"Paragate" erschüttert die politische Landschaft Kolumbiens

Seit Monaten bestimmt ein Skandal die Politik Kolumbiens, der nahezu täglich neue Erkenntnisse über enge Verbindungen von Politikern zu paramilitärischen Gruppen ans Licht bringt

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Die Zusammenarbeit zahlreicher Provinzpolitiker mit paramilitärischen Gruppen ist in Kolumbien seit Jahren ein offenes Geheimnis. Neu ist jedoch die juristische Aufarbeitung dieser Fälle, die in den letzten Monaten zahlreiche Köpfe gefordert hat. Ausschlaggebend war der Computer eines Paramilitär-Kommandanten, der brisante Daten über Politiker auf seiner Festplatte sammelte. Neben acht Parlamentariern, die sich bereits in Haft befinden, musste am vergangenen Montag die Außenministerin Maria Araújo zurücktreten, nachdem Familienangehörige in die Prozesse verstrickt wurden. Für steigenden Unmut sorgt der Skandal derweil in Washington, wo der von Demokraten dominierte Kongress ein Freihandelsabkommen mit Kolumbien und weitere Militärhilfe verabschieden soll.

Als Beamte der kolumbianischen Staatsanwaltschaft am 11. März 2006 in der Küstenstadt Santa Marta den Paramilitär Edgar Fierro Flórez alias “Don Antonio” festnahmen, ahnten diese noch nicht, was zwei Computer und mehrere Festplatten in dessen Besitz für politische Konsequenzen haben würden. Flórez, der sich erst wenige Tage zuvor im Zuge des heute beendeten Friedensprozesses (Straffreiheit für Todesschwadronen) mit der Regierung demobilisierte, bewahrte die Computer seines Paramilitärchefs “Jorge 40” auf, der davon ausging, dass diese unter der Obhut von Flórez nicht in die Hände der Behörden geraten würden.

Nach wochenlangen Bemühungen, die Daten der Computer zu entschlüsseln, war der Skandal perfekt: Neben hunderten, detailliert aufgeführten Morden an Gewerkschaftern und Gegnern der Paramilitärs, die während der Gespräche mit der Regierung trotz eines ausgehandelten Waffenstillstands unbeirrt weiter ausgeführt wurden, wartete der Inhalt mit einer ellenlangen Liste verbündeter Politiker auf.

Paramilitär-Quote im Kongress

Erste Opfer wurden drei Parlamentarier der Provinz Sucre im Oktober letzten Jahres, denen die Gründung und Unterstützung paramilitärischer Strukturen in ihrer Region vorgeworfen wurde. Gegen die Senatoren Álvaro Alfonso García Romero, Jairo Enrique Merlano Fernández sowie den Abgeordneten Erik Morris Tabeada wurden vom Obersten Gerichtshof Kolumbiens, der als einzige juristische Instanz Verfahren gegen Kongressmitglieder einleiten darf, Haftbefehle verhängt.

Doch damit nicht genug. Anfang diesen Jahres stellte der Paramilitärchef Salvatore Mancuso vor der Justiz ein Abkommen vor, welches die Paramilitärs der offiziell demobilisierten Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC) mit Politikern bereits im Juli 2001 aushandelten. Darin einigten sich diese und 32 anwesende Politiker – unter ihnen zwölf Kongressabgeordnete - über eine “Neugründung des Vaterlandes”, was in der Praxis bedeutete, dass die AUC ihren Einfluss in der Politik festschrieben. Diese zweigten öffentliche Gelder ab oder diktierten den Umgang mit Investitionen in den von ihnen dominierten Gebieten. Von ihnen favorisierte Politiker sollten in den kommenden Jahren eine steile politische Karriere hinlegen, die bis in den Kongress reichte.

Wurde die Erklärung von Mancuso im Jahr 2002, wonach 35 Prozent der Kongress-Abgeordneten Sympathisanten der AUC seien, noch politisch heruntergespielt, scheint sich dies nun zu bestätigen. Neben der Opposition wurden deshalb selbst bei regierungsnahen Abgeordneten Forderungen für eine Neuwahl des Kongresses geäußert, um den Einfluss der Paramilitärs in der Politik zu beschneiden. Doch diese Forderungen verhallten bisher folgenlos. Der Oberste Gerichtshof hat den Fall um das Abkommen in die Untersuchungen um die so genannte “Parapolitik” eingebunden, aber juristische Konsequenzen blieben neben Parteiausschlüssen für die beteiligten Politiker aus.

Unmut in Washington wegen “Paragate”

Zu einer neuen Welle von Haftanträgen kam es allerdings am vergangenen Freitag. Fünf Parlamentarier wurden festgenommen, nachdem der Gerichtshof die Beweise für deren Verbindungen mit den Paramilitärs als stichhaltig ansah. Für Brisanz sorgte dabei die Verhaftung des Senatsabgeordneten Álvaro Araujo, der Bruder der bis dato amtierenden Außenministerin Maria Consuelo Araujo. Nachdem bereits im November letzten Jahres bekannt wurde, dass Álvaro Araújo die Macht der Paramilitärs genutzt haben soll, um einen Kontrahenten bei den Wahlen 2002 entführen zu lassen, schien der Rücktritt der Ministerin nur noch eine Frage der Zeit gewesen zu sein. Doch selbst die Inhaftierung von Álvaro Araújo war nicht genug, um ihren Posten umgehend zur Verfügung zu stellen. Präsident Alvaro Uribe Vélez lehnte Rücktrittsforderungen vehement ab und pochte auf die Unschuld der Ministerin.

Erst nachdem sich Kolumbiens Vizepräsident Francisco Santos bei einem Besuch in Washington davon überzeugen konnte, dass der Skandal als “Paragate” durch die Reihen des US-Kongresses geht und dort der laxe Umgang Uribes gegenüber der Ministerin für Unmut sorgte, zog der Präsident die Notbremse und akzeptierte den Rücktritt von Maria Araujo. Denn viel steht auf dem Spiel: Die Prozedur zur Unterzeichnung eines vor Monaten ausgehandelten Freihandelsabkommens zwischen den USA und Kolumbiens in dem von Demokraten dominierten Kongress in Washington ist ins Stocken geraten, da diese Nachverhandlungen einfordern.

“Das Abkommen kann nicht in dieser Form unterzeichnet werden und der Skandal macht dies noch unwahrscheinlicher”, erklärte der demokratische US-Abgeordnete Sander Levin gegenüber der Washington Post. Ähnlich beunruhigend dürfte die Stellungnahme des Senators Patrick Leahy in Bogotá ausgefallen sein, der als Unterkommissionspräsident für Internationale Beziehungen über die Gelder für die milliardenschwere Militärhilfe in Kolumbien entscheidet. “Der Skandal bestätigt die Befürchtungen der letzten Jahre, wonach die Paramilitärs die politischen und wirtschaftlichen Strukturen Kolumbiens infiltriert haben. Das sollte uns zu einer Pause bewegen um festzustellen, mit wem wir es eigentlich zu tun haben”, so Leahy.

Uribe: Vom Vorzeige-Kämpfer zum Schlinger-Kandidaten Washingtons?

In den nächsten Wochen werden 20 hochrangige US-Politiker Kolumbien besuchen, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Am 11. März steht ein Staatsbesuch von US-Präsident Bush an, dem das Thema vermutlich nicht sonderlich am Herzen liegt, der jedoch gezwungen sein wird, auf Grund der demokratischen oppositionellen Mehrheit im US-Kongress nachzuhaken.

Nachdem Kolumbien wegen des Drogenhandels in den neunziger Jahren lange Zeit auf der schwarzen Liste in Washington stand, mauserte sich das Land in den letzten Jahren als wichtigster Alliierter der USA in der Region, nachdem sich ein Land nach dem anderen in Südamerika für Linksregierungen entschied. Laut dem kolumbianischen Analysten und Linkspolitiker Daniel Garcia-Peña gelang es Uribe in seiner ersten Amtszeit, sich in Washington als Kämpfer gegen den Drogenhandel und Terrorismus zu profilieren. Aber: “Die Uribe-Regierung könnte von einem Allierten in diesem Kampf zu einer Regierung avanzieren, die tief in diese Fälle verstrickt ist”, erklärte Garcia-Peña, was es für die Bush-Regierung schwieriger machen könnte, weitere Milliarden US-Dollar in den kommenden Jahren in den Antidrogenkampf zu stecken.

Denn neben der Außenministerin stammen die betroffenen Politiker fast ausnahmslos aus der Uribe-Koalition. Dennoch konnte sich der Präsident persönlich bisher aus dem Skandal herauswinden, obwohl diesem seit Jahren Verbindungen zum Paramilitarismus nachgesagt werden. Während seiner Zeit als Gouverneur der Provinz Antioquia in den neunziger Jahren baute Uribe legale Selbstverteidigungsgruppen gegen die linke Guerilla auf, die jedoch später von der Nationalregierung als illegal erklärt wurden. Dessen Bruder Santiago Uribe soll laut dem linken Abgeordneten Gustavo Petro in Morde und Verschleppungen in dieser Zeit involviert gewesen sein, was aber bisher keine stichhaltigen Beweise ans Tageslicht gebracht hat. Vielleicht aber nur eine Frage der Zeit: “Wenn mein Kopf rollen sollte, hat das Konsequenzen für andere Politiker bis hin zum Präsidenten”, drohte noch Álvaro Araujo im November 2006. Seit Freitag befindet er sich in Haft und neue Enthüllungen dürften die nächsten Wochen zu erwarten sein.