Kolossal verdorbenes Monsterspiel
Der sechste Teil der Hitspielserie "Resident Evil" erscheint für Xbox 360 und PlayStation 3. Eine PC-Version folgt erwartungsgemäß Anfang 2013
Die Zombie-Jagd geht weiter: Mit „Resident Evil 6“ liefert Hersteller Capcom vier voneinander unabhängig spielbare Kampagnen, die ebenso viele Spielarten des Horror-Genres repräsentieren sollen. Ist das die erhoffte Weiterentwicklung der Spielserie?
Capcom hat es schwer dieser Tage. Der einstige Arcade-Spielehersteller, in den 80ern bekannt geworden mit Automaten wie Ghosts‘n Goblins, 1942 oder Street Fighter, steht seit jeher für Qualität, hat aber zuletzt bei Spielern Kredit eingebüßt. Sie sahen sich vom japanischen Entwicklerriesen an der Nase herum geführt: Knapp ein Jahr nach Veröffentlichung seiner Beat 'em Up-Reihe Street Fighter IV (Feb. 2009) erschien eine um eine Handvoll Charaktere und wenig erwähnenswerte Optionen erweiterte Neuauflage zum Vollpreis mit dem Titel Super Street Fighter IV (Apr. 2010). Den gleichen Prozess wiederholte Capcom mit „Marvel Vs. Capcom 3“ (Feb. 2011) und dem darauf folgenden „Ultimate Marvel vs. Capcom 3“ (Nov. 2011). Während der japanische Markt tatsächlich Special Editions dieser Art verlangt, hätten westliche Kunden ein technisch ebenfalls mögliches und vor allem günstigeres Download-Addon bevorzugt.
Auch die Kultreihe „Resident Evil“ geriet zuletzt in die Schusslinie – Ableger wie der überflüssige Action-Shooter „Resident Evil: Operation Raccoon City“ mal beiseitegelassen. „Resident Evil 5“ musste 2009 als Nachfolger eines der besten Spiele der letzten Konsolengeneration ein schweres Erbe antreten. Es war zwar ein spannendes Spiel, das mit der Einführung einer On- wie Offline-Koop-Funktion ein erweiterndes Element hinzufügte, dennoch brachte es sonst kaum Innovationen mit sich. Seine zu große spielerische Ähnlichkeit mit „Resident Evil 4“ und das Beharren der Entwickler auf veraltete Steuerungsmechaniken wie das Stehenbleiben der Spielfigur beim Schießen, kamen weniger gut in der Next Gen von PC, Xbox 360 und Playstation 3 an. Kritiker und Fans verlangten für das nächste R.E. eine zeitgemäße Weiterentwicklung – ein Wunsch, der sich heute rächen kann.
Zuallererst bestätigt „Resident Evil 6“ auf dem Papier Capcoms Mühe, es allen recht machen zu wollen. Der Umfang des Spiels ist überdurchschnittlich: Es gibt vier sechs- bis achtstündige geschichtlich miteinander verknüpfte Kampagnen mit insgesamt sieben Helden, darunter alte Bekannte wie Leon Kennedy aus „Resident Evil 4“, Chris Redfield aus „Resident Evil 5“ und Ada Wong aus „Resident Evil 2“. Die Storys der Kampagnen verbinden sich zu einer filmisch erzählten Geschichte um den erneuten Ausbruch eines Virus, der Menschen in Zombies verwandelt – ein Umstand, der den Spieler rund um die Welt an Orte in Nordamerika, Osteuropa oder China führt.
Das Koop-Element aus dem Vorgänger kam so gut an, dass Capcom „Resident Evil 6“ komplett daran ausrichtet: Drei der vier Kampagnen sind zu zweit spielbar. Während Ado Wong ausnahmsweise alleine kämpft, lässt sich Leon von Helena Harper, Chris von Piers Nivans und Newcomer Jake Muller von Sherry Birkin assistieren. Und auch wenn die von der KI (künstliche Intelligenz) gesteuerten Partner dem Einzelspieler beizeiten den Weg versperren, helfen sie ihm nicht selten aus der Patsche. Das ist nicht das einzige Merkmal der generell im Medium der Spiele grassierenden Casualisierung (casual = gelegentlich, steht für den Spielertypen des kommerziell attraktiven Casual Gamers. Hatten „Resident Evil“-Spieler früher noch die Qual der Wahl, ob sie Waffen oder Heilmittel aufnehmen und in eine der wenigen Taschen packen, sind Leon, Chris oder Ada heute versorgt bis oben hin. Das müssen sie allerdings auch sein. Denn wo in den Vorgängern die Konfrontationen noch wohldosiert und damit dem Genre des Survival Horrors gerecht waren, ist „Resident Evil 6“ ein reines Third Person-Actionspiel. Der Tatsache dass die Spielfigur beim Schießen nun nicht mehr stehen bleibt (sondern langsamer wird), folgt die Einführung rennender Zombies – und hier nimmt das Übel seinen Lauf. Denn wo sich Leon Kennedys Kampagne noch am ehesten in der Tradition der Vorgänger spielt, werden die weniger massentauglichen Survival Horror-Elemente in Kampagnen wie der von Chris Redfield fast ganz weggelassen und durch kommerziell erfolgreichere Scharmützel ersetzt. Selbst optische Ähnlichkeiten mit „Call of Duty“ kommen da nicht von ungefähr.
Die Stärke von „Resident Evil 6“ ist generell recht oberflächlich: Einen dicken Pluspunkt verdient sich das Spiel für die große Zahl unterschiedlicher Gegner, die allesamt toll dargestellt sind. Widerliche Eiterblasenmonster, haushohe Golems oder spinnenbeinige Freaks mit Gewehren machen der Serie alle Ehre. Bosskämpfe leiden allerdings daran, dass der Effekt der Schüsse kaum erkennbar ist: getroffen oder nicht? – Das weiß der Spieler erst, wenn der Gegner sich eklig blubbernd auflöst. Noch dazu sorgen Kamera und Steuerung für Frust und Verwirrung. Im Getümmel auf engem Raum den Überblick zu behalten, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Feinde kriechen aus allen Löchern und schleichen sich von hinten an. So kommt es vor, dass der Spieler völlig planlos um sich schlägt und hofft, mit Glück im Nahkampf zu siegen. Die Interaktionsmöglichkeit von Finishing-Moves, mit denen der Held am Boden liegende tritt, Köpfe auf Fensterbretter schlägt oder Schädel mit Äxten spaltet, ist kein Kampfsystem sondern eingestreute, unausgegorene und zufällig wirkende Kosmetik. Kurz: Den Stampfern fehlt der Kick.
Quicktime-Events sind in „Resident Evil 6“ so Gameplay-bestimmend, wie nie zuvor in der Reihe. Gemeinsam mit den noch langweiligeren Zwischensequenzen unterbrechen sie den Spielfluss in aufdringlichem Rhythmus. Nachdem „God of War“ den Einsatz von Quicktime-Events vor mehr als sieben Jahren so populär gemacht hat, wurde diese indirekte Interaktion von zig anderen Spielen überstrapaziert. „Resident Evil 6“ nutzt sie ununterbrochen, um mit getimtem oder schnellem Knöpfchendrücken Zügen auszuweichen, Autos zu fahren, dem Griff von Zombies zu entkommen, Hubschrauber durch Straßenschluchten zu lenken oder oben erwähnte Finishing-Moves auszulösen. Der Spieler fühlt sich zum passiven Teilnehmer degradiert – und das über 20 Stunden lang.
Eines kann man Capcom im Fall von „Resident Evil 6“, dem heute wichtigsten Franchise des Hauses, nicht vorwerfen: Kosten und Mühe bei der Entwicklung gespart zu haben. Über 600 Leute waren an ihr beteiligt – mehr als an mancher Hollywood-Produktion. Das Problem wurzelt indes woanders. Die kalkulierte Kommerzialisierung von „Resident Evil“, die die Köpfe hinter der Produktion im Interview mit der Videospiel-Website 1up.com auch offen zugeben: „Wir machen Spiele und brauchen den Massenmarkt, um überleben zu können“, sagt der ausführende Produzent Hiroyuki Kobayashi. „Also ist es ein Problem, diese oder jene Richtung zu verfolgen: Wie viel Horror dürfen wir bringen, bis uns der Durchschnittsspieler verlässt?“ Und so führt das eine zum anderen: Die Kommerzialisierung hat Änderungen verlangt, die wiederum in technischen Problemen sowie unschönem Gameplay resultieren. So wird die Ursprungsidee von „Resident Evil“ unter einem kolossal verdorbenem Monsterspiel begraben.
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