"
Seite 2: Die Verlierer der industriellen Revolution
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- Die Verlierer der industriellen Revolution
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Der Arbeitsmarkt in Deutschland. Wer gehört zu den Verlierern einer industriellen Revolution?
Jochen Wermuth: Die vierte, beziehungsweise, die "grüne Industrierevolution" findet weltweit statt und ist unaufhaltsam, da sie jetzt allein von Marktkräften getrieben wird und nicht mehr von Subventionen abhängig ist.
Bei der letzten Industrierevolution fielen alle Firmen, die im ersten "Dow Jones Transport Index" waren, aus diesem heraus - außer der Western Union. Das heisst auf heute übertragen, dass die meisten Dax-Unternehmen in zehn Jahren nicht mehr im DAX sind und wahrscheinlich auch nicht mehr existieren werden.
Und so sind sich auch die Europäische Kommission, der Internationale Währungsfonds, die Weltbank einig, dass wir in den nächsten zehn Jahren 90 Prozent der Jobs, die es heute gibt, durch die Energiewende, Verkehrswende, Agrarwende, Finanzwende und künstliche Intelligenz verlieren werden.
Menschen, die in Betrieben angestellt sind, die auf industriellen Handel, fossile Energien oder Verbrennungsmotoren spezialisiert sind, sollten sich dringend einen neuen Job suchen. Die Zukunftsindustrien sind erneuerbare Energien, Speichertechnologien, nachhaltige Mobilität, nachhaltige Landwirtschaft.
Das Klima ändert sich, das Wetter wird extremer. Deshalb sind überirdische Züge oder Flugzeuge auch gefährdeter als bisher. Wir brauchen keine neuen Züge, sondern den Hyperloop, der Menschen und Güter in Vakuumröhren - unter- oder überirdisch - mit der fünffachen Geschwindigkeit und einem Drittel der Energie und Kosten eines Zuges befördert. So können wir auch in Zukunft die Mobilität aufrechterhalten, da es aufgrund von Extremwetter schwieriger sein wird, sich weit und sicher zu bewegen.
Welche Arbeitsplätze gibt es in Zukunft für Menschen mit geringen oder keinen Qualifikationen?
Jochen Wermuth: Der Umstieg auf erneuerbare Energien und emissionsfreien Transport bietet neue Arbeitsmöglichkeiten, wie zum Beispiel Dächer mit Solarpanels einzudecken oder Ladestationen für Elektroautos aufzubauen.
Das sind Tätigkeiten, die keine besondere Qualifikation erfordern, sondern die einfach und schnell gelernt werden können. Durch die Energie-, Agrar- und Verkehrswende wird es jede Menge neuer Jobs geben. Das Bundeswirtschaftsministerium nennt die Energiewende zu Recht eine "Rendite- und Jobmaschine".
Was könnte einer kommenden industriellen Revolution im Weg stehen?
Jochen Wermuth: Geiz. Viele erfolgsversprechende Patente, die technologische Erneuerungen beinhalten, werden von großen Unternehmen, die ihre bestehenden Technologien und Renditen verteidigen wollen, gekauft und verschwinden in Schubladen. Oder Lobbyisten: Die deutsche Autoindustrie hat die Förderung von Elektromobilität blockiert. Behauptet wurde, dass die Förderung nur für Autos gelte, die wesentlich billiger als der TESLA S seien. Ergo gab es keine Subventionen für Elektroautos, die über zwanzigtausend Euro kosten. Da es kaum so billige Elektroautos gab, wurden die Subventionen für Elektroautos in Deutschland kaum genutzt.
In Norwegen ist das nicht so. Die Subventionen greifen, egal wie teuer das Elektroauto ist. Norwegen hat errechnet, dass die Umwelt- und Gesundheitskosten, die ein Verbrennungsauto verursacht, die Subventionskosten bei weitem überschreiten.
Es werden daher in Norwegen jetzt schon mehr Elektroautos zugelassen als Verbrenner. Ich gehe davon aus, dass in Norwegen in drei Jahren gar keine Verbrenner mehr zugelassen werden - nicht weil es ein Verbot gäbe, sondern weil Elektrofahrzeuge einfach günstiger, ruhiger, schneller und gesünder sind. In Deutschland werden stattdessen Märchen von Problemen mit Batterien verbreitet. Diese können nach der Nutzung im Elektroauto für etwa zehn Jahre sicher noch 100 Jahre als Speicherkraftwerk dienen.
So ergibt sich folgende Rechnung: Wenn man von einem Verbrenner auf ein Elektrofahrzeug umsteigt, spart man rund zwei Tonnen CO² im Jahr ein (schafft also einen gesellschaftlichen Mehrwert von 1.280 Euro pro Jahr). Nutzt man aber seine Elektroautobatterie zuhause oder schließt sie bei der Arbeit an einer bi-direktionalen Ladestation an, kann man Wind- und Sonnenenergie speichern statt diese abzuregeln.
Der gespeicherte Strom kann dann in Zukunft genutzt werden, ohne dass man Kohle- oder Gaskraftwerke anwerfen muss, was zu einer Einsparung von nochmals rund zwei Tonnen CO² pro Elektroauto und Jahr führt. Um das zu realisieren, bedarf es eines großen regionalen oder europaweiten Programms, etliche bi-direktionale Ladestationen müssten bestellt werden, damit deren Preis durch die Skalierung so fällt wie die Kosten der Solarenergie gefallen sind. Wenn sie sich dann ihren Materialkosten nähern, wird sich jeder eine kaufen, weil es sich rechnet.
Wie kann der Ökokapitalismus den Widerspruch zwischen Besitzenden und Besitzlosen auflösen?
Jochen Wermuth: Die Tatsache, dass einige Leute immer reicher und andere im Vergleich zu den Wohlhabenden immer ärmer werden, hat auch damit zu tun, dass viele keinen Zugang zu Bildung haben. Es gibt zwei Milliarden Menschen, die abends kein Licht haben. Also können die Kinder abends auch nicht mehr lesen und lernen.
Nach sechs Uhr abends Hausaufgaben machen zu können, ist ein Riesenschritt in Richtung guter Bildung. Die grüne Revolution führt auch zu günstigerem Strom für alle. In Kombination mit dem Internet ergibt dies einen einfacheren Zugang zu Bildung für mehr Menschen und als Folge zu weniger Armut. Auf diese Weise können die Menschen erfahren, dass zum Beispiel ein Solarkocher billiger ist als ein Stapel Holz.
Ein anderes Thema ist das Steuersystem. Ab einem gewissen Freibetrag sind in Deutschland 30 Prozent Erbschaftssteuer fällig. Wenn jemand aber eine Firma im Wert von einer Million erbt, ist die Erbschaftssteuer effektiv gleich null, da die Firma nicht zerschlagen werden soll. Das Problem könnte auch gelöst werden, indem der Staat Anteile an Firmen zur Zahlung der Erbschaftsteuer entgegen nimmt und diese dann professionell verwalten lässt mit dem Ziel, einen möglichsten guten Preis für die Anteile zu erwirtschaften.
Es stellt sich dabei auch die Frage, warum überhaupt jemand von Geburt an mit viel mehr Besitz ausgestattet sein sollte als jemand anders. Es sollte möglich sein, eine gewisse Summe zu vererben, und dann sollte irgendwann auch mal Schluss sein.
Die ungerechte Vermögens- und Einkommensverteilung allein durch ökologische Neuerungen anzugehen, ist schwer. Chancengleichheit gibt es durch den Zugang für alle zu Energie und Bildung. Allerdings müsste es weltweit auch neue Steuersysteme geben, in denen Steueroasen ausgetrocknet werden.
Zudem liegen den meisten Anhäufungen von Vermögen CO²-Emissionen zugrunde. Diese verursachen Kosten für die kommenden Generationen. Vielleicht wäre es daher auch gerecht, auf CO²-Emissionen basierte Vermögen höher zu besteuern,als bisher üblich.