Geld ist Macht - die schwarzen Kassen der CDU
In welchem Umfang die CDU jahrelang auf Gelder aus schwarzen Kassen zurückgriff, kam vor genau 20 Jahren ans Tageslicht. Ein neues Buch erzählt nun die wahre Geschichte des sogenannten "Bimbes"
2015 machte der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble in einem Interview eine eher beiläufige Bemerkung, als er wieder einmal nach den ominösen "vier oder fünf" anonymen Spendern des Helmut Kohl gefragt wurde: "Es gibt keine (Spender). Weil’s aus der Zeit von Flick schwarze Kassen gab." Auch wenn Schäuble diese kategorische Aussage später relativierte ("Vielleicht gab es auch Spender.") - seine Bemerkung löste 15 Jahre nach Kohls Rücktritt vom Ehrenvorsitz der CDU erneute intensive Recherchen der Filmjournalisten Stephan Lamby und Egmont R. Koch sowie des Spiegel aus. Die Ergebnisse präsentierten das Magazin und die ARD dann Anfang Dezember 2017 - ein halbes Jahr nach Helmut Kohls Tod. Es war ihm also gelungen, sein Geheimnis mit ins Grab zu nehmen.
Blenden wir kurz zurück in die Zeit der Jahrtausendwende. Es begann im November 1999 mit dem Haftbefehl der Augsburger Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Bundesschatzmeister der CDU, Walther Leisler Kiep, wegen Steuerhinterziehung - und schien zunächst "nur" ein Fall persönlicher Bereicherung zu sein: Kiep habe eine 1991 auf einem Parkplatz in der Schweiz erhaltene Barspende nicht versteuert.
Um sich zu retten, musste Kiep mit der Wahrheit herausrücken: Die Million war für die CDU bestimmt, stammte von dem Waffenhändler Karlheinz Schreiber, der im Auftrag der Firma Thyssen agierte, und sei auf ein Anderkonto eingezahlt worden, das nicht in den offiziellen Büchern der CDU auftauche. Beteiligt an der Transaktion seien auch der Frankfurter Wirtschaftsberater Horst Weyrauch und der Bevollmächtigte der Schatzmeisterei, Uwe Lüthje, gewesen. (Besonders bemerkenswert übrigens: Kiep nahm die Schreiber-Million entgegen, während der Prozess gegen ihn wegen seiner Verstrickung in den Flick-Skandal noch lief!)
In der Öffentlichkeit kamen nun schnell Fragen auf: eine so hohe Spende ohne Gegenleistung? Bald richtete sich die Aufmerksamkeit auf das Panzergeschäft mit Saudi-Arabien, das die Bundesregierung der Firma Thyssen just 1991 genehmigt hatte. Und wieso Bargeld? Wieso in der Schweiz? Ende November 1999 räumte der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler ein, dass die CDU unter Helmut Kohl ein System schwarzer Kassen betrieben habe.
Nun rückte Kohl selbst ins Zentrum des Interesses. Und wenige Tage nach dem Hinweis seines langjährigen Vertrauten und späteren Intimfeinds Geißler übernahm Kohl scheinbar Verantwortung: Am 16. Dezember 1999 sagte er in der ZDF-Sendung "Was nun, Herr Kohl?", er habe von 1993 bis 1998 insgesamt "zwischen anderthalb und zwei Millionen Mark" an Spenden in bar entgegengenommen und unter Umgehung der gesetzlichen Vorschriften verwendet, ohne dass das in den Kassenbüchern aufgetaucht sei. (Später gab er an, er habe das Geld vor allem für den Aufbau der CDU in den neuen Ländern verwendet - was sich einige Monate danach als Lüge erwies. In Wirklichkeit war es für Wahlkämpfe und Meinungsumfragen verwendet worden, also zur Stabilisierung der bröckelnden Macht der Kohl-CDU.) Die Namen der Spender gedenke er aber keinesfalls zu nennen, weil er ihnen sein Wort gegeben habe, ihre Anonymität zu wahren.
Nun brach ein Sturm der Entrüstung los. Kohls Verhalten widersprach allen verfassungs- und zivilrechtlichen Vorschriften über die Offenlegung der Herkunft von Spenden. Aber schwerer noch als die juristische Seite seines Verhaltens wog die moralische: Ein Ex-Bundeskanzler maßte sich an, sein persönliches Empfinden dessen, was angemessen und richtig sei, über die Gesetze des Staates zu stellen, den er keine zwei Jahre vorher noch repräsentiert und geführt hatte.
In der Aufregung über Kohls Chuzpe und Arroganz ging weitgehend unter, was an seiner Aussage noch merkwürdig gewesen war: Warum hatte er sich dem ZDF überhaupt freiwillig gestellt? Warum hatte er sich in dem Interview auf einen kurzen Zeitraum von nur fünf Jahren beschränkt (obwohl er 25 Jahre lang CDU-Vorsitzender gewesen war)? Und warum blieb er sowohl beim Betrag als auch bei der Anzahl der Spender merkwürdig vage?
2003 antwortete Kohl in einem Interview mit Stephan Lamby und Michael Rutz auf eine Nachfrage im für ihn typischen, selbstgerecht-gereizten Ton, das seien "vier oder fünf Leute" gewesen, und mehr sage er bekanntlich nicht dazu. Und er betonte auf merkwürdige Weise, dass ja nie ein anderer Betrag als die zwei Millionen genannt worden sei. Aber all dies fiel, wie gesagt, für lange Zeit niemandem auf.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch von Karl-Heinz Ebert: "Die Beichte meines Vaters über die Herkunft des Bimbes. Die schwarzen Kassen der CDU", 160 Seiten, Westend Verlag. Karl-Heinz Ebert erzählt von der Beichte seines Vaters Karl-Anton Ebert, der als Buchhalter an entscheidender Stelle verwickelt war, und von den Ergebnissen seiner eigenen Recherchen. Die lassen tief in ein weit verzweigtes System schwarzer Kassen bei Deutschlands größter Volkspartei blicken und enthüllen einen atemberaubenden Coup aus der Frühphase der Bundesrepublik Ende der 1950er-Jahre.
Der Druck auf Kohl auch aus seiner eigenen Partei wurde so groß, dass er im Januar 2000 den Ehrenvorsitz niederlegte. Vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Spendenaffäre blieb er bei seiner überheblichen Haltung und verweigerte jegliche Angaben. Gegenüber dem damaligen Bundesgeschäftsführer der CDU, Willi Hausmann, räumte Kohl zwar ein, dass es geheime Konten gegeben habe; dies sei notwendig gewesen, um parteiinterne Vorgänge zu finanzieren. Ein Unrechtsbewusstsein schien er aber weiterhin nicht an den Tag zu legen.
Fragen nach der Käuflichkeit von Entscheidungen seines Kabinetts wies er mit pathetischer Entrüstung zurück. Dies konnte er vermutlich auch deshalb tun, weil vor der Übergabe der Regierungsgeschäfte an Gerhard Schröder möglicherweise große Mengen von Akten im Kanzleramt gezielt vernichtet worden waren - etwa jene über den Verdacht, bei der Übergabe des DDR-Tankstellensystems an die französische Gesellschaft Elf Aquitaine seien Schmiergelder im Spiel gewesen. Auch die Akten zu den Spürpanzer-Lieferungen an Saudi-Arabien, die Korrespondenz des Kanzleramts mit Karlheinz Schreiber und andere Vorgänge, die in Verbindung mit großzügigen Spenden an die CDU standen, waren nach den "Bundeslöschtagen" nicht mehr auffindbar.
Rechtlich betrachtet ist der Vorwurf der Aktenvernichtung aber nie belegt worden - die Staatsanwaltschaft sah keine ausreichenden Belege, um Anklage zu erheben. Kein Wunder: Schon einige Mitglieder des Untersuchungsausschusses zur Aktenvernichtung hatten einen "kollektiven Gedächtnisschwund" bei den relevanten Zeugen konstatiert.
Zum organisierten Gedächtnisverlust trug auch bei, dass der maßgebliche Ermittler bei der Augsburger Staatsanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Jörg Hillinger, der seit 1995 gegen den Willen seines Vorgesetzten den Finanztransaktionen Karlheinz Schreibers auf der Spur gewesen war, im April 1999 praktischerweise einem Verkehrsunfall zum Opfer fiel - und dass seine Aktennotizen auf Anordnung seines Nachfolgers teilweise geschwärzt wurden.
Jeder von Kohls Auftritten vor dem Untersuchungsausschuss im Jahr 2000 zeigte, dass er sich weiterhin als unantastbarer, "ewiger" Kanzler fühlte, obwohl seine Regierung über ein Jahr zuvor abgewählt worden war. Und er nahm stoisch in Kauf, dass seine Partei großen finanziellen und politischen Schaden nahm - und dass sein persönlicher Ruf als international respektierter "Kanzler der Einheit" erheblich litt und alte Zweifel an seinem Charakter neue Nahrung erhielten. Die Frage, warum Kohl bereit war, einen so hohen Preis zu bezahlen, anstatt die Spender zu nennen, wurde damals zwar gestellt, blieb aber unbeantwortet.
Der finanzielle Schaden für die CDU war erheblich - zumal nach und nach immer mehr ungeklärte Geldbeträge in den Unterlagen der CDU auftauchten. Es stellte sich heraus, dass zahlreiche Schattenkonten und Briefkastenfirmen wie zum Beispiel die Schweizer Stiftung "Norfolk" der Geldwäsche für Beträge dienten, die der CDU zugutekamen, aber nie in deren Büchern und Rechenschaftsberichten aufgetaucht waren.
Kohls Versuch, durch die Akquise privater Spenden von über sechs Millionen DM den Schaden für seine Partei zu begrenzen, bewies zwar seine große Nähe zu wohlhabenden Unternehmern wie dem Filmhändler und Fernsehunternehmer Leo Kirch und dem Zeitungsverleger Erich Schumann und zeigte, wie sehr ihm diese für seine Politik gewogen waren, war aber angesichts einer Strafe von 41,3 Millionen DM, die Bundestagspräsident Thierse im Februar 2000 über die CDU verhängte, nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Bald geriet auch Kohls Nachfolger im Parteivorsitz, Wolfgang Schäuble, in den Strudel der Affäre. Ihm wurde der Umgang mit einer 1994 übergebenen Barspende von 100.000 DM zum Verhängnis - sie stammte vom bereits genannten Waffenhändler Karlheinz Schreiber. Weil Schäuble und die CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister sich widersprechende Angaben zum Umgang mit dieser Spende machten und der Betrag niemals in den Büchern der CDU auftauchte, verzichtete Schäuble im Februar 2000 auf eine erneute Kandidatur für den Fraktions- und Parteivorsitz, womit der Weg für Angela Merkel (Partei) und Friedrich Merz (Fraktion) frei war.
Eine besonders unappetitliche Rolle in der Affäre spielte die hessische CDU. Sie war ohnehin ein Schlüsselverband in der Kette von Spendenskandalen, die die CDU seit der weiter unten zu behandelnden Flick-Affäre Anfang der 80er begleiteten, weil der Schwarzgeldstratege Horst Weyrauch seine Wirtschaftsprüfungsfirma in Frankfurt am Main hatte und als Mitglied der hessischen CDU deren Finanzberater war. Lukrativ für den Landesverband war seine große Nähe zum Ferrero-Konzern, die der CDU vermutlich ca. eine Million DM an Schwarzgeld-Barspenden einbrachte.
Für besondere Empörung sorgte im Jahr 2000, dass der hessische CDU-Funktionär Sayn-Wittgenstein behauptete, die illegalen Einnahmen stammten aus "Vermächtnissen jüdischer Emigranten". Der Versuch, das aus kriminellen Machenschaften stammende Geld ausgerechnet mit der Aura von Opfern des Nationalsozialismus zu verklären, war an moralischer Verkommenheit kaum noch zu überbieten. Er bildete den Höhepunkt der Skrupellosigkeit, die dieser Landesverband der Union gerne an den Tag legte - beispielsweise auch im Zuge der Kampagne gegen die von Rot-Grün geplante Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft während des Landtagswahlkampfs 1999 unter Roland Koch. Dessen Ankündigung einer "brutalstmöglichen Aufklärung" aller Schwarzgeld-Vorgänge, von denen er selbstverständlich keinerlei Ahnung gehabt habe, gehört seither zum ironischen Zitatenschatz der deutschen politischen Kultur. Und sie wurde selbstverständlich nie eingelöst.
Die 1999 und 2000 nur teilweise enthüllten Vorgänge führten zu einer Verschärfung des Parteiengesetzes, vor allem im Hinblick auf die Transparenz von Spenden. Und sie legten den Verdacht nahe, dass Politik manchmal tatsächlich so funktioniert, wie Klein-Fritzchen-Marxisten sie sich seit jeher generell vorstellen: Die Reichen kaufen sich die Gesetze, die sie brauchen, und die Demokratie ist nur ein Schein. Was aber wirklich zählt, sind Scheine.
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