Kontraproduktiv: Russland-Boykotte ohne Augenmaß

Putin wird unter anderem dieses Spielzeug nicht vermissen. Foto: H. Hach auf Pixabay (Public Domain)

Zielgerichtete Sanktionen können Putins Regierung in Russland schwächen. Hysterische Totalboykotte haben jedoch den gegenteiligen Effekt

Ziel von Sanktionen und Boykotten

Angesichts der russischen Invasion in die Ukraine ist eine Isolierung der russischen Politik und sind auch harte Sanktionen gegen die russische Wirtschaft unerlässlich. Russlands Präsident Putin hat mit einer Angriffsentscheidung, die nach Meinung zahlreicher Experten auf ihn persönlich zurückgeht, gezeigt, dass er eine harte Sprache sprechen will. Hart muss auch die Antwort sein.

Dennoch verlangt jede Reaktion auch Augenmaß. Mit einem Einlenken der russischen Regierung rechnet keiner. Ein Kalkül ist, die in der Kriegsfrage gespaltene russische Gesellschaft aufzuwiegeln und über eine wachsende soziale Unzufriedenheit der kriegsauslösenden Regierung ihre Unterstützung zu entziehen. Tatsächlich sind soziale Unruhen eine große Angst der Mächtigen im Kreml.

Russische Kinder erklären keinen Krieg

Solche Proteste können aber nur entstehen, wenn Sanktions- und Boykottmaßnahmen zielgerichtet sind. Und umso weniger, je mehr sie in einen Bereich des undifferenzierten Russenmobbings abdriften. Ein solches ist spätestens dann der Fall, wenn Firmen wie Playmobil oder Lego politisch begründet aufhören, Produkte für Kinder nach Russland zu liefern.

Etwa gleich kontraproduktiv ist es, wenn jetzt reihenweise Musiker wie Iggy Pop oder Green Day ihre Konzerte in Russland absagen. Ihnen scheint nicht bewusst zu sein, dass ihr Publikum vor Ort vor allem aus jungen, liberalen, weltoffenen Russen besteht, die sie durch ihr Boykottverhalten mit einer immer reaktionärer werdenden, konservativen und alles aus dem Westen ablehnenden Führungsschicht alleine lassen.

Wenn zur Begründung Aussagen wie von Green Day kommen, es ginge angesichts des Ukraine-Kriegs "aktuell um mehr als Stadionshows" muss man dem zustimmen. Aber Shows westlicher Künstler in Russland sind bereits Teil von etwas, das tatsächlich mehr ist und dem Nationalismus anderer Kreise dort etwas entgegengesetzt.

Vom Paketstopp zum Katzenboykott

Die Abriegelung Russlands von außen unter Federführung des Westens geht noch weiter. Selbst Pakete können aktuell per DHL oder UPS wegen des gegenseitigen Luftboykotts nicht verschickt werden. Die Swift-Abkopplung stoppt auch die Möglichkeit, in Russland lebende Verwandte und Freunde dort in schlechter werdenden Zeiten zu unterstützen.

Und gerade für innerrussische Gegner des neuen Kriegskurses brechen besonders harte Zeiten an. Erste Kündigungen aufgrund einer in Russland offen gezeigten Kriegsgegnerschaft gibt es bereits, beispielsweise im Fall des umgehend entlassenen Dirigenten eines bekannten Moskauer Musikfestivals.

Die endgültige Idiotie fängt an, wenn man liest, dass sogar der Weltkatzenverband Russland boykottieren will. Und ganz widersinnig ist es, wenn die Kiewer Regierung tatsächlich fordert, Russland aus dem globalen Internet auszuschließen. Ist es doch hinlänglich bekannt, dass gerade Russen, die sich online auch mit Informationen aus dem Ausland versorgen, der eigenen Regierung wesentlich kritischer gegenüberstehen, als die Konsumenten dortiger Staatsmedien in TV und Radio. So würde diese Maßnahme jede politische Opposition in Russland schwächen.

Hysterie spielt Russlands Mächtigen in die Hände

Das russische Außenministerium wittert auch bereits die Chance, hier von einer antirussischen Hysterie im Westen zu reden. Jede übertriebene und für viele nicht nachvollziehbare Maßnahme ist für Russlands Mächtige ein willkommener Anlass, davon abzulenken, dass die Hauptursache der neuen Russophobie im Westen ein Angriffsbefehl der Symbolfigur des russischen Establishments auf das Nachbarland war.

Die russische Bevölkerung wird man mit kaum nachvollziehbaren Sanktionen und Boykotten, die sie nur selbst treffen und nicht ihr politisches Establishment, kaum davon überzeugen, dass ein Aufstehen gegen die Regierung angesagt ist. Putin geht weder zu Iggy Pop noch spielt er mit Lego. Mit solchen Maßnahmen könnte es eher zu einer Solidarisierung der Bevölkerung mit ihrer Regierung unter den härtesten Umständen einer scheinbaren Schicksalsgemeinschaft kommen.

Roland Bathon ist Autor bei Telepolis und des Sachbuchs "Putin ist nicht Russlands Zar" - weitere Infos unter www.journalismus.ru

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