Kommentar: Weiter mit Modis Indien (Made in China)

Seite 2: Das indische Handelsdefizit gegenüber China

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Auch im von Indien verwalteten Teil von Kaschmir geht Modi mit aller Härte gegen vermeintliche, islamische Extremisten vor und hat damit vor allem eins erreicht: Die Gewaltspirale in die Höhe zu treiben. Auch gegenüber China spielt Modi den harten Führer, der ausruft: Made in India, India first. Doch die Zahlen sagen etwas anderes: Indien importiert Waren und Güter im Wert von 70 Milliarden US-Dollar aus China und exportiert nur im Wert von 27 Milliarden.

Zwar konnte Indien dieses Jahr das Handelsdefizit mit dem nördlichen Nachbarn um 10 Milliarden US Dollar senken, doch das lag in erster Linie am Handelskrieg zwischen den USA und China. Dazu zeigt China, dass es weit besser tricksen kann als die Modi Regierung: Die gleichen Güter, die vorher über China nach Indien verkauft wurden, kommen nun offiziell aus Honkong und werden nicht unter Chinas Exporte nach Indien verbucht.

Indien verkauft jetzt auch mehr Leder nach China. Die billige Produktion von Leder verschmutzt Flüsse und Grundwasser, dazu macht es die Arbeiter krank - so überlässt China das jetzt lieber seinen Nachbarn. Im Handel mit Zukunftstechnologien ist Indien dagegen auf Importe aus China angewiesen: Über 80 Prozent der Solarzellen und weitere Materialien für die Solar-Industrie Indiens stammen aus China.

Und selbst wenn in Indien produziert wird, steckt da hinter immer öfter ein chinesischer Konzern: So stammen 30 Prozent aller verkauften Smartphones in Indien von Xiaomi. Selbst eine 182 Meter große Statue, die Narendra Modi stolz als Symbol der nationalen Einheit einweihte, konnte nur mit Hilfe chinesischer Arbeiter, Firmen und Materialien gebaut werden.

Eine Maßnahme von Modi gegen das Handelsdefizit Indiens wird auch den Mittelstand in den westlichen Ländern treffen: Wer hohe Einfuhrzölle vermeiden will, muss in naher Zukunft in Indien herstellen und das können sich in der Regel nur große Konzerne leisten.

Wie sollte Indien auch mit China in Konkurrenz treten? Nach westlichem Vorbild versucht Indien es mit Demokratie. 29 Bundestaaten und sieben Unionsgebiete mit etwa 1,35 Milliarden Einwohnern, die lokal, regional und auf nationaler Ebene ihre Regierungen selber wählen. Ein Land, dessen Pressefreiheit man (noch) zu schätzen weiß, wenn man die Zustände in den Nachbarländern Pakistan und Bangladesch kennen gelernt hat.

Indien ist ein Land mit mehr als 200 verschiedenen Sprachen und 900 Dialekten. Mit Reisefreiheit ohne Grenzkontrollen und einer einheitlichen Währung, die niemand in Frage stellt. Doch während die westlichen Regierungen das Lied der Demokratie singen, machen sie lieber Geschäfte mit China als mit Indien. Im neoliberalen Zeitalter zählen unter dem Strich nur Zahlen: Mit welchen Geschäftspartnern ist der größte Gewinn möglich. Nach dieser Logik gehört dem System China die Zukunft.

Selbst in Europa schielen immer mehr Bürger nach einem starken (undemokratischen) Führer und vergessen dabei, dass ihr Land nur 80 Millionen Einwohner hat, oder auch nur acht. Vergessen, dass ihr Land kein zweites China werden kann, so wenig wie jedes Land der Erde Exportüberschüsse erzielen oder eine Steueroase sein kann.

Modi wird weiter Kohle verbrennen lassen und vom Grünen-Strom reden. Foto: Gilbert Kolonko.

Ob sich Narendra Modi wirklich über fünf weitere Jahre an der Spitze Indiens freuen kann, darf bezweifelt werden: In Sachen Wirtschaftswachstum werden jetzt auch die Neoliberalen genau hinschauen, so werden weitere Privatisierungen und Einschnitte bei sozialen Programmen die Folge sein - die Einkommensungleichheit wird weiter steigen. Dazu wird Modi weiter auf die günstige, indische Kohle setzen und in den Medien, das Lied vom Grünen Strom singen.

Arbeitsplätze und Angst

Für die eine Million junger Inder die monatlich zusätzlich auf den Arbeitsmarkt strömen, wird die neoliberale Wirtschaftspolitik auch weiterhin nicht genug Arbeitsplätze schaffen. Ebenso nicht für die 2.000 Bauern, die täglich ihre Felder aufgeben müssen und vorwiegend in die schon übervollen Städte strömen. Auch der brain-drain von Ingenieuren, Ärzten und anderen Hochqualifizierten wird weiter voranschreiten.

Die kritischen, indischen Köpfe rennen aus Angst vor körperlichen Angriffen aus dem Land: Selbst Indiens bekannteste Roman-Autorin Arundhati Roy verließ zeitweise Indien, weil sie sich von Hindufanatikern so bedroht gefühlt hatte, dass sie Panik bekam, sie könne ihr aktuelles Buch nicht mehr beenden. Dabei waren es kritische Köpfe, die Indiens Regierung im Jahr 2016 mit Protesten dazu gezwungen hatten, die Einfuhr von Plastik Müll gesetzlich zu verbieten.

Anschließend waren es die selben kritischen Köpfe, die Indiens Regierung unter Druck setzten, im Februar 2019 die Ausnahmen im Gesetz zu streichen: Dass Plastik-Müll auch nicht mehr in indischen Sonderwirtschaftszonen eingeführt werden darf.

Um von den sozialen und ökologischen Missständen im Land abzulenken, wird Narendra Modi weiter Nationalismus und religiösen Hass fördern. Das wird er dem rechten Arm der BJP überlassen, der Rashtriya Swayamsevak Sangh, die 1925 nach dem Vorbild von Mussolinis Schwarzhemden gegründet wurde.

Auch Modi stammt aus dieser paramilitärischen Kaderorganisation, die aus Indien einen Hindustaat machen möchte. Dazu wird Modi noch mehr Öl ins Feuer Kaschmir und Pakistan kippen und die Arbeiten am Grenzzaun zu Bangladesch forcieren.

China wird es freuen, wenn einer der wenigen ernstzunehmenden Konkurrenten der Zukunft sich mit Religion und nationalen Geprotze selber die Beine stellt. So hat Indien schon zwei Märkte vor der eigenen Haustür mit 400 Millionen "Kunden" an China verloren. Dafür tut Modi sein Bestes, dass aus diesen zwei Nachbarn, Bangladesch und Pakistan, zwei Zeitbomben werden, anstatt mitzuhelfen, sie zu entschärfen und zu Freunden zu machen. Modi betreibt also auch dort die gleiche Politik wie im eigenen Land.

Dank einer finanzkräftigen oberen Mittelklasse, die in absehbarer Zeit knapp 250 Millionen Menschen stark sein wird, wird Indien auch unter Modi den Zahlen nach ein Riese werden.

"Ein Riese mit einem Bein, einem Knüppel im verbliebenen Arm und einer goldenen Augenklappe, der abwechseln bis zum Bauch im Dreck steht, im Wasser oder inmitten von Flammen", sagte ein indischer Aktivist zu mir, nachdem klar war, dass Modi weiter regiert. Doch zum Glück dachte er nur kurz darüber nach, was er noch in Indien soll: "Vom Wegrennen wird es auch nicht besser." Seinen Namen, unter so deutlichen Worten, möchte ich zurzeit nicht einmal in einem deutschen Magazin lesen.

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