Kolumbiens unheimliche Allianz
Paramilitärs haben in dem südamerikanischen Land Regierung und Parlament unterwandert. Nun rückt Präsident Uribe und seine Familie ins Visier der Justiz
Der Skandal um Verbindungen der kolumbianischen Regierung zu Paramilitärs weitet sich aus (Die Herrschaft der Paramilitärs). 33 Kongressmitglieder sind inzwischen wegen ihrer Zusammenarbeit mit den rechtsradikalen Milizen inhaftiert, gegen weitere 31 wird ermittelt ("Paragate" erschüttert die politische Landschaft Kolumbiens). In der vergangenen Woche nun erreichte die Affäre einen neuen Höhepunkt: Ein enger Vertrauter und Cousin von Präsident Álvaro Uribe versuchte seiner Festnahme durch Flucht ins Ausland zu entgehen. Das Unternehmen scheiterte und Mario Uribe Escobar wurde festgenommen. Die Legitimität der Regierung ist damit an einem Tiefpunkt angelangt.
Der frühere Senatspräsident und Vorsitzende der Regierungspartei Mario Uribe musste sein parlamentarisches Mandat bereits im vergangenen Oktober niederlegen, als die Ermittlungen gegen ihn aufgenommen wurden. Zuvor hatten mehrere Mitglieder rechter Todesschwadrone Details über die Zusammenarbeit mit Regierungspolitikern öffentlich gemacht. Sie reagierten damit auf Streitigkeiten im Verlauf der Demobilisierung der "Vereinigten Bürgerwehren Kolumbiens" (AUC), die von Großgrundbesitzern gegründet worden waren und die zeitweise bis zu 31.000 Kämpfer organisierten. Als die Regierung den Anführern der AUC unter nationalem und internationalem Druck keine vollständige Straffreiheit zusichern wollte, machten einige Kommandeure Details über die langjährige Kooperation öffentlich. Der schwelende „Parapolitik“-Skandal erreicht seither immer neue Höhepunkte.
Mehrfache Kontakte mit rechten Terrorgruppen
Mit der Festnahme von Mario Uribe Escobar hat die Affäre nun endgültig die Familie des Präsidenten erreicht. Die Staatsanwaltschaft in Bogotá wirft dem 58-jährigen vor, sich mindestens zwei Mal mit führenden Mitgliedern der AUC-Schwadrone getroffen zu haben, um das gemeinsame Vorgehen zu besprechen. Im November 1998 sei er mit dem hochrangigen Paramilitär Jairo Castillo Peralta zusammengekommen, unmittelbar vor den Wahlen im März 2002 habe er sich zudem mit dem damaligen Oberkommandierenden der AUC, Salvatore Mancuso, getroffen – so ist es in der Anklageschrift zu lesen. Zwar steht das Verfahren erst am Anfang, doch die Reaktion des Präsidentencousins spricht für sich: Am Morgen des vergangenen Dienstag flüchtete er sich in die costaricanische Botschaft, um Asyl zu beantragen. Kurz zuvor war er offenbar über die drohende Festnahme unterrichtet worden. Die Diplomaten des mittelamerikanischen Landes berieten das Anliegen einen Tag lang, um Uribe Escobar am Abend des Geländes zu verweisen. Am Eingang der Botschaft wurde er von der Polizei in Empfang genommen.
Seither beschäftigt der Fall die kolumbianische Öffentlichkeit. Im Gespräch mit dem lateinamerikanischen Fernsehsender Telesur wies der Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Movice darauf hin, dass das „ganze politische Leben“ des nun Inhaftierten „eng mit dem Präsidenten verknüpft war“. Mit der Festnahme am vergangenen Dienstag habe der Skandal um die Unterwanderung des Staates durch das organisierte Verbrechen deswegen endgültig auch die Regierung und Präsident Uribe erreicht, lautet auch Iván Cepedas Einschätzung.
Tatsächlich gehört der nun Angeklagte der einflussreichen Familie Uribe an, die vor allem im Departement Antioquia ansässig ist. Dort hat er 1985 zusammen mit dem amtierenden Präsidenten die heutige Regierungspartei Colombia Democrática gegründet. Präsident Uribe selbst war Mitte der 90er Jahre Gouverneur dieser Region. Damals schon hat er Bürgermilizen unter dem Namen Convivir gegründet. Sie werden von Menschenrechtsgruppen heute als unmittelbare Vorläuferinstitution der späteren AUC-Paramilitärs bezeichnet. Der oppositionelle Senator Gustavo Petro von der Linkspartei Demokratischer Alternativer Pol hatte dem Präsidenten noch im vergangenen Jahr vorgeworfen, einer paramilitärischen Gruppe mit dem Namen „Zwölf Apostel“ auf einer Ranch der Familie Unterschlupf gewährt zu haben. Zur gleichen Zeit inszenierte Uribe die angebliche Demobilisierung der rechtsextremen Milizen.
Einen Tag nach der Festnahme seines Cousins in der vergangenen Woche gestand nun auch Präsident Uribe ein, dass gegen ihn Ermittlungen wegen mutmaßlicher Verbindungen zu den rechten Todesschwadronen der AUC laufen.
Kritik an Uribe aus Kolumbien, Unterstützung aus Berlin
Der „Parapolitik“-Skandal wirft damit erneut ein Schlaglicht auf die politische Kultur eines Landes, das angesichts der Frontstellung gegen die lateinamerikanische Linke von westlichen Regierungen weiterhin als Bündnispartner hofiert wird. Während Präsident Uribe selbst immer stärker mit Menschenrechtsverbrechen in Verbindung gebracht wird und die Opposition in Kolumbien immer lauter Neuwahlen fordert, wird die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel Mitte Mai zu einem Freundschaftsbesuch in Bogotá erwartet. Die CDU-Politikerin reist nach ihrer Teilnahme an dem EU-Lateinamerika-Gipfel in der peruanischen Hauptstadt Lima neben Kolumbien auch nach Brasilien und Mexiko.
In einem aktuellen Newsletter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung wird die Prioritätensetzung der regierenden Christdemokraten deutlich. Die „populistischen und autoritären Strömungen auf dem Kontinent beurteilen wir als äußerst besorgniserregend“, heißt es in dem elektronischen Schreiben vom Dienstag dieser Woche. Für die Stiftung gelte daher, „die demokratischen Regierungen zu unterstützen und das Engagement zusammen mit unseren Partnern in dieser Region zu stärken“. Dass die kolumbianische Staatsführung zu diesen Partnern gezählt wird, ist nicht nur fragwürdig. Es hat in den vergangenen Wochen auch für Debatten im Regierungslager gesorgt; vor allem das sozialdemokratisch geführte Außenamt opponiert gegen die offene Rückendeckung für die lateinamerikanische Rechte.
Deutlich wird das im derzeitigen politischen Begleitprogramm: Während die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung am kommenden Montag in Vorbereitung auf den EU-Lateinamerika-Gipfel den frisch gewählten linken Präsidenten Paraguays, Fernando Lugo, auf eine Veranstaltung nach Berlin einlädt, setzt die Konrad-Adenauer-Stiftung auf Gäste der klerikalkonservativen (Regierungs-)Partei der Nationalen Aktion aus Mexiko. In einem Interview auf der Internetseite der Konrad-Adenauer-Stiftung umreißt deren Lateinamerika-Referent Hans-Hartwig Blomeier die Haltung der deutschen Christdemokraten. In Lateinamerika gehe es darum, …
… dass wir als Demokraten in Europa eindeutig Position beziehen und uns auch eindeutig an die Seite derer stellen, die in Lateinamerika mit demokratischen Mitteln versuchen, die Situation ihrer Länder zu meistern und zu verbessern. (…) Deswegen wird die Bundeskanzlerin (…) eben auch Mexiko, Brasilien und Kolumbien besuchen. Das halten wir für ein ausgesprochen wichtiges politisches Signal.
Hans-Hartwig Blomeier, Teamleiter Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung
Kolumbien mit weltweit zweithöchster Zahl von Binnenflüchtlingen
Nun hat Uribe in Kolumbien die Situation weder gemeistert noch verbessert. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt hatte er 2003 ein Konzept unter dem Namen "Politik der demokratischen Sicherheit" präsentiert. Die Folge: Die Städte und die großen Verkehrsadern zwischen den urbanen Zentren wurden massiv militarisiert, das übrige Land jedoch seiner sozialen und in Folge gewalttätigen Misere überlassen. Dass dieser Rückzug der staatlichen Ordnung auf die Städte eines der Charakteristika so genannter gescheiterter Staaten (failed states) ist, spielt bei der Beurteilung in Berlin keine Rolle. Auch nicht die Folgen dieser Politik.
Im sechsten Jahr nach Antritt der Regierung Uribe weist Kolumbien die weltweit zweithöchste Flüchtlingsrate nach Sudan auf. Vier Millionen Menschen wurden von sozialer Not oder bewaffneten Auseinandersetzungen vertrieben. Das berichtete der Norwegische Flüchtlingsrat am Genfer Sitz der Vereinten Nationen Ende April. Kolumbien ist damit das einzige Land auf dem amerikanischen Kontinent, in dem das Problem der Vertreibung im vergangenen Jahr zugenommen hat, heißt es in dem Dokument, das zudem darauf verweist, dass die Vertriebenen keinen staatlichen Schutz genießen. Im Gegenteil:
Die Vertriebenen wurden im vergangenen Jahr immer wieder als Sympathisanten der Guerilla dargestellt und von den staatlichen Autoritäten und den paramilitärischen Gruppen entsprechend behandelt.
Bericht des Norwegischen Flüchtlingsrates
Die Partnerorganisation der Vereinten Nationen bestätigt damit implizit einen Vorwurf, der ebenso von Menschenrechtsgruppen wie von der Opposition in Kolumbien seit Jahren erhoben wird: Sie beklagen eine strukturelle Symbiose zwischen Staat und Paramilitarismus.
Kaum mehr überraschend ist es deswegen, wenn die Autoren des Flüchtlingsberichtes feststellen, dass viele Vertreibungen der paramilitärischen Milizen in unmittelbarem Zusammenhang mit Interessen privater Unternehmen stehen. Im vergangenen Jahr war einer dieser Fälle von der kolumbianischen Staatsanwaltschaft aufgegriffen worden: Ein Agrarunternehmen hatte mit den rechten Terrorgruppen paktiert, um Menschen von potentieller Anbaufläche zu vertreiben.
Analysten warnen vor „diktatorischem Regime“
Während Kolumbien nach Meinung aus deutschen Regierungskreisen also zu den Ländern der Region gehört, die „mit demokratischen Mitteln versuchen, die Situation ihrer Länder zu meistern und zu verbessern“, glaubt das im Land kaum mehr jemand. Der ehemalige Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes Kolumbiens, Álvaro López, warf der Regierung in einem Interview mit dem lateinamerikanischen Fernsehsender Telesur unlängst sogar vor, ein „diktatorisches Regime“ errichten zu wollen. Die einzige Möglichkeit, die permanente Krise des kolumbianischen Staates zu lösen, bestehe im Rücktritt des Präsidenten und der umgehenden Einberufung von Neuwahlen, sagte der ehemals führende Jurist des südamerikanischen Landes:
Alle engen Vertrauten von ihm (Uribe, d. Red.) befinden sich wegen ihrer Verbindungen zu Drogenhändlern und Paramilitärs im Gefängnis. Wenn die Regierung nun von Neuwahlen unter ihrer Ägide spricht, dann ist das eine Farce, die von der Staatsführung mit dem Ziel veranstaltet wird, an der Macht zu bleiben.
Angesichts der hohen Anzahl suspendierter oder inhaftierter Kongressmitglieder (der kolumbianische Kongress besteht aus 166 Mitgliedern des Abgeordnetenhauses und 102 Senatoren, gegen 64 von ihnen laufen Ermittlungen) fordern immer größere Teile der Opposition indes sogar die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung. Die legislativen Strukturen sind nach ihrer Ansicht in einem derartigen Ausmaß vom organisierten Verbrechen durchsetzt, dass eine Lösung innerhalb dieser Institutionen nicht mehr möglich ist.
Die Schlussfolgerung aus dem nun zwei Jahre währenden „Parapolitik“-Skandal in Kolumbien zog unlängst die Kolumnistin der kolumbianischen Tageszeitung El Tiempo, Estefanía González. Über Jahrzehnte hinweg hätten die Regierenden eine Abhängigkeit zu illegalen Gruppen kaschiert, nachdem sie sie benutzt haben, um an die Macht zu gelangen, schreibt die Journalistin. Der Pakt bestehe darin, dass die illegalen Gruppen Ressourcen für die Wahlkampagnen zur Verfügung stellen und im Gegenzug Handlungsfreiheit haben:
Um an die Macht zu kommen, verbünden sie sich mit dem Teufel, sie töten, sie verschleppen Menschen, sie erzwingen ein bestimmtes Votum oder kaufen sich Zustimmung mit Versprechen.
Das einzige, was an dem „Parapolitik“-Skandal neu ist, so González´ Resümee, ist der Name.