Kolumbien schiebt unbequeme Paramilitärs in die USA ab
Auslieferung inhaftierter Milizenchefs an die USA blockiert Aufarbeitung hunderter Massaker. Verhaftete Politiker im Parapolitik-Skandal können nun auf die Einstellung ihrer Verfahren hoffen
Mit der Auslieferung von 14 inhaftierten Paramilitärchefs an die USA hat die kolumbianische Regierung die schleppende Aufarbeitung tausender Verbrechen der rechten Todesschwadronen durch die kolumbianische Justiz nahezu unmöglich gemacht. Dort wird ihnen einzig und allein der Prozess wegen Drogenhandels gemacht, während die Opfer der zahllosen paramilitärischen Verbrechen in Kolumbien wohl kaum noch eine Chance haben werden, die Wahrheit über das Schicksal ihrer Angehörigen zu erfahren, noch eine angemessene Entschädigung zu erhalten. Für Präsident Uribe scheint es jedenfalls wichtigeres zu geben: Der seit Monaten anhaltende Skandal der Parapolitik und die Verfahren gegen Dutzende ihm nahestehende Politiker wegen Verbindungen zu den Paramilitärs könnten ein abruptes Ende finden, da den zuständigen Gerichten die Kronzeugen abhanden gekommen sind.
Die Aktion der kolumbianischen Behörden war bestens koordiniert, um eine der größten Auslieferungen in der Geschichte des Landes in kürzester Zeit und unter Ausschluss der Öffentlichkeit über die Bühne zu bringen. In einer Nacht- und Nebelaktion ordnete das Innenministerium ihren Beamten in verschiedenen Gefängnissen des Landes am letzten Dienstag um ein Uhr morgens die umgehende Verlegung der 14 Milizenchefs an. In nur wenigen Stunden versammelte die Regierung die Paramilitärs auf dem Militärflughafen in Bogotá und übergab diese den Beamten der US-Antidrogenbehörde DEA, die bereits ein Kleinflugzeug auf der Piste startbereit stehen hatte.
Noch bevor die Nachricht der Auslieferung in den Morgenstunden überhaupt die Runde machte, waren die Paramilitärchefs bereits Richtung Miami, Washington und New York unterwegs, wo ihnen der Prozess wegen Drogenhandels gemacht werden soll.
Kronzeugen im Para-Skandal vor die Tür gesetzt
Der Schritt kam überraschend, passt jedoch in die Geschehnisse der letzten Monate, in denen besonders die Regierungskoalition und die Familie von Präsident Álvaro Uribe Vélez für negative Schlagzeilen gesorgt hatten. So ließ die kolumbianische Generalstaatsanwaltschaft den Ex-Senator und Vetter des Präsidenten, Mario Uribe Escobar, erst im April wegen Verbindungen zu den Paramilitärs festnehmen (Kolumbiens unheimliche Allianz). Neben diesem befinden sich bereits 30 weitere Kongress-Abgeordnete in Untersuchungshaft, die allesamt der Zusammenarbeit mit den rechten Milizen bezichtigt werden und der Regierungskoalition nahestehen. Weitere 31 Kongress-Politiker werden derzeit vom Verfassungsgericht und der Generalstaatsanwaltschaft aus gleichen Gründen untersucht.
Ans Tageslicht kamen die Verbindungen zwischen Politikern und den Paramilitärs in den letzten Jahren durch beschlagnahmte Computer und Aussagen der ehemaligen Milizenchefs, welche das zuständige Verfassungsgericht unter die Lupe nahm. Mit Aufträgen für gezielte Morde gegen Widersacher, Massaker und gegenseitigen politischen und finanziellen Gefallen bekam die kolumbianische Gesellschaft einen Vorgeschmack darauf, wie tief besonders Lokalpolitiker in die paramilitärischen Strukturen involviert waren.
Die Übergabe der Paramilitärs an die US-Justiz lässt sich daher als bequemster Ausweg der Regierung werten, den anhaltenden Skandal endlich eindämmen zu können, der immer näher an Präsident Uribe heranrückt. Dieser erklärte die Entscheidung zur Auslieferung zwar damit, dass die inhaftierten Paramilitär-Kommandanten trotz Gefängnishaft und Demobilisierung weiter kriminelle Aktivitäten koordiniert hätten und kein Interesse an einer ernsthaften Entschädigungszahlung an ihre Opfer zeigten. Damit hätten diese die Auflagen innerhalb des seit 2005 geltenden Gesetzes für Gerechtigkeit und Frieden verletzt, welches diesen maximale Haftstrafen von acht Jahren in Aussicht stellte und von eigens geschaffenen Gerichten verhängt werden sollte. Zudem hätten sie bisher trotz mehrfacher Anhörungen nur einen Bruchteil ihrer Verbrechen vor der Justiz offengelegt.
Doch genau daran hat die Regierung kein Interesse, glaubt man den Vermutungen von Beobachtern. Bereits die Auslieferung des Para-Chefs Carlos Marío Jiménez alias "Macaco" Mitte letzter Woche an die USA wischte letzte Zweifel am fehlenden Willen der Uribe-Regierung an einer tiefgreifenden juristischen Aufarbeitung hinweg. „Kann es sein, dass die Regierung nicht will, dass ´Macaco´ in Kolumbien aussagt?“, hinterfragte der Chef der kolumbianischen Juristenkommission Gustavo Gallón, der enge Beziehungen von "Macaco" zu regierungsnahen Parteien als Grund sieht.
Laut Gallón sei die Regierung verpflichtet, der Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Prozessen in den USA wegen Drogenhandels Priorität zu verleihen. Diese hätten konsequenterweise vor normalen Gerichten in Kolumbien stattfinden müssen, wo den Kommandanten allerdings jahrzehntelange Haftstrafen gedroht hätten. Die bisherige Rücksicht der Paramilitärs gegen Politiker und Militärs hätte dann wohl ein Ende gefunden und der ganze Umfang der Verbindungen wäre an die Öffentlichkeit gekommen. Für die Regierung hätte dies das Ende sein können, daher nahm sie die Alternative der Auslieferungen dankend in Kauf.
Mehrere Anwälte der Paramilitärs erklärten in der kolumbianischen Presse, dass die Regierung mit der Massenauslieferung just neuen Enthüllungen zuvorkam, die besonders die kolumbianische Armee betroffen hätten. So planten mehrere Paramilitärs, die Verstrickung zahlreicher Armeeangehöriger in begangene Massaker bei kommenden Anhörungen offenzulegen.
Bei Zusammenarbeit mit US-Justiz winkt Haftverschonung
Waren Auslieferungen an die US-Justiz in den neunziger Jahren für berüchtigte kolumbianische Drogenbarone noch Horrorszenarien, gelten diese heute mittlerweile als akzeptable Alternative. „Die tun ihnen einen Gefallen“, bestätigte dies ein Anwalt eines ausgelieferten Paramilitärs.
Während in Kolumbien vor allem die schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Paramilitärs juristisch untersucht werden sollten, die jahrzehntelange Haftstrafen nach sich ziehen würden, haben sich die Angeklagten in den USA allein wegen den Delikten des Drogenhandels und der Geldwäsche zu verantworten. Bei vorbildlicher Zusammenarbeit mit der US-Justiz durch Hinweise auf Drogenrouten, Mittelsmänner oder Bankkontos winken dagegen erheblich verkürzte Haftstrafen bis hin zu neuen Identitäten. „Dort können diese die Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm beantragen, womit sie vor zukünftigen Prozessen in Kolumbien geschützt wären“, beklagt Iván Cepeda, Jurist und Sprecher einer Opfervereinigung.
Zum zweiten Mal Opfer
Gerade die Opfer sind die eigentlichen Verlierer des Deals zwischen kolumbianischer Regierung und Washington. Laut der Nationalen Versöhnungs- und Wiedergutmachungskommission CNRR hatten die Hinterbliebenen paramilitärischer Verbrechen 130.000 Klagen eingereicht, die in der überwältigenden Mehrzahl nun unbearbeitet bleiben dürften.
Zwar gaben die Paramilitärs in den letzten Jahren Hinweise auf rund 400 Massengräber und legten rund 5.000 Morde und andere Delikte offen, doch die Opferzahlen der vergangenen zwei Jahrzehnte sind weit grösser. Da hilft auch nicht das Versprechen der US-Regierung, dass die Suche nach der Wahrheit in den USA weitergehen werde. „Über die Paramilitärs wird ein Richter richten, und nicht die US-Regierung“, erklärt die Analystin Claudia López Hernández. Wie auch immer die Vereinbarungen zwischen den Regierungen aussehen mögen, so werde sich die US-Justiz auf ihre Zuständigkeiten beschränken. „Und das ist dort der Drogenhandel und nicht die Para-Politik in einem anderen Land“, so López.
Dennoch wollen die Vertreter der paramilitärischen Opfer nicht aufgeben und suchen nun den Internationalen Gerichtshof auf, der die Verbrechen untersuchen soll. Bereits 2006 reichten sie dort eine Klage ein, in der sie den Prozess gegen die Paramilitärs unter dem kritisierten Sondergesetz „Gerechtigkeit und Frieden“ als „Simulation“ beanstandeten. Nicht zu unrecht: Eine große Zahl der Abgeordneten, die 2005 das Gesetz verabschiedeten, befinden sich heute wegen Komplizenschaft mit den Paramilitärs in Untersuchungshaft. Zumindest noch. „Die kolumbianische Regierung hat genau die Paramilitärs außer Landes geschickt, die damals Vereinbarungen mit den inhaftierten Politikern unterschrieben haben“, kritisierte der liberale Politiker Rafael Pardo. Sie könnten demnächst als Konsequenz mit der Einstellung der Prozesse rechnen. Danach würde ihnen die Freiheit winken.