Kooperation anstatt Egoismus?

Seite 4: Leben in Massengesellschaften

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nicht die Bedrohung durch die Atombombe, die Aussicht auf drastische Klimaveränderungen oder die Ausbreitung tödlicher Krankheiten bedrohen unsere zukünftige Existenz, sondern gerade der Umstand, der in erster Linie dafür verantwortlich ist, daß die Gattung Mensch das 20. Jahrhundert erreicht hat - unser komplexes Seelenleben mit seiner außerordentlich bemerkenswerten Fähigkeit zur Kooperation.

William Allman

Allman weiß um die Schwierigkeiten des "Tit-for-Tat"-Modells, läßt sich aber doch dazu verführen, gelegentlich aufmunternde Botschaften zu verkünden, weil er auch Hoffnung für das Leben in der modernen Massengesellschaft säen will: "Die Netten werden die Ersten sein." Aber Kooperation ist weiterhin egoistisch und "Tit-for-Tat" funktioniert am besten innerhalb kleiner, überschaubarer Gruppen, die sich dann auch gegenüber anderen, weniger gut organisierten Gemeinschaften durchsetzen können. Vielleicht ist der Trend, daß sich durch Computernetze wieder kleine homogene Gruppen bilden oder überhaupt die Sehnsucht nach Gemeinschaften lauter wird, ein Ergebnis des durch das Leben in Massengesellschaften hervorgerufenen Stresses. In kleinen Gruppen ausgebildete Verhaltenseigenschaften mögen in Staaten und Großstädten versagen, die sich erst in menschheitsgeschichtlich jüngster Zeit entwickelten, so daß verhaltensgenetische Anpassungen, die über viele Millionen Jahre erfolgen, vielleicht keine Chance haben.

Fast während der gesamten Menschheitsgeschichte, die sich über Millionen von Jahren erstreckt, lief das soziale Leben unserer Vorfahren in Kleingruppen ab, die - wenn sie auch oft durch ein weiträumiges Netz aus Handelsbeziehungen miteinander verbunden waren - im Alltag mehr oder weniger von anderen Gruppen isoliert lebten

William Allman

Daran zu erinnern, daß "wir" es schon einmal geschafft haben, uns veränderten Bedingungen anzupassen, hilft da wenig und vor allem nicht schnell, wenn die Menschen denn wirklich biologisch an das Leben in kleinen Gruppen angepaßt sind. Wer letztlich evolutionsbiologisch argumentiert, kann dann schlecht mit einem Appell an die Vernunft daherkommen, die Menschen auf der überfüllten und mehr und mehr durch sie ruinierten Erde sollten doch erkennen, daß ihre Zukunft nur von ihrer Kooperationsbereitschaft untereinander und mit der Natur abhänge. Das Spiel der Natur läßt immer nur nachträglich erkennen, wer "erfolgreich" ist, aber es ist zu komplex, um von vorneherein eine langfristig "richtige" Strategie ausbilden zu können, zumal ja auch die Generationen gegeneinander spielen und die künftigen Generationen noch gar nicht vorhanden sind.

Axelrod selbst hat in neueren Computersimulationen gezeigt, daß "Tit-for-Tat" nicht für Beziehungen zwischen Gruppen oder auch Beziehungen zwischen Minderheiten und gesellschaftlicher Mehrheit zu gelten scheint. Besonders wenn Gesellschaften immer weiter in Subgruppen und kooperative, aber miteinander konkurrierende Koalitionen, in ein unübersichtliches "Patchwork aus Minderheiten", zerfallen, gleichzeitig aber nicht mehr geographisch ausweichen und sich isolieren können, würde sich aus evolutionspsychologischer Sicht ein tödliches "globales Gerangel" ergeben. Unser Gehirn scheint eben noch zu wenig "groß" zu sein, um wirklich komplexe, langfristige und vielfach miteinander interagierende Systeme nicht nur begreifen, sondern auch angemessen in ihnen handeln und globale Normen durchsetzen bzw. befolgen zu können - immerhin sind, wie Allman schreibt, "die entsetztlichsten Greueltaten unserer moderenen Gesellschaft auf dem Nährboden unseres kooperativen Verhaltens erwachsen." Schließlich werden gemeinschaftlich auch leichter Normverletzungen begangen.

Ermutigend wäre höchstens der Sachverhalt, daß steigende Demokratisierung offenbar zumindest Kriege gegen andere Staaten nicht zu fördern scheint, auch wenn sie möglicherweise nur dann Erfolg hat, wenn sozialer Frieden herrscht, also die gesellschaftlichen Klassen nicht zu sehr auseinander driften und der allgemein wachsende Wohlstand auf Kosten der Natur geht. Seit fast 200 Jahren hat keine Demokratie mit einer anderen Krieg geführt. Je mehr Personen an der politischen Entscheidung beteiligt sind, desto unwahrscheinlicher ist auch der Abbruch der kooperativen Beziehungen zwischen Staaten. Allmählich könnten also demokratische und kooperationswillige Staaten mit der Strategie "Tit-for-Tat" die "bösen" Staaten ächten, wenngleich möglicherweise dann im Inneren neue Konflikte zwischen Gruppen auftreten, wie wir sie in der Gegenwart bereits mehr und mehr beobachten können.