Konklave der Angst?

Viele Medien verbreiten vor der Papstwahl aberwitzige Personalkarusselle. Sinnvoller wäre es, zum Amtsverzicht von Benedikt XVI. und zum Chaos der Römischen Kirche unbequeme Fragen zu stellen

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Die berühmten Bischöfe aus den ersten Jahrhunderten der Kirche, auch die Bischöfe von Rom, wurden von den Gläubigen gewählt. Bis heute ist bei jeder Weihe eines Priesters zwingend die Frage vorgeschrieben, ob denn auch das Volk befragt worden sei. Indessen wird das Volk in der lateinischen Kirche nie befragt, so dass schon die Klerikerweihe mit einer Lüge beginnt. Alle Kandidaten für Bischofsstühle, auch für den von Rom, gehen somit in nachapostolischer Betrachtung aus einer illegalen Hierarchie-Bildung hervor. Das gilt wohlgemerkt in theologischer, nicht in demokratietheoretischer Hinsicht. Am wenigsten haben die Getauften und Ortskirchen auf dem ganzen Globus Einfluss auf die Ernennung von Kardinälen, denen vor neun Jahrhunderten das anmaßende, alleinige Privileg der Papstwahl willkürlich verliehen worden ist. Das Verfahren der ägyptischen Kopten, im letzten Papstwahlgang ein blind gezogenes Los entscheiden zu lassen, kann geradezu biblisch genannt werden im Vergleich mit dem ganz und gar unbiblischen Prozedere des Konklaves der Kirche von Rom. Das sollte man beim kommenden Schauspiel im Vatikan nicht vergessen.

Coelestin V., als Papst am 13. Dezember 1294 zurückgetreten - vielleicht nicht ohne Zutun seines Nachfolgers, des berüchtigten Bonifaz VIII. Bild: Marie-Lan Nguyen/gemeinfrei

Auf geheimnisvolle Weise, so heißt es, werden die Wahlzettel der Kardinäle beschriftet vom Heiligen Geist, den die Kirche als "pater pauperum" (Vater der Armen) anruft. Wenn das stimmte und außerdem die Mehrheit des globalen Gottesvolkes, nämlich die Armen und Elenden der Erde, zuvor befragt würde, so könnte aus der anstehenden Wahl eigentlich nur ein "Papa pauperum", ein Papst der Armen hervorgehen.

Den eurozentrischen Machtintriganten und Pragmatikern steht der Sinn freilich nach anderem. Es gibt Grund zur Sorge, dass sich die Papstwähler wie 2005 - wenn auch unter anderem Vorzeichen - erneut von der Angst leiten lassen und den überfälligen Aufbruch zu einer Weltkirchlichkeit, die den globalen Zeichen der Zeit entspricht, mit glaubensloser Selbstherrlichkeit wieder verpassen.

Kirchenamtliches Narrativ und viele Fragen

Während sich in den Orakellisten der Medien und Wettbüros längst ein kunterbuntes, z.T. aberwitziges Rätselraten vollzieht, sollte man die offizielle Erzählung über den Hintergrund der anstehenden Papstwahl noch einmal in Ruhe betrachten.

Nach Kanon 332 des Kirchenrechtes kann ein Rücktritt des Papstes nur gültig vollzogen werden, wenn er "freiwillig geschieht". So hat denn Benedikt XVI. am 11. Februar auch nachdrücklich betont, er erkläre "mit voller Freiheit" seinen Verzicht auf das Amt des Nachfolgers Petri. Warum sollte man dem nicht vorbehaltlos Glauben schenken? Benedikt hat schon 2010 das Grab des emeritierten Papstes Coelestin (gest. 1296) besucht und in Treue zu noch früheren Überlegungen die theoretische Möglichkeit eines Amtsverzichtes bejaht.

Sein Haus sei seit geraumer Zeit bestellt, schreiben Vatikanberichterstatter. Der persönliche Sekretär und jetzige Kurienerzbischof Georg Gänswein ist seit dem 7.12.2012 mindestens so gut versorgt wie Joseph Ratzingers früherer Sekretär Kurienbischof Josef Clemens, den Paul Badde als von Eifersucht getrieben charakterisiert. Altersbedingte Rücktrittsgründe des Papstes liegen zudem förmlich auf der Hand. 2010 freilich sagte Benedikt XVI. im Interview: "Zurücktreten kann man in einer friedlichen Minute."

Dass diese Gnade jetzt wirklich wahr geworden sein soll, ist wenig wahrscheinlich. Ausdrücklich sind in der päpstlichen Rücktrittserklärung "die Kraft des Körpers als auch die Kraft des Geistes" angesprochen. Der emeritierte Papst ist in intellektueller Hinsicht jedoch ganz wach. Ein Freund, der Theologe Max Seckler, teilt über ihn mit: "Man kann sich schwer vorstellen, welche Intrigen es da in Rom gibt, mit denen er sich rumschlagen muss. Das hat ihn sehr belastet, weil er ja ein Theologe ist und ein edler Mensch". Gut vorstellen kann man sich hingegen, dass unter den so umschriebenen Bedingungen auch eine weniger sensible Persönlichkeit in reaktive Depressionen hineingetrieben würde.

Secklers Offenbarung über die römischen Zustände ist kaum zu bezweifeln. Benedikt selbst hat in seiner Aschermittwoch-Predigt jene "Spaltungen, die die Kirche entstellen", beim Namen genannt. Noch in den letzten Wochen, so Jörg Bremer in der FAZ vom 12.02., habe es aus dem päpstlichen Haushalt geheißen, der Papst "schreibe an einer Enzyklika" über den Glauben. Ja, sogar fast fertig soll diese laut FAZ-online gewesen sein, nur waren Redaktion und Übersetzungen vor dem unerwarteten Rücktritt nicht rechtzeitig fertig.

Die Version eines schon Ende 2012 wohl vorbereiteten Rücktrittes steht auch in Spannung zu Reaktionen namhafter Kirchenmänner. Vatikansprecher Federico Lombardi sah den Vatikan unerwartet vom Schicksal ereilt: "Es hat uns überrascht!" Es gäbe keine akute Erkrankung. Völlig unvorbereitet traf der Schritt auch Kardinal Walter Kasper. Schließlich bekannte Angelo Sodano, immerhin Dekan des Kardinalskollegiums, "wie ein Blitz aus heiterem Himmel" getroffen worden zu sein.

Unheilige Eile - warum?

Tatsächlich schlug am Tag des Papstrücktritts um 17.56 Uhr ein echter Blitz in den Petersdom ein, was in fotografischen Sensationen auch festgehalten worden ist. Ein 2012 gedrucktes Kalenderblatt vom Vortag des Rücktritts zeigt einen Papst-Cartoon mit der Unterzeile: "Morgen kündige ich!" Die nunmehr eingeleitete Entmystifizierung des im 19. Jahrhundert erfundenen Papstkultes (Joseph Ratzinger schenkt der Kirche eine neue Freiheit) wird den übernatürlichen Verschwörungsmythen in esoterischen Szenen auf lange Sicht hin kaum Abbruch tun. Man will aufgrund von "Weissagungen des Malachias" sogar wissen, dass das Ende des Papsttums nahe bevorsteht. Aus Österreich kam mir am 12. Februar folgende Zuschrift ins Haus: "In der Familie meiner Frau wurde in den Jahren um 1950 [...] über die Aussagen einer [...] einer Seherin gesprochen. Diese erklärte ihre Visionen zum Papsttum. Dabei sagte sie, es werde ein Reisepapst kommen und dem würde ein Deutscher nachfolgen. Und dieser würde 'davongejagt' werden."

Auch ohne derlei Prophezeiungen kann man wahrnehmen, dass nennenswerte Teile der Kurie in diesen Tagen von unwürdiger Hetze getrieben sind. Kein anderer als der emeritierte Papst selbst hat einen vorgezogenen Termin für das Konklave mit seinem Apostolischen Schreiben vom 25.02.2013 möglich gemacht! Während ich diese Zeilen verfasse, wird in den Medien schon der 11. März als potentiell erster Tag des Konklaves gehandelt. Publik-Forum-Redakteur Thomas Seiterich schreibt von einer "verdächtigen Eile".

Öffentlicher und profilierter Kritiker dieses Vorgehens ist Kardinal Walter Kasper. Dieser wünscht, dass die Papstwähler sich erst einmal in Ruhe kennenlernen und austauschen können. Man müsse mit genügend Zeit gemeinsam überlegen, "was für eine Art von Papst wir jetzt brauchen und die Kirche jetzt braucht". Die Kardinäle sollten auch Unterstützung geben können hinsichtlich der nicht mehr zu leugnenden "Probleme" in der Kurie. Im Klartext muss das wohl heißen: Sie sollen mitbestimmen dürfen über einen durchgreifend neuen Kurs im Kirchenschiff, bei dem am Kuriensystem nicht nur rumgedoktert wird.

Doch die Kurie setzt auf Kontrolle. Eine "Turbo-Wahl" mit dem fadenscheinigen Argument "Ostern steht vor der Tür" würde, wie Seiterich darlegt, in jeder Hinsicht dem konservativen Flügel nützen. Doch geht es wirklich nur um Wahlstrategie? Sollen nicht möglicherweise auch gewisse Aufklärungswünsche kritischer Kardinäle in einem Hauruck-Verfahren abgeschmettert werden?

Ein Dossier, das die Kardinäle nicht lesen dürfen

Angesichts eines Meers von hauptamtlichen "Vatikanjournalisten" muss man sich wundern, wie inhaltsleer bzw. substanzlos über Monate hinweg die Berichte über den sogenannten "Vatileaks"-Skandal geblieben sind. Kann man sich Artikel über wirklich unbequeme Themen in diesem Metier einfach nicht leisten, weil man sonst für den albernen Boulevard-Klatsch und die übliche Hofberichterstattung ein für allemal kein Material mehr bekommt?

Dass der nunmehr emeritierte Papst erschüttert ist über den Vertrauensbruch in seinem engsten "familiären Bereich", kann sich jeder mit etwas Menschlichkeit auch ohne journalistische Expertise ausmalen. Doch ist nur das der Grund seiner Erschütterung? Und ging es in dem auffällig kurzen Prozess gegen den angeblichen Alleinschuldigen nur darum, der christlich gebotenen Milde einen schnellen Weg zu bahnen?

Dergleichen kann man heute wohl keinem halbwegs kritischen Zeitgenossen mehr erzählen. Ab dem 20. Februar kam es in italienischen Medien zu höchst unerfreulichen Behauptungen. Ungewöhnlich scharfe Schlagzeilen folgten auch hierzulande: Die "Welt" titelte: "Rücktritt wegen Sex und Erpressung im Vatikan?" Der "Stern" verdichtete Enthüllungsbeiträge der italienischen Zeitung "La Repubblica" zur Überschrift: "Rücktritt des Papstes - Spekulationen über geheimes Schwulennetzwerk."

Wenn Sex, Macht und Gier bis hinein in höchste Ränge eine Rolle spielen sollten, könnte Rom kaum das Machtmonopol über alle R.K.-Kirchen des Erdkreises halten. Falls es außerdem auch noch um Erpressbarkeit von Kurienfunktionären oder gar engsten Mitarbeitern des Pontifex ginge, wäre hinter die vollständige Freiwilligkeit des plötzlichen Papstrücktritts zumindest ein Fragezeichen zu setzen.

Alle bislang sehr vagen "Enthüllungen" zu den angeblich wahren Rücktrittshintergründen beziehen sich auf einen 300-seitigen Geheimbericht zum Vatileaks-Komplex, den die drei emeritierten Kardinäle Julian Herranz, Jozef Tomko und Salvatore De Giorgi dem Papst am 17. Dezember 2012 vorgelegt haben. Vatikan-Sprecher Pater Federico Lombardi reagierte am 23. Februar 2013 ganz ohne Souveränität auf die Medienmeldungen zu diesem Dossier; alles sei nur Diffamierung, Desinformation, "inakzeptabler Druck" und moralisches Urteil ohne jegliche Autorität. Er mochte aber trotz seiner aufgeregten Empörung ein richtiges Dementi zu den konkret angesprochenen Themenfeldern nicht über seine Lippen bringen.

Es geht wohl auch kaum nur um üble Nachrede von Journalisten, die immer nur an das "eine" und andere weltliche Dinge denken. Der australische Kardinal George Pell forderte schon am 24.02. mehr Informationen zu dem besagten Geheim-Dossier. Doch dessen Text bleibt, wie der emeritierte Benedikt noch entschieden hat, unter Verschluss und soll nur dem neuen Papst zur Einsicht vorgelegt werden. Mit anderen Worten: Den Kardinälen werden Informationen über Kurienvorgänge vorenthalten, die möglicherweise allergrößte Bedeutung für die anstehende Papstwahl haben. Allein dieses skandalöse Vorgehen macht sprachlos und lässt alle Hoffnung auf Transparenz zumindest im internen Forum der kirchlichen Gremien dahinfahren. Kommt der richtige Knall vielleicht erst nach der Papstwahl?

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