Kosovo im Kaukasus
Abchasien und Südossetien - so ähnlich und doch so unterschiedlich
Im Windschatten des georgischen-russischen Konflikts um Südossetien kam es auch zu bewaffneten Handlungen an der Grenze zwischen Georgien und dem De-Facto-Staat Abchasien. Vom 9. bis zum 12. August führten abchasische Truppen im Kodori-Tal eine Offensive zur Besetzung von Oberabchasien durch, einem gebirgigen Gebiet, das nur etwa 2.000 Menschen beherbergt – keine Abchasen, sondern Georgier.
Obwohl Südossetien und Abchasien häufig in einem Atemzug genannt werden, gibt es bedeutende Unterschiede zwischen den beiden De-Facto-Staaten. Während die Georgier in Südossetien vor Kriegsausbruch nur etwa ein Drittel der Bevölkerung stellten, machten sie in Abchasien die relative Mehrheit aus. Und während aus Südossetien bis zum August 2008 deutlich weniger Georgier abwanderten, als Osseten aus Georgien, kam es in Abchasien 1993 und 1998 zu relativ gut dokumentierten gewaltsamen Vertreibungen des Großteils der georgischen Bevölkerung durch abchasische Separatisten.
Am Anfang des Konflikts stand der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung 1990/91. Er hatte zur Folge, dass bewaffnete Gruppen einen Bürgerkrieg um die Macht ausfochten. Die bedeutendsten von ihnen waren militante Anhänger Swiad Gamsachurdias, der 1991 mit einem nationalistischen Programm zum Präsidenten gewählt wurde, der Warlord Tengis Kitowani und seine "Nationalgarde" sowie der Berufsverbrecher Dschaba Iosseliani und seine Mchedrioni-Miliz.
Obwohl untereinander zerstritten, einigten sich diese separatistischen Kräfte darauf, ein Referendum für den Erhalt der Sowjetunion am 17. März 1991 zu boykottieren. Allerdings reichte ihr Einfluss nicht bis nach Abchasien, wo sich praktisch alle Nicht-Georgier daran beteiligten und mit 98,6 Prozent mit "Ja" stimmten. Dafür blieben sie dem am 31. März 1991 stattfindende Referendum zur Unabhängigkeit Georgiens fern, das wiederum dort mit großer Mehrheit angenommen wurde und zur Unabhängigkeitserklärung vom 9. April 1991 führte.
Nachdem die georgische Regierung in antirussischem Überschwang im Februar 1992 bekannt gab, dass sie zum juristischen Stand des Jahres 1921 zurückkehren und alle Verträge aus der Sowjetzeit als ungültig betrachten würde, teilte der Oberste Sowjet Abchasiens seinerseits am 23. Juni 1992 mit, dass er zur Verfassung von 1925 zurückkehren würde, weshalb nur mehr eine Konföderation zwischen Abchasien und Georgien bestünde. Einen Monat später folgte die Unabhängigkeitserklärung.
Das rief bei den georgischen Warlords Unmut hervor. Dass der ehemalige sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse im März 1992 den von den Milizenführern im Januar gestürzten und nach Tschetschenien geflohenen Gamsachurdia formell beerbte, änderte nur sehr bedingt etwas an dieser Situation. Möglicherweise auch deshalb, weil er faktisch kaum Befehlsgewalt über die bewaffneten Kräfte ausübte.
Als die Kitovani-Miliz im August 1992 nicht nur in die georgisch besiedelte Gali-Provinz einmarschierte, um Geiseln aus den Händen von Gamsachurdia-Anhängern zu befreien, sondern weiter zog und die abchasische Separatistenregierung in Sochumi angriff, begann ein sechzehn Monate andauernder Krieg. Geführt wurde er auf beiden Seiten eher von bewaffneten Banden als von regulären Armeen – entsprechend "irregulär" war auch das Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung. Was angesichts der heutigen russischen Unterstützung für Abchasien befremdlich wirkt: auch der tschetschenische Terrorist Schamil Bassajew, der unter anderem für das Massaker an ossetischen Kindern in Beslan verantwortlich war, kämpfte damals auf abchasischer Seite.
Einer ausführlichen Human-Rights-Watch-Studie zufolge setzten beide Seiten gezielt Terror ein, um Teile der Bevölkerung zu vertreiben – allerdings hatten die abchasischen Banden und ihre Verbündeten dabei weit mehr Erfolg als die Georgier. Vor allem nach der Eroberung Sochumis wurden gezielt Greuel verübt, die zur Flucht fast aller georgischen Stadtbewohner führten - viele von ihnen erfroren oder verhungerten in den Bergen. Im Dezember 1993 kam schließlich ein Waffenstillstand zustande, der im Jahr darauf durch russische Truppen gesichert wurde. Die konnten oder wollten vier Jahre später nicht verhindern, dass zurückgekehrte Georgier erneut gewaltsam vertrieben wurden. Die Verantwortlichen für Terror und Vertreibung wurden, von Ausnahmen wie Bassajew abgesehen, bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen. Stattdessen konnten sie Karrieren in den eng mit dem Organisierten Verbrechen verwobenen Bereichen Politik, Militär und Verwaltung machen.
Weil die Abchasen bei der Zählung von 1989 nur 17 Prozent der Bevölkerung ausgemacht hatten, verweigert die abchasische Regierung bis heute eine Rückkehr der Flüchtlinge, welche die Mehrheitsverhältnisse in dem De-Facto-Staat grundlegend ändern würde. Nach der offiziellen Statistik sank die Zahl der Einwohner in dem Gebiet zwischen 1989 und 2003 um weit mehr als die Hälfte - von 525.061 auf 215.972. Eine wichtige Rolle dürfte bei dieser Entwicklung die Vertreibung von ethnischen Georgiern gespielt haben: 1989 stellten sie mit etwa 240.000 Menschen noch knapp die Hälfte der Bevölkerung, 2003 mit 45.953 nur noch gut 20 Prozent. Bemerkenswert ist, dass in dieser Zeit nicht nur ihre Zahl, sondern auch die der Griechen, Armenier und sogar die der ethnischen Russen stark zurückging. Der Anteil letzterer sank zwischen 1989 und 2003 sowohl absolut als auch relativ von 76.541 Personen (14,6 Prozent) auf 23.420 (10,8 Prozent). Selbst die Abchasen konnten ihre Zahl in dem De-Facto-Staat, dessen Einwohner offenbar auch mit den Füßen abstimmten, nur leicht von 93.267 auf 94.606 steigern.