Kosmische Höhenflüge und Erdendasein

William Shatner, aka Captain James T. Kirk: Wie ein Leben von der Utopie zur Biographie wird

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1968. Ein Plattencover: Der Kopf eines jungen Mannes prangt groß in der Mitte. Die eine Gesichtshälfte in Schatten getaucht, die andere, warm glänzend wie Bronze, zeigt einen Blick, der selbstsicher, visionär nach oben gerichtet ist in die kommenden Zeiten. Es ist ein Blick, wie man ihn von Propaganda-Plakaten kennt. Es ist ein Kopf wie eine Büste - ein Herrscher, ein Gott.

2004. Das Cover einer CD: An den linken Rand gedrängt, halb abgeschnitten, ein Gesicht - in die Hände gestützt, von ihnen halb verborgen, geschützt. An einem Finger groß ein Ehering. Was man von dem Gesicht erkennen kann wirkt müde, etwas aufgedunsen, vielleicht verzweifelt. Die Augen sind geschlossen. Nüchternes, kaltes Schwarz-weiß. Das Licht kommt nicht von fernen Sonnen sondern von einer nackten Glühbirne, die rechts oben ins Bild hängt. Zweimal William Shatner. Zwei Posen - beide inszeniert, gerade auch die dokumentarisch tuende spätere, um mit der früheren zu kommunizieren. Illustrationen zu einem komischen und berührenden, eitlen und ehrlichen Lehrstück über kosmische Höhenflüge und Erdendasein, Utopien und Realitäten.

Be careful what you wish for..

"And while there's a part of me
In that guy you've seen
Up there on that screen
I am so much more."
(William Shatner, "Real")

Die Rolle des Captain James T. Kirk in "Star Trek" war das Beste und das Schlimmste, was William Shatner passieren konnte. Sie hat ihm anhaltenden Weltruhm beschert, und es ist keine Frage, dass Shatner sich immer zu Höherem berufen, nach Weltruhm gesehnt hat. Aber sie hat auch seine gesamte Karriere kanibalisiert, hat auf anderer Ebene diese Berufung zu Höherem zunichte gemacht - Shatner wird für immer weltberühmt sein als Kirk, nicht als echter Schauspieler.

Die Ambition stand dem jungen William Shatner, wenn er sich in Hollywood als Nebendarsteller verdingte, ins Gesicht geschrieben. In Stanley Kramers The Judgement at Nurenberg (dt. Das Urteil von Nürnberg), in Richard Brooks "Brüder Karamasov"-Verfilmung blinzelt ihm der Wunsch nach MEHR aus den Augen - nicht erst Jahrzehnte später (als er sich in den "Star Trek"-Kinofilmen angeblich vertraglich zusichern ließ, dass er mehr Großaufnahmen als seine Co-Stars bekommen würde) strahlt Shatner etwas Raumgreifendes aus, bleibt hinter seinen Rollen immer ein überdimensioniertes Ego sichtbar, gefangen in einer eher engen Begabung.

Sich zurückzunehmen war noch nie Shatners Sache, sein over-acting ist legendär, und auch deshalb ist es eher unwahrscheinlich, dass er unter normalen Umständen das schauspielerische Zeug gehabt hätte zu einer Star-Karriere. Nur einmal ist - von Captain Kirk abgesehen - wirklich die perfekte Rolle zu ihm gekommen wie der Berg zum Propheten: In Roger Cormans "The Intruder" (übrigens auch einer von Cormans schönsten Filmen) spielt Shatner einen schmierigen Demagogen, der bei der Tour durch eine amerikanischen Südstaaten-Kleinstadt gegen die Aufhebung der Rassentrennung agitiert, was fast zu einem Lynchmord führt. Dieser gefährliche Gernegroß war Shatner wie auf den Leib geschrieben; da konnte er in dessen volksverhetzenden Wahlkampfauftritten seinem Hang zum Schmierentheater austoben und hatte dann Luft für subtilere Momente. Vor allem aber klinkt Shatner prima in den Ehrgeiz, die Hybris dieser Figur ein.

Deswegen hat auch der Raumschiff-Kapitän Kirk so gut zu ihm gepasst. Die Künstlichkeit, die Shatners Spiel immer anhaftet, fügte sich wunderbar in die unbefangene artifizielle Ästhetik der TV-Serie, die mit Trikots, Blinkelichtern und Pappmachéfelsen sich die fernen Zeiten und Räume zusammenträumte - aber der Anführer-Anspruch, der Gestus des großen Pioniers und Feldherrn, der hatte bei Shatner die Aura des Authentischen.

Shatner war nie übertrieben wählerisch was seine Rollen anging - überhaupt als Schauspieler zu arbeiten, scheint ihm stets lieber gewesen zu sein, als auf die großen, wichtigen Rollen zu warten. (Der Mann hat immerhin im einzigen je auf Esperanto gedrehten Horrorfilm mitgespielt... Nein, wirklich! Das unglaubliche Ding heißt Incubus, ist von 1965 und inzwischen auf DVD wieder erhältlich.) Heute noch ist er sich für humorige Gastauftritte nie zu schade; wie jüngst in Dodgeball (in Deutschland mit dem feinsinnigen Titel "Voll auf die Nüsse" gesegnet).

Diese Bereitschaft, so ziemlich jeden Mimen-Job an- (und nach Kräften ernst-)zunehmen, hat sich als zweischneidiges Glück entpuppt. Ein planvoller karriere- und imagebedachter Schauspieler hätte "Star Trek" womöglich abgelehnt - nichts konnte damals auf den späteren galaktischen Ruhm der bei ihrer Ersaustrahlung nicht sonderlich erfolgreichen Serie hindeuten. Als "Marke" aber kann sich ein Schauspieler mit zuvielen billigen und trashigen Jobs verschleißen, und irgendwann braucht er auf Angebote für Shakespeare nicht mehr zu hoffen.

Hey, Mr. Tambourine Man!

Shatners Talent (oder zumindest seine eigene Überzeugtheit von selbigem) war aber selten verlegen, um Wege, sich irgendwie gegen alle Widerstände Bahn zu brechen und Gehör zu verschaffen.1968, noch während er "Star Trek"-Folgen drehte, hat er die ganze Bandbreite seines schauspielerischen Könnens für die Nachwelt in ungezügelter Hemmungslosigkeit auf eine Schallplatte gebannt, die jetzt, am 7.Dezember, vom bekannten Produzenten Geffen wieder auf den Markt gebracht wird: "The Transformed Man" heißt das epochemachende Werk, auf dem Shatner einer fast vergessenen Gattung zu neuen Ehren verhalft: Dem Melodram - in seiner ursprünglichen Wortbedeutung des gesprochenen Schauspiels zu einer opernähnlich das Drama nachvollziehenden Musik.

Orchestral untermalte Monologe aus "Henry V.", "Hamlet", "Romeo and Juliet" sowie aus "Cyrano de Bergerac" sind da ebenso zu hören wie Gedichte - gepaart mit rezitierten (!) Versionen von Popsongs zur Begleitung einer gelangweilten Studioband. Kultstatus haben davon vor allem zwei erlangt: Shatners hysterische Varianten von Bob Dylans "Hey, Mr. Tambourine Man" - die mindestens so gut beamt wie Scotty - und von "Lucy in the Sky with Diamonds" - das bei ihm mehr nach schlechten Drogen klingt als alles, was die Beatles je in ihrer LSD-Phase hervorbrachten. Getreu dem Albumtitel ist wirklich nicht mehr der selbe wie vorher, wer das einmal gehört hat.

Auf Schallplatte musste Shatner keine Rücksicht nehmen auf Regisseure oder Filmpartner, konnte seinen Hang zum Chargieren völlig entfesseln. Da greift jede Phrase nach den Sternen, will jeder Satz die Himmel stürmen, ist jede Geste darauf aus, noch vom Mond aus gut sichtbar zu sein. Man kann heute nicht anders als über diese Platte zu lachen, das ist Trash-Faktor 5, ist in einem Maße peinlich und verrückt, dass es schon wieder am Sublimen rührt. Doch Shatner hat das damals ernst gemeint, schreibt in den Liner-Notes "...the thrill from hearing this album all the way through was deeper and more satisfying than anything I had ever experienced". Bei aller unfreiwilligen Komik ist "The Transformed Man" ein Dokument echter, großer Hoffnungen. Das Werk eines jungen, vor Ehrgeiz strotzenden Mannes, der die Zukunft vor sich sieht als zu erobernden Raum - Lebens-Science-Fiction.

Nach 36 Jahren - ein halbes Leben, den Großteil einer Karriere später - ist William Shatner nun ein zweites Mal ins Tonstudio gegangen um eine Platte aufzunehmen. Sie zeigt ihn als wahrhaft transformierten Mann. Die Utopie hat sich unterwegs aufgerieben, geblieben ist ein ernüchterter Realismus. "Real" heißt das letzte Stück auf der neuen CD "Has Been" (Shout! Factory/Sony Music SHO 518535 2), und es handelt von dem verletzlichen, gewöhnlichen, keine großen Antworten parat habenden Mann hinter dem Leinwand-Weltenretter.

"The Transformed Man" war eine Selbstdarstellung des Schauspielers Shatner - "Has Been" ist eine Selbstdarstellung des Menschen Shatner. "The Transformed Man" hatte sich vorgenommen, das Spektrum menschlicher Erfahrung in ganzer Breite zu erkunden als Klettergerüst für die mimischen Fähigkeiten Shatners: Der Produzent Don Ralke nennt in einem kleinen Begleittext die Gegensatzpaare, die da zum Ausdruck kommen sollen, u.a. "confident self-assurance - total psychopathic subservience", "a desire for death - the joy of living", "utter dejection - super elation". Aber das alles ist eben nur Darstellung, wird vorgeführt wie die spektakulären Übungen in der Kür eines Bodenturners.

"Has Been" hingegen spricht aus Erfahrung. Diesmal nimmt Shatner sich keine berühmten Theater-Monologe als Vorlage; acht der elf Nummern hat er selbst getextet. Es ist viel von Ängsten, Versagen, verpassten Chancen die Rede; die Hoffnungen, um die es geht, sind keine großen, selbstsicheren Utopien sondern fragile Wünsche.

Beichte und Predigt

Wieder singt Shatner nicht, sondern spricht zu Musik, und dennoch ist es diesmal eine veritable Pop-Platte geworden: Statt der ausufernden Monologe gibt es regelmäßige Strophen-Refrain-Strukturen, statt atmosphärischer Untermalung handfeste, erstaunlich eingängige Melodien. Das Ganze knüpft nicht beim Melodram an, sondern bei jener etwas aus der Mode gekommenen, in den '60ern und '70ern mal recht populären Tradition des gesprochenen Songs an - so ähnlich, wie einst Bruce Low von den 52 Spielkarten erzählte (wer erinnert sich?).

Nur ein Stück in der Mitte der Platte ist fast musiklos: Leises, amorphes Bass-Geschrubbel begleitet die anderthalb Minuten von "What Have You Done", in denen Shatner vom Selbstmord seiner Frau spricht, deren Leiche er selbst im Swimmingpool fand. Es ist die fraglos problematischste Nummer auf der CD - zu poetisch verbrämt, um einem als Hörer das Gefühl zu geben, wirklich an die wunden Punkte des traumatischen Ereignisses zu kommen; dabei aber in den Momenten, wo Shatners Sprache sich in Lyrik versucht, leider (so persönlich es aus seiner Perspektive sein mag) zu schnell in Floskeln nah am Kitsch gefangen. Bei diesem Track wird am unangenehmsten unterschwellig spürbar, dass die Offenheit, die Shatner auf "Has Been" zelebriert, zu einem Teil eben doch auch eine Pose ist. Dass solche öffentliche, künstlerische Selbstoffenbarung auch etwas mit Eitelkeit zu tun hat, gerade wo sie sich schonungslos zu geben scheint.

Und einmal fällt - das andere Extrem - Shatner wieder so richtig ins Rollenspiel: Auf "You'll Have Time" versucht er, uns die Sterblichkeit von jedem einzelnen von uns klarzumachen, im Stile eines Gospel-Predigers, mit Hammond-Orgel, Chor und allem drum und dran. Das Stück mit seiner "Carpe diem"-Message ist noch am nähesten dran an "The Transformed Man" - weil Shatners Stimme hier wieder diesen hohen, die Silben gern ziehenden, lauten Ton der Emphase bekommt, und weil sich hier wieder eine Kluft auftut zwischen Ernst, endgültiger Wahrheit der Text-Aussage und Shatners zum Schmierenkomödiantentum neigender Umsetzung. Aber eine gewisse Ebene der Komik ist hier gleich mit inszeniert, Shatner sind die Fallstricke einer solchen Nummer offenbar viel bewusster als früher. (Nette Fußnote: Zu der Litanei möglicher Todesarten, die der Gospel-Chor am Ende munter daktylisch herunterbetet - "LUNGcancerHEARTattack, DIAbetesDRUGoverdose..." - gehört auch "spider bite", was wahrscheinlich ein augenzwinkernder Seitenhieb ist auf Shatners herrlich übertriebene Sterbeszene in dem wunderbar trashigen Kingdom of the Spiders)

Altersweisheit mit Schützenhilfe

Zwischen diesen beiden Polen der übergroßen Pseudo-Intimität und des Theaters, Beichte und Predigt, aber findet Shatner auf "Has Been" überwiegend einen reifen, witzigen und weisen Ton, den man ihm nicht unbedingt zugetraut hätte. Da finden sich Stücke wie das großartige "Ideal Woman": Selten hat jemand so pointierte Worte und Töne darüber gefunden, wie sehr die Liebe sich oft gestört fühlt durch die reale Person, die ihr als Projektionsfläche für's große Ideal dient, und wie scheinheilig die (ohnehin sehr seltsame) Forderung ist "Sei einfach du selbst".

Da gibt es andererseits die kleine Ode an die vermeintlich spießige, alltägliche Zweisamkeit einer langjährigen Beziehung "Familar Love", und da ist "That's Me Trying", bei dem Kult-Literat Nick Hornby ("High Fidelity") als Gast-Texter ans Werk durfte - ein bittersüßer Song über einen Vater, der nach Jahren der Entfremdung wieder Kontakt zu seiner Tochter sucht. "Above the quiet there's a buzz / That's me trying," heißt es im Refrain, aber das Besondere ist gerade, dass man Shatner hier entgegen seinen früheren Gewohnheiten endlich einmal NICHT sich anstrengen hört. Dass er nicht nach der Größe hascht - und sie gerade dadurch plötzlich findet.

Es ist gerade ihre weitgehende Entspanntheit, die diese Platte so viel eindringlicher, überzeugender, schöner macht als es alle grandiosen Gesten vermocht hätten. Von den großen psychotischen Ausbrüchen bei "Mr. Tambourine Man" und "Lucy in the Sky" sind bei dem Song "It Hasn't Happened Yet" nur flüsternde Stimmen im Kopf geblieben, Angst-Einsager. Das Lied - in dem die wortlosen Vokalisen eines Soprans bestimmt nicht zufällig hereinschweben wie eine Erinnerung an Alexander Courages berühmtes "Star Trek"-Titelthema - handelt von der Unerfülltheit, davon, dass die Zeichen äußeren Erfolgs keine Zufriedenheit, keine Ruhe, kein Gefühl des Erreichens eines Ziels gebracht haben. Und es ist kein Aufbegehren in Shatners Stimme und kein Greinen, wie er das spricht.

Nur mit ihrem ersten Track scheint die CD fast trotzig in die gleiche Kerbe hauen zu wollen, die "The Transformed Man" seine berühmtesten Lachnummern beschert hat: Zur Eröffnung gibt es die Rezitations-Version eines bekannten Pop-Songs - Pulps "Common People". Shatner als kämpferischer Sprecher der unterpriveligierten Klasse, das hat an sich schon Komik. Aber der Track entwickelt lang nicht die humoritische Hysterie von "Lucy in the Sky with Diamonds": Shatner gibt sich schon hier - jedenfalls für seine Verhältnisse - erstaunlich zurückgenommen. Und der Refrain hält noch eine angenehme Überraschung bereit: Den trällert diesmal kein gesichtsloser Studio-Chor sondern Joe Jackson.

Musikalisch hat sich Shatner diesmal nämlich klugerweise gleich Schützenhilfe von Photonen-Torpedo-Kaliber geholt. Veritable Pop-Größen wie eben Joe Jackson oder Aimee Mann machen ihm die Aushilfs-Sänger. Produziert und großteils komponiert hat den entspannt-gediegenen Sound der Platte Ben Folds, renommierter Chef der "Ben Folds Five". Und mit dem ewigen Wutbolzen Henry Rollins schimpft Shatner im Duett (und zu einer Geräuschkulisse von "King Crimson"-Gitarrist Adrian Belew) über alles von der globalen Erwärmung bis zu unfähigen Fahrschülern, von Glaubenskriegern bis zum Telefon-Marketing. Tenor: Früher war alles besser, und die Jugend von heute... Zwei Rentner auf der Parkbank könnten das nicht schöner.

Freilich gehören zu den angeprangerten Dingen auch "Sänger", die Platten aufnehmen, obwohl sie nur reden statt singen - und solche Momente der Selbstironie eilen auf dieser CD nicht selten zur Hilfe, wenn offensichtliche Fallgruben der Peinlichkeit lauern.

The Evil Captain Kirk

Shatner hat schon länger die Selbstironie für sich entdeckt, gerade im Umgang mit seiner beruflichen Vergangenheit. Was vielleicht auch eine Waffe ist, ein Stück Selbstschutz, eine Möglichkeit, Kontrolle über die Kritik am eigenen Schaffen zu behalten, indem er sich ein bisschen selbst ans Messer liefert, bevor andere ihm schärfere Klingen hinhalten.

In Airplane 2 ("Die unglaubliche Reise in einem verrückten Raumschiff") hat er einen Mondbasen-Commander gespielt, der beim Blick durch's Teleskop die Enterprise erblickt. In einem wunderbaren SATURDAY NIGHT LIVE-Sketch hat er die Gelegenheit genutzt, mal ein bisschen Frust über all die Hardcore-Trekkies abzulassen: Die Nummer zeigt Shatner als Ehrengast einer "Star Trek"-Convention, dem irgendwann einfach der Kragen platzt ob all der Fragen nach irgendwelchen Details der alten Serie - er weiß das alles nicht mehr, es interessiert ihn auch nicht, fängt er an zu schimpfen, das ganze war nur ein Job, den er vor Jahrzehnten gemacht hat, und ob denn all die Fragesteller nichts besseres wüssten als sich endlos mit den kleinsten Trivialitäten einer TV-Sendung zu beschäftigen. Ob sie denn gar kein Leben hätten, fährt Shatner sie an, und - was die nerdigen Trekkies in ihren "I Grock Spock"-T-Shirts besonders hart trifft - ob sie denn überhaupt schon mal ein Mädchen geküsst hätten?

Allgemeine Fassungslosigkeit, die Trekkies stehen in den Trümmern ihres Weltbilds, der wütende Veranstalter zerrt Shatner zur Seite, zeigt ihm seinen Vertrag, kurze Diskussion - und dann, mit erleichtertem Beifall und aufatmendem Lachen bedacht, die Rettung des autistischen Fan-Universums. Shatner kehrt zum Podium zurück und erklärt: "Of course, that was a re-creation of the EVIL Captain Kirk from the episode..."

Bei den MTV Movie Awardshat in einem Einspielfilm Shatner mal allein die Schluss-Sequenz von SE7EN nachgespielt - mit seinen diversen TV- und Leinwand-Persönlichkeiten in den verschiedenen Rollen und mit einem Seitenhieb auf sein legendäres Schallplatten-Meisterwerk der unfreiwilligen Komik als Pointe. Kevin Spaceys Serienkiller war da der Captain-Kirk-Shatner ("What I have done will be studied for years to come - at conventions, on the Internet..."). Und in dem Pappkarton, der am Ende angeliefert wird, und dessen Öffnung der (wenn ich mich richtig erinnere) T.J. Hooker-Shatner verzweifelt zu verhindern sucht, ist: Der Kopf von Shatner, der "Hey, Mr. Tambourine Man" ruft!

Ein Abgehalfterter galoppiert wieder

Selbstironisch ist auch der Titel der neuen CD: "Has Been", so nennt man auf Englisch einen Star, der seine Zeit hinter sich hat. "Has Been" heißt aber zugleich eine der schönsten Nummern des Albums, und die beweist, so lustig sie sich mit ihrem dahingaloppierenden Western-Sound gibt, dass Shatner bei aller zur Schau gestellten Altersgelassenheit und Selbstironie eben doch nicht wirklich gleichgültig ist gegenüber Kritik. Man könnte das Stück fast als eine Art Fortsetzung des eben beschriebenen SNL-Sketches sehen: Wieder geht es gegen eine gewisse Sorte von "Fans", gegen Nerds, deren ganzer Lebensinhalt die Werke anderer Leute sind. "Has been" will Shatner sich nicht schimpfen lassen von Sessel-Cowboys, die selber noch nie irgendwas waren - von den ("Never done") Jacks, den ("Don't Say") Dicks, den ("Two Thumbs") Dons; jenen, die nie was gemacht haben, die nichts zu sagen haben, die ihr Selbstwertgefühl nur daher beziehen, dass sie die Daumen über anderer Leute Arbeit senken. Am Ende des Lieds versucht Shatner, sich das Etikett "Has been" anzuheften, es aber positiv umzudeuten:

Has been implies failure
Not so
Has been is history
Has been was
Has been might again.

Wie wahrscheinlich es ist, dass William Shatner noch einmal Großes leisten wird, sei dahingestellt.Immerhin ist diese CD, die er da aus dem Hut gezaubert hat, schon ein unerwartetes kleines Wunder. Dass aber in den 36 Jahren seit "The Transformed Man" viel passiert ist, dass Shatner Geschichte und Geschichten hat, dass er mehr war als nur ein Raumschiffkapitän in einer Fernsehserie - das ist unleugbar.

Wenn sich die Shatner-Gesichter auf den Plattencovern über die fast vier Jahrzehnte hin anschauen, dann ist der alte William S. wohl nicht der, den sich sein junges Ich kühn erträumt hätte. Er ist transformiert, verändert nicht durch ein kitschiges, schlagartiges metaphysisches Erlebnis wie im Titelstück des ersten Albums, sondern durch das beständige Schmirgeln und Schleifen eines Erdenlebens. Seine Wünsche sind viel intimer geworden, die Hoffnung auf Erfüllung hat sich von jeder Gewissheit verabschiedet. Manches davon mag, wie gesagt, auch wieder Pose sein. Aber dass all die Dinge mit dem Weltruhm und dergleichen für Shatner inzwischen (im doppelten Sinne) erledigt sind, weitgehend abgehakt und ausgestanden, dass er nichts mehr zu beweisen, kaum mehr was zu verlieren hat, das gereicht ihm bei der neuen CD auf jeden Fall zum Vorteil. Die Rolle des "Has Been"s anzunehmen hat ihn merklich befreit; getreu dem alten "Ist der Ruf erst ruiniert..."-Motto schert er sich angenehm wenig um solch Sachen wie die Diktate des Markts.

Zusammen betrachtet sind William Shatners zwei Platten - wohl ohne eigene Absicht - eine eindrucksvolle Demonstration dafür, wie ein Leben von der Utopie zur Biographie wird, Jahr um Jahr von der Vision zur Realität, von der Zukunft zur Vergangenheit wird. Und wie sehr dabei im Normalfall zunehmend die Maßstäbe vom Kosmischen zum Menschlichen hin schrumpfen. Dass aber das Werk des gealterten, noch immer unzufriedenen, verletzlichen Shatner als Album an sich um so viel gelungener ist als jenes seines jungen, überambitionierten, himmelsstürmenden Selbst - das ist dann doch das Tröstliche an der Sache.