Konfrontation zwischen Russland und Deutschland im Nawalny-Fall?
Bundesregierung droht Russland mit neuen Sanktionen nach OPCW-Befund, Moskau könnte, da die Bundesregierung nicht auf eine offizielle Anfrage nach dem Chemiewaffenabkommen reagiert hat, eine OPCW-Inspektion in Deutschland verlangen
Die Bundesrepublik hat technische Hilfe bei der Organisation für das Verbot von chemischen Waffen (OPCW) angefordert. Die internationale Organisation hat, wie sie am 17. September erklärte, unabhängig von Nawalny Proben genommen, um sie von zertifizierten Labors analysieren zu lassen. Dazu gehören das Bundeswehrlabor und das schwedische Labor FOI und wahrscheinlich das französische Labor, die bereits eine Nowitschok-Verbindung identifiziert haben, aber nicht verraten, um welche es sich handelt. Das könnte auch daran liegen, dass zwar eine Vergiftung durch eine Verbindung aus der Nowitschok-Gruppe nachgewiesen werden konnte, aber nicht die konkrete Verbindung. Nach Informationen des Spiegel soll es sich um eine "neue" Verbindung handeln. Für die Bundesregierung ist der Nachweis "zweifelsfrei".
Es liegt also bislang auch nicht die wichtige Information der Öffentlichkeit vor, ob die identifizierte Nowitschok-Variante auf der OPCW-Liste der verbotenen Chemiewaffen steht, die am 7. Juni mit den Nowitschok-Verbindungen in Kraft trat. Bis zum 2. Oktober mussten übrigens alle Mitgliedsstaaten erklärt haben, ob sie für wissenschaftliche Zwecke, was erlaubt ist, Nowitschok besitzen und wo daran geforscht wird oder wo es gelagert ist. Ab nächstes Jahr sind Inspektionen möglich.
Unklar ist auch, wann die OPCW-Inspekteure Proben von Nawalny entnommen haben, da Nowitschok wegen der Hydrolyse im Körper nicht über längere Zeit direkt nachweisbar ist. Die OPCW schreibt, man habe "biomedizinische Proben" von Nawalny entnommen, aber erwähnt keine weitere Proben wie von der angeblich im Hotelzimmer von Nawalny in Tomsk vom Nawalny-Team gefundenen und aus Russland in die Charité gebrachten Wasserflasche. Die Nowitschokspuren von dieser Wasserflasche sollen die Identifikation im Bundeswehrlabor ermöglicht haben, dürften aber nach der OPCW-Mitteilung nicht verwendet werden. Das Nawalny-Team präsentíerte die Wasserflasche fast vier Wochen nach der Vergiftung als Beweis, spielte dann aber die Bedeutung wieder herunter und verwies dafür auf die Kleidung als mögliche Quelle der Vergiftung. Im Skripal-Fall wurden von der OPCW auch Proben aus der Umgebung genommen.
OPCW-Ergebnis ist erwartbar - aber was ist dann?
Noch hat die OPCW das Ergebnis nicht bekannt gegeben. Im Skripal-Fall - die Vergiftung geschah am 4. März - waren die OPCW-Inspektoren Mitte März in Salisbury, um Proben zu nehmen, am 12. 4. wurde der Befund veröffentlicht. Man kann also in den nächsten Tagen mit dem Befund rechnen. Seit den bekannt gewordenen Vorgängen um den Bericht über den Giftgaseinsatz in Duma ist allerdings das Vertrauen in die Organisation nicht mehr ungebrochen, von der die Bundesregierung aber unterstellt, eine unabhängige, von politischen Interessen freie Analyse zu erhalten.
Man wird davon ausgehen können, dass ähnlich wie bei Skripal eine "toxische Chemikalie" gefunden wird, die mit der vom Bundeswehrlabor identifizierten identisch ist. Das reicht der Bundesregierung dann angeblich bereits für weitere Sanktionen aus (Taktierende Bundeskanzlerin wartet im Fall Nawalny das OPCW-Ergebnis ab). Der deutsche Außenminister sagte am Samstag im Interview:
Wenn das Ergebnis der deutschen, schwedischen und französischen Labore bestätigt wird, wird es eine deutliche Antwort der EU geben. Da bin ich sicher.
Heiko Maas
Es würden die EU-Mitgliedstaaten gemeinsam entscheiden: "Ich bin davon überzeugt, dass dann kein Weg mehr an Sanktionen vorbeiführt." Eine solche "schwerwiegende Verletzung des internationalen Chemiewaffenübereinkommens kann nicht unbeantwortet bleiben". Dabei suggeriert Maas, dass eine Identifizierung von Nowitschok zwangsläufig die Verantwortung des russischen Staats beinhaltet.
Wird Deutschland oder Russland eine OPCW-Inspektion fordern?
Man wird gespannt sein, ob die Bundesregierung bei einem solchen erwartbaren Befund der OPCW dann auch zur Möglichkeit greifen wird, eine vorgesehene Untersuchung nach Artikel IX (Ersuchen um Klarstellung) einzuleiten, da man bei Verhängung von Sanktionen ja unterstellen muss, dass der andere Staat, also die Russische Föderation, das Chemiewaffenverbot verletzt hat: "Ein Vertragsstaat hat das Recht, den Exekutivrat zu ersuchen, bei der Klarstellung einer Lage zu helfen, die als zweifelhaft betrachtet werden kann oder die zu Bedenken über die Einhaltung dieses Übereinkommens durch einen anderen Vertragsstaat Anlaß gibt."
Im Abkommen heißt es aber auch, dass sich die Vertragsstaaten soweit möglich zunächst bemühen sollten, "durch Austausch von Informationen und durch Konsultationen untereinander jede Angelegenheit zu klären und zu bereinigen, die Zweifel über die Einhaltung dieses Übereinkommens hervorrufen kann". Das verlangt die russische Regierung fortlaufend, während sich die Bundesregierung - wie zu schon die britische Regierung im Skripal-Fall - jede Zusammenarbeit verweigert und auch keine Informationen preisgibt. Mitunter wird argumentiert, dass man die Rechtshilfeersuchen deswegen ablehnt, weil Analysen persönliche Informationen seien, die von Nawalny selbst freigegeben werden müssten, oder dass man dem mutmaßlichen Täter nicht die Nowitschok-Verbindung verraten dürfte, obgleich jener diese für einen Mordanschlag verwendet hat.
Am Samstag beklagte das russische Außenministerium wieder einmal, bislang nicht einmal Antworten von der Bundesregierung erhalten zu haben. Es sei nur eine Absage des deutschen Außenministeriums gekommen, die russische Botschaft zu unterstützen, einen konsularischen Zugang zu Nawalny zu erhalten. Ebenso beharrlich weigert sich die russische Generalstaatsanwaltschaft eine strafrechtliche Ermittlung einzuleiten, da man keine Beweise für einen Nowitschik-Anschlag habe.
Russland hat das Technische Sekretariat der OPCW Ende letzter Woche dazu aufgefordert, Inspektoren zu schicken, um zusammen mit russischen Experten den Fall zu prüfen. Das ist ein Angebot zur Zusammenarbeit, aber selbstverständlich etwas anderes, als wenn die OPCW im Rahmen einer Klarstellung Inspektoren in ein Mitgliedsland entsendet. Die Bundesregierung könnte auch deswegen darauf verzichten, weil kein Wissen darüber vorliegt, wo und ob russische Behörden noch Nowitschok lagern oder auch herstellen. Wird Moskau danach von der Bundesregierung gefragt, wird natürlich gesagt, dass alle Bestände vernichtet worden seien.
Interessant ist aber, dass Moskau gezielt immer wieder Rechtshilfeersuchen gestellt haben könnte, um selbst ein Ersuchen um Klarstellung gegen Deutschland zu stellen. Medusa weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Ständige Vertretung Russlands bei der OPCW am 23. September offiziell nach Artikel IX Absatz 2 des Chemiewaffenabkommens Deutschland aufgefordert hatte, Testergebnisse, Biomaterialien und andere klinische Proben des russischen Bürgers zur Verfügung zu stellen. Weiter heißt es:
Nach dem Übereinkommen ist die deutsche Seite verpflichtet, innerhalb von zehn Tagen auf unsere Aufforderung zu antworten. Je nach Inhalt werden wir auf der Grundlage der im Übereinkommen festgelegten Möglichkeiten über die nächsten Schritte entscheiden. Wir rechnen auch damit, dass alle Mitglieder der OPCW, vor allem Deutschland, Frankreich und Schweden, ihren Verpflichtungen zur Rechtshilfe gemäß Artikel VII Absatz 2 der CWC bedingungslos nachkommen.
Die Frist ist ausgelaufen. Russland könnte jetzt damit drohen zu versuchen, eine Klärung zu beantragen. Dazu müssten sich die Betroffenen zunächst austauschen, das weitere Verfahren ist recht kompliziert. Es kann der Exekutivrat zur Klarstellung ersucht werden, danach eine außerordentliche Tagung einberufen werden. Russland könnte aber auch direkt eine Verdachtsinspektion verlangen, was allerdings noch nie vorgekommen ist und einen Affront darstellen würde. Aber es könnte das Mittel der Wahl Russlands sein, die deutsche Regierung, die ebenfalls Kurs auf eine Konfrontation genommen hat, aber sich hinter der EU versteckt, zum Einlenken zu bringen.
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