Können Viren Antibiotika ersetzen?
Wie man bakterielle Infektionen bekämpfen kann, wenn multiresistente Keime sich durchsetzen. Mit Viren auf der Jagd nach Bakterien
Die Grundstoffe der heute üblichen Antibiotika kommen in der Hauptsache aus China und werden vielfach in Indien weiterverarbeitet. Vor allem die Verarbeitungsprozesse in Indien sorgen dafür, dass sich im Umfeld der Fertigungsstätten resistente Keime bilden, die dann auch wieder nach Europa eingeschleppt werden. Die Monopolisierung der Grundstoffproduktion in China sorgt dafür, dass es eine Lieferabhängigkeit gibt, die für Europa und die USA von vitaler Bedeutung ist, wogegen die Exportvolumina für China eher marginal sind.
Antibiotika werden in Europa nicht mehr produziert, weil die Renditehoffnungen kontinuierlich gesunken sind, was in Deutschland nicht zuletzt mit den geheimen Rabattverhandlungen mit den Gesetzlichen Krankenkassen zu tun hat. Die günstigen Preise für Antibiotika haben zudem ihre prophylaktische Nutzung in der Tiermedizin massiv befördert, was letztlich ebenfalls die Bildung von Resistenzen beschleunigt hat.
Wissenschaftler der Universität Gießen und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) in Braunschweig haben inzwischen sogar schon Bakterien gefunden, die gegen Wirkstoff-Kombinationen von Reserve-Antibiotika resistent sind, die bislang noch nicht klinisch eingesetzt wurden. Die sogenannten Carbapeneme galten bisher als entscheidende Antibiotika-Reserve für Notfälle, wenn andere Antibiotika nicht mehr anschlagen. Wenn Bakterien nun schon gegen Reserve-Antibiotika resistent sind, wird langsam guter Rat teuer.
Mit Viren auf Bakterienjagd
Bakteriophagen (griechisch für "Bakterienfresser") sind Viren, die darauf spezialisiert sind, Bakterienzellen zu infizieren, sich in ihnen zu vermehren und diese dabei zu zerstören. Während Breitbandantibiotika gegen zahlreiche Keime eingesetzt werden können, wirken Bakteriophagen jeweils nur gegen ein bestimmtes Bakterium. Diese Viren und ihr Funktionsprinzip sind keineswegs neu. Die Virentherapie wurde schon entwickelt, bevor die Antibiotika auf dem Markt waren.
Wie oft war hier der Krieg die treibende Kraft. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete der französisch-kanadische Mikrobiologe Felix d’Hérelle in Paris mit Bakterien, die er von an der Ruhr erkrankten Soldaten bekommen hatte. Im Jahr 1917 stieß er darauf, dass der Krankheitserreger offenbar einen natürlichen Feind hatte - eine spezielle Art der Viren, die d’Hérelle Bakteriophagen taufte. Die Entwicklung war damals so sensationell, dass D’Hérelle für den Nobelpreis nominiert wurde.
Doch es kam anders. Am 3. September 1928 hat der Schotte Alexander Fleming in seinem Labor zufällig einen anderen Stoff entdeckt, der sich für den Kampf gegen Keime eignete. Als Fleming aus dem Sommerurlaub zurückkam, stellte er fest, dass eine der Staphylokokken-Kulturen, die er vor der Abreise vergessen hatte wegzuräumen, mit einem Schimmelpilz befallen war und rund um den Schimmel hatten sich die Staphylokokken offenbar nicht weiter vermehren können.
Das Penizillin war entdeckt. Im Zweiten Weltkrieg begannen die Amerikaner im großen Stil mit der Produktion, Penizillin rettete unzähligen verwundeten Soldaten das Leben. So begann der Siegeszug der Antibiotika und die Phagen gerieten in Vergessenheit, zumindest im Westen.
Denn zum Glück hatten die Länder des Warschauer Paktes in Zeiten des Kalten Krieges zu wenig Devisen, um Antibiotika im Westen einzukaufen und entwickelten die Phagentherapie weiter. Und so befinden sich heute eine der größten "Phagen-Bibliothek" in Georgien. Die Phagen wären vielleicht auch dort heute vergessen, wäre nicht ihr Entdecker Felix d’Hérelle seinem Freund Georgi Eliava, einem Kollegen aus Pariser Tagen, in den Dreißigerjahren in dessen Heimat nach Tiflis gefolgt. Gemeinsam gründeten sie das Eliava-Institut.
In der EU und somit auch in Deutschland fehlt dieser Therapie bis heute die Zulassung und somit darf ein Arzt zwar beraten, aber die Therapie nicht unter seiner Aufsicht durchführen. Dass die Kassen unter diesen Rahmenbedingungen die Kosten nicht übernehmen, versteht sich von selbst.
Warum ist die Phagentherapie in Deutschland nicht zugelassen?
Das Problem ist im Grunde sehr einfach. Es ist nie in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen worden, dass die Therapie funktioniert. Ein Medikament, das in Europa zugelassen werden soll, muss in der Regel aufwendige Tests durchlaufen und die sind so teuer, dass es kaum Investoren gibt, die das Risiko eingehen wollen, solange es noch andere Alternativen gibt, die mit Studien abgesichert sind.
Weil Phagen im Westen in Vergessenheit geraten sind, wurden solche Studien mit ihnen nie gemacht. Im Osten wurden sie nicht verlangt. Für ein Wiederbeleben der Phagentherapie müssen daher die wissenschaftlichen Standards der heutigen Medizin eingehalten werden.
Bakterien können jedoch auch so mutieren, dass sie gegen die spezifischen Bakteriophagen resistent werden. Gegen die Mutationen könnten dann möglicherweise wiederum Antibiotika helfen. Da es sich bei den Phagen um eine schon ältere Technik handelt, gibt es da auch keinen Patentschutz.
Ein weiterer Grund dafür, dass man im Westen sich derzeit nicht so intensiv mit den Phagentherapien befasst, könnte daher rühren, dass man inzwischen große Hoffnungen auf Moleküle setzt, die Artilysine genannt werden. Das sind im Labor modifizierte Lysine, die von Bakteriophagen gebildet werden.
Bakteriophagen verwenden Lysine, um die Zellwand ihrer Wirtszelle zu lysieren, also aufzulösen. Artilysine können gegen zahlreiche Bakterien wirken. Sie wirken auch gegen Erreger, denen es gelingt, sich vor der Immunantwort des Körpers zu verstecken. Es lassen sich etwa Artilysine herstellen, die sehr breit gegen viele Bakterientypen wirken, so dass man den Erreger nicht erst aufwendig bestimmen muss.
Dieser Zeitvorsprung hilft beispielsweise bei einer Sepsis, bei der meist Gefahr im Verzug ist, weil das Leben des Patienten auf dem Spiel steht. Auch wenn man nur einen bestimmten Keim auf der Haut abtöten will und die sonstige natürliche Bakterienvielfalt der Haut erhalten will, weil diese auch vor Infektionen schützt, können Artilysine gezielt zum Einsatz kommen.