Korruptionsskandal in Brüssel: Der Rechtsstaat scheint vergessen

Seite 2: Korruptionsverdacht im EU-Parlament: Der Mob und der Rechtsstaat

Es schwingt eine seltsame Dissonanz mit in der Berichterstattung über den mutmaßlichen Korruptionsfall im EU-Parlament. Da wurden knapp ein halbes Dutzend Personen festgenommen, unter ihnen die Vizepräsidentin des Hauses, die Griechin Evdoxia Kailí.

Ja, die Indizien dafür, dass die Sozialdemokratin Bestechungsgelder entgegengenommen hat, sind stark. So stark, dass die belgische Polizei Kailí trotz ihrer parlamentarischen Immunität festnehmen konnte, weil der Zugriff an einem Tatort erfolgte.

Dennoch sind es bislang eben nur Indizien, die gegen die Beschuldigten vorliegen, es sind Vorwürfe, die erhoben werden.

Deswegen sind sie nicht in Haft, sondern in Untersuchungshaft.

Daher handelt es sich nicht um einen Korruptionsfall, sondern um einen Korruptionsverdacht.

Darum sind noch keine Urteile von Gerichten ergangen, sondern es geht vorerst nur um Vorwürfe der Ermittlungsbehörden.

Seit den Festnahmen in Brüssel aber überbieten sich Medien und Politiker in Dramatisierungen. Geradezu absurd wird es, wenn die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis90/ Die Grünen) nun die "volle Härte des Gesetzes" fordert.

Ja, was soll das Gesetz denn sonst machen? Es wird angewendet oder nicht. Es gibt niemanden, bei dem das Gesetz weniger hart oder härter angewendet wird – außer offenbar in Frau Baerbocks Weltbild. Und eine Bundesministerin sollte sich mit solchen Forderungen an die Judikative ohnehin zurückhalten, sofern sie die Gewaltenteilung nicht PR-Stunts unterordnet.

Während die Ermittlungen erst am Anfang stehen und die Polizei noch die Beweise zusammenträgt, haben viele ihr Urteil schon gefällt. Das wird bei einer schnellen Lektüre der Berichterstattung deutlich. Man übersieht es rasch, aber rechtsstaatlich gibt es erhebliche Unterschiede in den Reaktionen.

Ihre Fraktion im Europaparlament hat Kailís Mitgliedschaft ausgesetzt, das ist korrekt. Die griechische Pasok aber schloss sie so umgehend wie unwiderruflich aus. Wärend Kailí in zahlreichen Kommentaren schon verurteilt ist, sprach der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zu Recht von "Anschuldigungen", wenn auch von "sehr schwerwiegenden Vorwürfen".

Wie zuvor erwähnt, nach allen vorliegenden Indizien sind die Anschuldigungen gegen die Politikerin, ihren Lebensgefährten sowie weitere Personen erdrückend, beinahe unleugbar. Aber wir leben aber nun einmal in einem Rechtsstaat, und in einem Rechtsstaat entscheiden am Ende die Gerichte. Nicht die Medien. Und auch nicht andere Politiker, die im Zweifelsfall eigene Interessen verfolgen.

Die Devise der Stunde sollte lauten: Ermittlungen zur Kenntnis nehmen, Mitgliedschaften der Beschuldigten zeitweilig aufheben, Befugnisse bis auf Weiteres aussetzen. Und dann auf gesicherte Erkenntnisse warten. Aber klar, die kommen eben erst, wenn die klickträchtige Erregungskurve abgeklungen ist.

In Deutschland sollte man sich im Übrigen in Zurückhaltung üben, wenn es um die Anprangerung von Korruption geht. Vergessen scheint hier die Schwarzgeldaffäre um die CDU, in deren Verlauf der spätere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) mal eben 100.000 D-Mark aus dem Auge verlor, während andere Spitzenpolitiker tief in einem Sumpf aus Widersprüchen, Lügen und schwarzen Konten versanken. Geschadet hat es politisch kaum jemandem von ihnen – bis heute.

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