Kokain und Klatschattacken

Hat George W. auch nach seiner Bekehrung zum gottesfürchtigen Abstinenzler mit kolumbianischem Marschierpulver gesündigt?

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Klatsch ist eine der ultimativen Waffen im Wahlkampf - und kann, sofern er mit glaubwürdigen Zeugen belegbar ist, die Schlacht für den einen oder anderen Kandidaten entscheiden. Oft aber kommt die Klatschwaffe auch nicht zu Einsatz, weil die Lager eine Art Gleichgewicht des Schreckens herstellen.

Als etwa der Wahlkampfmanager Bill Clintons davon Wind bekam, dass die Bush-Kampagne mit den Frauengeschichten Clintons eine Schlammschlacht eröffnen wollte, ließ er das Bush-Lager wissen, dass man dann die diversen Seitensprünge des alten Bush auffliegen lassen würde - und die Liebschaften beider Kandidaten waren fortan kein Wahlkampfthema mehr.

Anders sieht es aus, wenn so ein Handel nicht möglich ist, wie zum Beispiel bei der Präsidentschaftskandidatur von George W. Bush, als man befürchten musste, dessen Verurteilung wegen Kokainbesitz 1972 könnte hochgekocht werden. Zwar war väterlichseits längst dafür gesorgt, dass Polizei- und Gerichtsakten des Falls verschwunden waren, aber Mitwisser und Zeugen gab es zu viele - und so entschloss sich Bushs engster Berater Karl Rove 1999 zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Er steckte dem Autor einer kritischen Bush-Biographie, J. H.Hatfield, die Geschichte, dass W. wegen seiner Drogenvergehen von einem Richter in Texas zu Gemeindediensten verurteilt worden sei.

Als das Buch mit dieser Behauptung und der Quelle eines "engen Bush-Beraters" dann bei St. Martins Press erschien, wurde sie natürlich dementiert. Gleichzeitig erschien ein enthüllender Artikel, dass der Autor Hatfield im Gefängnis gesessen habe und sein "Klatsch" völlig unglaubwürdig sei. St. Martins zog das Buch zurück. "Sie wussten, dass die Geschichten über Dabbeljus Kokain- und Alkoholfestnahme herauskommen würden", so Greg Palast im Vorwort des dann in einem anderen Verlag erschienen Buchs "Fortunate Son", deshalb "sorgten sie dafür, dass sie über jemanden herauskommen, den sie verleumden können". Der Coup gelang - die Koks-Story war zumindest für diesen Wahlkampf tot.

Jetzt wird sie, termingerecht, wieder aufgewirbelt - und wieder fungiert jemand, der es wissen muss, als Quelle: Bushs ehemalige Schwägerin Sharon. Unter Zeugen hatte sie gegenüber der Autorin Kitty Kelley enthüllt, dass W. dem verbotenen Pulver auch noch in Camp David zusprach, als sein Vater dort residierte - also lange nach der Jugendsünde von einst & seiner angeblichen Bekehrung zum gottesfürchtigen Abstinenzler.

Mit dem Erscheinen von Kelleys Buch über die Bushs ("The Family: The Real Story of the Bush Dynasty") hat die einstige Frau von Neil Bush die Koksparty in Camp David jetzt dementiert - sie hätte dies der Klatschreporterin und Bestsellerautorin nur erzählt, um die Bushs unter Druck zu setzen und bei ihrem Scheidungsverfahren bessere Alimente herauszuholen. In einem Interview berichtet die Autorin, wie sie ihrerseits von den Bushs unter Druck gesetzt wurde - und dass deshalb alle ihre Behauptungen und Quellen von vier Anwälten geprüft worden seien.

Die "New York Times" beklagt dies in ihrer Rezension. Die rastlose Fokussierung der Autorin auf "Sex, Drogen und Alkohol", das Fehlen von Politik und das Ganze als weitere Ablenkung von den eigentlichen Themen garantiert indessen gerade den Erfolg - und ist in einem Wettbewerb, dessen Kandidaten sich unterscheiden wie Pepsi und Coca, als Distinktion geradezu unabdingbar.

Ist dies nun tatsächlich das Buch, "vor dem das Weiße Haus zittert" , wie die "Süddeutsche Zeitung" meint? Oder wurde seine Top-Story gezielt lanciert, weil sie ohnehin nicht zu verheimlichen ist - dieses Mal über eine kratzbürstige Klatschreporterin? Dass Kitty Kelley leicht als Skandalnudel und unseriöse Boulevardautorin dargestellt werden kann, ist jedenfalls keine Frage - und mit dem prompten Dementi der Ex-Schwägerin scheint die Koks-Sache als seriöses Thema - d.h. als ernsthafte Frage nach Glaubwürdigkeit und Vergangenheit des Präsidenten - erst einmal erledigt zu sein. Gerüchte!

Und mal im Ernst: Wenn der Papa das Zeug mit Ollie North tonnenweise ins Land geschafft hat, wäre es doch auch grotesk, den Sohnemann jetzt über ein paar Gramm stolpern zu lassen...