Koks, Konsum und Krieg

Das britische Magazin "The Face" feiert seinen 23. Geburtstag

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Hipper Scheiß. Yuppie-Kram. Markenfaschistoide Nichtigkeiten auf Hochglanzpapier. Die medialen Motoren des subtilen Raubtierkapitalismus. Der Furunkel im Arsch der Gesellschaft, der da heimlich still und leise die Botschaft ins Großhirn brummt: "Kauf dies, nein das, besser das, morgen jenes, nur: kaufkaufkauf." Es gibt viele gute Gründe, das Face-Magazin zu hassen. Es ist dieses Magazin aus London, das Menschen kaufen, die aussehen wie Popstars aber keine sind. Es ist eines dieser Magazine, bei denen anfangs gar nicht klar ist, warum es sie gibt, was sie wollen und sollen.

Das "Face"-Magazin blättert man durch, man sieht viele Fotos, ungewöhnliche Fotos, abgefahrene Schrifttypen, komische Layouts, kleine Artikel über Turnschuhe, große über Musiker, mittlere über Designer und sehr oft welche über Dinge, die man nicht kennt und nicht versteht. Hä?

"The Face" ist ein Trendmagazin, der Pulsmesser der Popkultur, die Bibel aller Fashion Victims. Es ist nun 23 Jahre alt geworden und sieht nicht so aus. Es sieht aus, wie dem Hirn eines genialischen Werbeagenturchefs entsprungen, der so hip und modern ist, dass er nicht mal weiß, wie man einen Spülkasten aufschraubt. Das "Face" wird in London verlegt und ist eine dieser Zeitschriften, die es in Deutschland einfach nicht geben kann, weil der Deutsche viel zu viel Angst davor hat, seine Ernsthaftigkeit im Interesse für Pop, Mode und Kunst zu verlieren, und hat er diese Angst nicht, dann hat er keine Ernsthaftigkeit, dann kauft er die Brigitte oder FHM, und da ist dann gleich am Anfang Schluss.

Der Brite ist da, wie in so vielen anderen Dingen auch, konsequenter. Der Brite hat keine Angst vor Pop. Der Brite muss nicht politisch korrekt sein, er ist auch gerne unverklemmt, und weil ihm vieles egal ist, braucht er alles nur halb so ernst zu nehmen und kann dabei trotzdem ernsthaft sein. Deswegen ist das "Face"-Magazin auch im Jahre 23 seines Bestehens noch erfolgreich, wichtig und richtig. Weil es sich einen Scheiß um Konventionen schert und von Leuten gelesen wird, die sich auch gerne einen Scheiß um Konventionen scheren würden und was geben auf den Schnickschnack der westlichen Welt.

Es ist geradezu unverschämt dekadent. Man sieht in diesem Heft sehr viele gutaussehende Menschen in komischen Klamotten und irren Posen herumlungern. Sie starren meistens gelangweilt in die Kamera oder besser noch daran vorbei, als sei das Leben ein Klamottenladen in Soho, und wenn's dir schlecht geht gibt's Koks, aber das macht auch nur noch müde. Man sieht in diesem Heft - dem aktuellen - auch einen 14-jährigen Jungen aus Bagdad, dem eine "West"-Zigarrette im Mundwinkel baumelt. So wird hier Politik thematisiert - mit wenig Worten und großen Fotos, die oft mehr Wucht und Wahrheit haben als der zehnte, schlaue Kommentar. Man liest in der neuen Ausgabe eine hochinteressante Reportage über Jugendliche in der britischen Provinz, die Ärger, Hass und Wut in Reimen kanalisieren. Das sind die Eminems von Morgen, sagt "The Face". Man sieht im aktuellen Heft eine blonde Frau, die blutend unter einer Laterne liegt. Ein kleiner Text neben dem großformatigen Foto klärt auf: In Mexiko ist "disaster porn" derzeit der letzte Schrei; mit Bildern von Unglücken und deren Opfern buhlt die Boulevard-Presse um Leser.

Titten sind out. Sollte die Vokabel "disaster porn" irgendwann mal geläufig werden, im ‚The Face' hat man's zuerst gelesen. Wie so oft. So werden im "The Face" Trends erkannt: Mit einer Mischung aus naiver Neugier, perverser Berechnung und popkulturellem Fachwissen greifen die Magazin-Macher seit zwei Dekaden alles auf, was in Mode, Film, Musik, Sport, Politik, was also im Leben westlicher Menschen irgendwie, irgendwo stattfindet und berichten darüber mit der "Face"-eigenen Art: lakonisch, ironisch, überambitioniert, übereuphorisiert, immer ein bisschen lauter und greller als notwendig. Manchmal erschaffen sie so Trends, die keine sind, weit öfter haben sie aber eine künstlerische oder gesellschaftliche Strömung erkannt, bevor alle anderen darauf kommen. Der Nutzwert ergibt sich für Leute, die wissen wollen, was geht in der westlichen Welt, die Lust haben an Ästhetiken, Layouts und Bildern, die auch schon mal zehn Euro für ein Magazin ausgeben, in dem sie nur blättern, die eben wie "The Face" selber ein bisschen dekadent sind.

Die aktuelle Ausgabe des oft wegweisend gestalteten Heftes erscheint mit einem 30 Seiten starken Extrablatt, in dem es einen Überblick gibt über die absolvierten 23 Jahre "The Face". Mit keinem Wort berichten die Macher dabei übrigens von dem 250 Seiten starken Monster-Blatt namens POP, welches sie vierteljährlich veröffentlichen, das am Bahnhof 15 Euro kostet (in Britannien nur die Hälfte) und knackevoll ist mit noch mehr, noch tolleren Bildern, Texten und Obskuritäten. Stattdessen wird mit Selbstironie in einem kurzen Abriss die eigene Geschichte verhandelt und spätestens jetzt wird dann auch klar, warum es so etwas wie "The Face" in Deutschland nicht geben kann: Es fehlt an Ironie, Weitsicht und Mut in unserem Land. Na ja, an Leuten, die diesen Krempel gedruckt kaufen würden, fehlt es wahrscheinlich auch.

Das Editorial des Extrahefts ist aufgemacht mit einem Zitat des Pogues-Sängers Shane MacGowan aus der Ausgabe vom Juni 1984: "There's no movement, the media just makes things up." So viel Selbstironie macht glaubwürdig. "Erinnern sie sich an die MUDs", werden da die Leser gefragt. "Nein, wir auch nicht. In der Ausgabe vom November 1984 war ein MUD ein "cleaned-up-punk meets messed-up-soulboy, drinking canned lager through straws and pretending to be hooligan." Nie ward wieder von den MUDs gehört. Dafür aber von den Folgen von Grunge, Hip Hop, Rave und Brit-Pop für die Modewelt, die "The Face" früh erkannte und als eines der ersten Blätter visualisierte - und wie!

Die Magazinmacher machten selber Stars, weil sie junge, talentierte Fotografen und Layouter entdeckten, und ihnen viel Platz frei räumten. Das "Face" ist zu bescheiden, um all die Preise aufzulisten, die es in 23 Jahren für Bild und Schrift bekam - vielleicht fehlte auch einfach nur der Platz. Happy Birthday!