Köln - Neues Zentrum der Medientheorie?

Die "Mediologie"-Reihe des DuMont-Verlags fasst die deutsche Medientheorie zusammen

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Der Kölner Verlag DuMont hat zusammen mit dem Forschungskolleg "Medien und kulturelle Kommunikation" der Kölner Universität die gemeinsame Schriftreihe "Mediologie" gegründet. Man plant, jährlich drei bis vier Sammelbände herauszugeben.

Medientheorie könnte zum wichtigsten Kontakt der ehemaligen Geisteswissenschaften (jetzt Kulturwissenschaften) mit dem Alltag werden. Ob Politiker, Schuldirektoren, die Unternehmer, Kulturpessimisten sowieso, aber auch die Polizei, - am ruhigsten sind noch die Informatiker selbst - wie beim Feminismus haben alle etwas zu sagen, schließlich kennt jeder eine Frau oder benutzt ein Medium. Man kann sich sicher sein: Niklas Luhmann würde vor Freude mit den Ohren zucken, bei so viel operativen Anschlüssen. Bei all dem Kuddelmuddel an Konversation über "Medien" passt es gut, dass theoretische Texte die Aufgabe haben, den Kopf auf die Hand zu stützen, den Gegenstand der Debatte in den Status eines frisch gefallenen UFOs zu transformieren und sich über ihn zu wundern: Was sind Medien? Wie sind sie zu beschreiben? Was tun sie mit uns - bzw. wissenschaftlich gesprochen: Welchen Effekt haben sie auf unsere Gesellschaft, auf unsere Kultur, auf unsere Ökonomie - und nicht zuletzt auf die Theorie selbst? Und aus welchem Blickwinkel linst die Theorie auf das UFO?

Die neue Medienreihe

Der Kölner Verlag DuMont hat die Zeichen der Zeit erkannt und deshalb in Zusammenarbeit mit dem Sonderforschungsbereich "Medien und kulturelle Kommunikation" - ebenfalls in Köln - die Buchreihe "Mediologie" gegründet. Pro Jahr sollen dort drei bis vier Bücher - meist wohl Reader - herauskommen. Wilhelm Voßkamp, der sowohl das Forschungskolleg leitet und in dieser Funktion auch Herausgeber der Mediologie-Reihe ist, ist mit diesem Coup wohl zu einer der wichtigsten Figuren der Medientheorie hierzulande geworden. Auffallend - und irgendwie auch angenehm - dabei ist, dass Voßkamp sich nicht mit einer eigener Theorie in den Vordergrund drängelt. Die Konzeption der beiden ersten Bände der Mediologie-Reihe orientiert sich eher am Modell einer Plattform als an dem einer Schulenbildung - durchaus gewinnbringend für den Leser. Beide Bände sind aus Tagungen hervorgegangen, doch während der in Telepolis bereits besprochene zweite Band "Die Adresse des Mediums" eher international ausgerichtet ist - naja, seien wir ehrlich, auf den Austausch mit den USA baut -, konzentriert sich der erste Band auf die deutsche Diskussionslage. Und die ist in der Tat weit genug, vor allem da nicht mit "Schnittstelle - Medien und Kulturwissenschaften" das Interesse über Medien hinaus darauf gelenkt wurde, wie Kultur und Kommunikation auf sie aufsetztend funktionieren.

Eine Ordnung der Diskurse innerhalb der 17 Ansätze zu erstellen, ist schwierig. Neben der Kittlerschule, die im letzten Jahrzehnt die Medientheorie noch beherrscht hatte - hier durch Wolfgang Ernst und Bernhard J. Dotzler vertreten - taucht nun mehr und mehr Niklas Luhmannsche Begrifflichkeit auf. Auch bei Ludwig Jäger, der in seinem Aufsatz "Zeichen/Spur" einleitend noch einmal Ansätze der Semiotiker Pierce und Saussure referiert. Fokussierend auf die "Medialität" der Sprachzeichen liest er das Zeichen als "Spur" - ein Verweis auf Jacques Derrida fehlt eigenartiger Weise. Auch Georg Christoph Tholen fasst nochmal wiederholend bisherige Kritikpunkte am Mediendiskurs zusammen und wendet sich gegen eine rein instrumentelle Auffassung des Mediums, die die Rolle des Menschen übernimmt, anstelle sie zu dekonstruieren. Nur in welche Richtung dekonstruiert werden könnte, bleibt eigenartig oberflächlich angerissen.

Trotz eines sich vorsichtig durchziehenden Luhmann-Vokabulars sind oftmals Gemeinsamkeiten eher Ausgangspunkt für Differenzen. Anselm Haverkamp und Dirk Baecker schließen beide an Rhetorik an, wobei der letztere Rhetorik als Modell von Kommunikation analysiert, während Haverkamp passend zu seinem Thema leicht kryptisch und verborgen in Rückgriff auf Ovid die "Latenz" ('Verborgenheit') als neuen Grundbegriff von Kulturwissenschaft vorschlägt. Literaturwissenschaftliche Ansätze kommen von Georg Stanitzek (später mehr), Nikolaus Wegmann ("Zum Stellenwert der Literatur im Feld der Medien") und Horst Wenzel, der das mittelalterliche Minnegedicht "Erec" analysiert, geschrieben von Hartmann von Aue (über den man schmunzelnd bemerken könnte: heute vor allem als Straßennamen bekannt). Erhard Schüttpelz setzt sich mit Roman Jakobsons Umschrift der Shannonschen Kommunikationstheorie zur Senke der Poesie auseinander, Erika Fischer-Lichte - vom konkurrierenden Forschungskolleg "Performanz" der Freien Universität Berlin - möchte dagegen lieber den Schwerpunkt kultureller Analyse vom Text zur "Performance" legen. Das Fernsehen als Medientechnologie wird von Peter M. Spangenberg analysiert, während Gertrud Koch unter Rückgriff auf Benjamin der Pornographie ästhetische Weihung verpaßt, denn: Es ist die Sprache selbst, die dort spricht. Die Grande-Dames der Medientheorie - wie man anerkennend bemerken kann - Elena Esposito und Aleida Assmann fehlen nicht. Assmann beschäftigt sich mit der Frage der Archiven bei Umstellung auf digitales Speichermedium, Esposito verschiebt Wahrnehmung und Realität auf doch leicht suspekte Weise über eine historische Konstruktion von der ägyptischen Malerei zur (?) perspektivischen Darstellung als Modus der Einheit=Realität. Die Kunsthistoriker werden dazu wohl noch etwas zu sagen haben.

Explizites Lob und expliziter Tadel

Erst das Lob: Stürmisch auffallend ragt aus den verschiedenen Texten ein Autor heraus: der Siegener Literaturwissenschafts-Professor Georg Stanitzek. Ich möchte hiermit offiziell zu seinem Beweis gratulieren, dass eine kluger und effektiver theoretischer Ansatz nicht zwingend seinen Humor vergessen muss. Seine beiden Texte räumen mit diskursiven Bequemlichkeiten und bornierten Vorurteilen auf, die sich um die Mattscheibe, unseren Wohnzimmermittelpunkt, dem Fernseher, gebildet haben. Gleichzeitig besticht der Text durch messerscharfe Diskursanalyse und wissenschaftliche Präzisionsarbeit. (Fußnoten und Zitate die noch nicht jeder kennt! Mit genauen Seitenzahlen! Mein Gott!)

Dann der Tadel: Ein Verzeichnis der Autoren fehlt. Deren Kontexte wären zum besseren Verständnis der Texte/des Buches schon interessant. Wer gehört eigentlich zum Forschungskolleg? Wer war bei der Tagung dabei? Wessen Position wurde als fehlend oder für wertvoll genug empfunden und extra eingeladen?

Und inhaltlich kritisch, jedoch amüsant: Auf den von Stanitzek vorne angemerkten Konstruktionsfehler der Medientheorie einer "Zurechnung neuer Medien auf Weiblichkeit" greift Dotzler im hinteren Ende des Buches in schönster Form zurück, indem er Striptease als Simulationstheorie liest und Parallelen zwischen der Verschleierung des weiblichen Körpers und dem digitalen Bild zieht, dass seine Datenbits aus 0 und 1 nicht zeigt. Null und eins als weibliche Brust: "So operiert das Stripetease. Und so täuscht jedes Computerbild". Und das folgende Zitat kann man sich dann einfach nicht verkneifen: "Das Strip-tease, keine Frage, offeriert sich als reine Augenweide." Ah.

Jedes Anklicken wird von der Furcht begleitet, dass der Zugang zu den Venen des Datenflusses durch drängelnde Mitbewerber verstopft sein könnte, was wertvolle Warte- und Lebenszeit kostet oder gar den Absturz bewirken kann.

Horst Bredekamp

Noch amüsanter: Einen Medienpessimisten braucht jeder übergreifende Medienreader und "Schnittstelle" fand ihn im Kunsthistoriker Horst Bredekamp, der das Internet unter Rückgriff auf Thomas Hobbes Staatstheorie des Leviathan als Anarchiezustand aller gegen alle deutet: "Jedes Anklicken wird von der Furcht begleitet, dass der Zugang zu den Venen des Datenflusses durch drängelnde Mitbewerber verstopft sein könnte, was wertvolle Warte- und Lebenszeit kostet oder gar den Absturz bewirken kann. (...) Zu dieser Unsicherheit gehört auch die Erkenntnis, das viele angeklickte Nester leer sind, sodass man sich fragt, ob die Vögel abgeschossen wurden oder ob sie freiwillig in sonnigere Gefilde geschwärmt sind." Da sind wohl die Metaphern über das Medium hinausgeschossen.

Alles in allem ist das Buch sehr zu empfehlen, inklusive seiner kleinen humoresken Problemstellen. Das nächste Buch der Reihe Mediologie "Medien der Präsenz - Museum, Bildung und Wissenschaft im 19. Jahrhundert" ist bereits in Planung und soll im September dieses Jahres erscheinen. Wir sind gespannt, was sich noch so tun wird, in Köln.

Georg Stanitzek, Wilhelm Voßkamp (Hg.): Schnittstelle. Medien und kulturelle Kommunikation. Köln, DuMont Verlag 2001 für 39,80 DM