Tschetschenischer Terroristenführer Bassajew ist tot

Bassajew hatte die Logik des Terrorismus mit spektakulären Anschlägen vorangetrieben, jetzt kam er vermutlich auf dem Weg zu einem neuen Anschlag durch eine Explosion ums Leben

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Nach Angaben des russischen Geheimdienstes ist Schamil Bassajew, einer der bekanntesten Terroristenführer Tschetscheniens, auf jeden Fall der am meisten gesuchte, zusammen mit 11 anderen Männern getötet worden. Bestätigt wurde der Tod auch durch die den Rebellen nahe stehende Website KavkazCenter. Erst vor kurzem ist Bassajew zum Vizepräsidenten von Ischkeria, wie die Rebellen Tschetschenien bezeichnen) ernannt worden, was auf eine Radikalisierung des Widerstands hindeutete. Doku Umarov war erst kurz davor zum Präsidenten geworden, nachdem der vorhergehende Rebellenführer Abdul-Khalim Sadulayev getötet wurde.

Schamil Bassajew. Bild: KavkazCenter

Bassajew könnte man als den Sarkawi Tschetscheniens bezeichnen, wenn er nicht selbst maßgeblich dafür verantwortlich gewesen wäre, die terroristische Strategie auf eine neue Ebene zu heben, die Sarkawi als Vorbild diente. Zumindest war Bassajew einer der maßgeblichen Köpfe, die Massengeiselnahmen von Hunderten von Menschen eingeführt und damit ganz im Sinne der terroristischen Medienstrategie spektakuläre Ereignisse inszeniert haben. Damit hat er aber auch einen entscheidenden Anteil daran, die Rebellenbewegung zu spalten und den tschetschenischen Kampf um Unabhängigkeit im Ausland in Misskredit zu bringen. 1999 leitete er die erste Massengeiselnahme, bei der die Rebellen in der südrussischen Stadt Budyonnovsk in ein Krankenhaus eindrangen und 1.500 Menschen zu ihren Gefangenen machten. Die Aktion zog sich mehrere Tage hin, um die 100 Patienten kamen durch den Versuch der russischen Soldaten ums Leben, das Krankenhaus zu stürmen. Nach Verhandlungen zog sich Bassajew zurück. Schon 1991 hatte der 1965 geborene Tschetschene mit einer Flugzeugentführung seine terroristische Laufbahn zur Befreiung des Landes von Russland begonnen.

Für Bassajew war der Tschetschenien-Konflikt, der 1991 nach Ausrufung der Unabhängigkeit durch den gewählten Präsidenten Dudajew begann, vermutlich ein einschneidendes Ereignis. Als gescheiterter Student arbeitete er damals als Computerverkäufer in Moskau und entdeckte womöglich den Sinn seines Lebens in den einfachen Werten des Kampfes und später in denen des fundamentalistischen Islams. Nach der Flugzeugentführung ging Bassajew nach Abchasien, wo er auf der Seite der Separatisten und möglicherweise mit der Unterstützung Moskaus gegen die Georgier kämpfte und dort bereits angeblich seine Grausamkeit demonstrierte. Möglicherweise hielt er sich danach in Afghanistan auf und machte Bekanntschaft mit den dort kämpfenden islamistischen Rebellen. Nach der Invasion der russischen Truppen und dem Sturz von Dudajew 1994 schloss sich Bassajew diesem an und kommandierte eine Einheit von tschetschenischen Kämpfern, die in den Kämpfen weitgehend aufgerieben wurden. 1995 tötete eine russische Bombe, die auf sein Haus in Vedeno einschlug, seine Frau, seine Kinder und andere Familienangehörige. Nach der erfolgreichen Besetzung des Landes und dem Rückzug der geschlagenen tschetschenischen Kämpfer gingen diese über zu Terroranschlägen. Die radikale Idee, ein Krankenhaus zu überfallen und Angestellte und Patienten als Geiseln zu nehmen, wuchs vermutlich auch aus der militärischen Niederlage und dem persönlichen Schicksal.

Schamir Bassajew und Aslan Maschkadow. Foto: KavkazCenter

1998 stellte sich Bassajew, nachdem es unter Jelzin zu Verhandlungen gekommen war und ein Friedensabkommen mit Russland vereinbart wurde, als Präsidentschaftskandidat auf, unterlag aber dem moderateren Aslan Maschkadow, der ihn zum Regierungschef ernannte. Bassajew trat kurz darauf von diesem Amt zurück und zog 1999 lieber wieder in Krieg. Dieses Mal wollte er, der bereits stark islamistisch geprägt war, Dagestan erobern und zu einem islamischen Staat machen. Die russischen Truppen konnten den Aufstand niederschlagen, die Spannungen zwischen der tschetschenischen und russischen Regierung nahmen zu. Als dann im September 1999 Anschläge auf Wohnhäuser in Moskau erfolgten, nahm dies die russische Regierung – allen voran der damalige Regierungschef Putin, der kurz darauf russischer Präsident wurde - zum Anlass, erneut in Tschetschenien einzumarschieren, da sie davon ausging – oder dies zumindest behauptete -, dass tschetschenische Terroristen unter Bassajew dafür verantwortlich waren. Wer die Täter wirklich waren, ist bis heute nicht bekannt (Ein paar Zuckersäcke und eine gewonnene Wahl).

Bassajew mischte im zweiten tschetschenischen Krieg wieder kräftig mit und verlor 2000, als er beim Rückzug aus Grosny auf eine Landmine trat, ein Bein. Bassajew rückte weiter von Maschkadow ab, der ihm zu gemäßigt war, und stand vermutlich hinter dem nächsten spektakulären und ausgeklügelten Terroranschlag, der nach dem 11.9., als alle Welt nach Afghanistan und al-Qaida blickte, die Aufmerksamkeit wieder auf den russisch-tschetschenischen Konflikt lenkte. Die Besetzung des Theaters in Moskau (Der Mediencoup im Theater) während einer Aufführung und die Geiselnahme von über 1000 Menschen waren nur mit einem Selbstmordkommando möglich. Bei der Befreiung kamen durch das Gas, das die russischen Spezialeinheiten verwendeten, über 120 Geiseln ums Leben. Die Geiselnehmer, darunter auch Frauen, wurden erschossen. Kurz darauf war Bassajew für einen Anschlag auf das Regierungsgebäude in Grosny verantwortlich. 2004 stand er vermutlich hinter dem Attentat auf den pro-russischen Präsidenten Akhmad Kadyrov, dessen Sohn, Anführer einer berüchtigten Miliz, nun die Regierung übernommen hat und mit harter Hand gegen die Rebellen vorgeht.

2004 drehte Bassajew mit der Organisation der Massengeiselnahme in der Schule von Beslan die Spirale des Aufmerksamkeitsterrorismus noch einmal weiter ("Ein totaler, grausamer Krieg"). Vor allem im Laufe der Erstürmung wurden mehr als 300 Menschen, überwiegend Kinder, getötet. Die russische Regierung setzte ein Kopfgeld von 10 Millionen Dollar auf den Terrorführer aus, dessen Strategie, Zivilisten zu Opfern von Anschlägen zu machen, aber nach Beslan mehr und mehr von den gemäßigteren Rebellen um Maschadow abgelehnt wurde. Dessen Tötung im Frühjahr 2005 (In Tschetschenien verhärten sich die Fronten) führte zu einer erneuten Radikalisierung der Rebellen, so dass Bassajew wieder in der Hierarchie aufsteigen konnte. Eine der letzten großen Aktionen von Bassajew war der Angriff auf die russische Stadt Naltschik. Die Rebellen griffen Regierungsgebäude an und nahmen sie kurzzeitig ein. Angeblich wollten sie auf dem Flugplatz einen Militärjet entwenden, um damit einen, dem 11.9. vergleichbaren Anschlag in Moskau auszuführen.

Der Geheimdienstchef berichtet dem russischen Präsidenten Putin vom Tod des Terroristenführers. Foto: Kreml

Nun also haben Spezialeinheiten des russischen Geheimdienstes FSB, nachdem sie bereits zuvor einige Rebellenführer getötet haben, auch Bassajew erwischt, zumindest konnten sie seinen Tod melden. Der Geheimdienstchef sagte, man habe die Terroristen während einer „Spezialoperation“ getötet. Sie hätten gerade einen Anschlag vorbereitet, der während des G-8-Gipfels in Sankt Petersburg geplant gewesen sein soll. Bassajew hatte sich erst vor kurzem bei den irakischen Terroristen bedankt, die fünf russische Diplomaten getötet und verlangt hatten, dass sich Russland aus Tschetschenien zurückziehen soll. Putin erklärte, der Tod sei die verdiente Strafe des Terroristen. Insgesamt sollen, wie Interfax meldete, 13 Rebellen ums Leben gekommen sein. Ob das aber tatsächlich der Erfolg der „Spezialoperation“ war oder durch einen Unfall verursacht wurde, ist fragwürdig. Offenbar kamen die Rebellen, die in einem Konvoi von Fahrzeugen fuhren, durch eine Explosion ums Leben, die von einem mit Sprengstoff beladenen Lastwagen verursacht wurde. Wie die Explosion zustandekam, ist nicht bekannt. Bassajew konnte anhand gefundener Körperteile identifiziert werden. Medien vermuten auch, es könnte sich um eine gezielte Tötung durch einen Angriff aus der Luft handeln.

Den Tod Bassajews, der schon des öfteren behauptet wurde, hat inzwischen auch die Website der Rebellen bestätigt. Abdallah Shamil Abu-Idris, wie Bassajew sich zuletzt nannte, sei Märtyrer (Shaheed) geworden, sagte Rebellenführer Abu Umar. Hier verficht man jedenfalls die These, dass Bassajew nicht durch russische Soldaten, sondern durch eine zufällige Sprengstoffexplosion ums Leben kam. Eine Spezialoperation habe es nicht gegeben. Die Russen hätten erst Stunden, nachdem ein Kommandeur eine Explosion gemeldet hatte, den Tod von Bassajew bekannt gegeben. Nach KavkazCenter soll es auch nur vier Tote gegeben haben.

Die Hoffnung ist nun, dass der Widerstand der Islamisten mit dem Tod Bassajews in sich zusammen fallen könnte. Auch Menschenrechtler wie Lyudmila Alexeyeva von der Helsinki-Gruppe hoffen, dass damit Terroranschläge wie die auf die Schule von Beslan nicht mehr vorkommen werden. Bassajwe sei zu einem „Symbol für gewaltsame und brutale Terroranschläge“ geworden, bei denen viele unschuldige Menschen sterben mussten. Allerdings ist sie der Meinung, dass sich auch dann, wenn keine großen Terroranschläge mehr ausgeführt werden, die Situation in Tschetschenien nicht verändern werde. Der tschetschenische Regierungschef Ramsan Kadyrow möchte den Tod Bassajews als schweren Schlag für die Rebellen sehen und kündigte an, dass demnächst weitere Terrorführer wie Abu Umar denselben Weg gehen werden. Auch nach dem Tod des Terroristenführers Sarkawi wurde gehofft, dass die Terroranschläge im Irak zurückgehen könnten und der Widerstand einbrechen würde. Das hat sich nicht bewahrheitet. Auch in Tschetschenien kann zwar die Anwendung von massiver Gewalt und Repression die Zahl und die Handlungsfähigkeit von Aufständischen und Terroristen einschränken, aber das kann, wie die beiden Kriege gezeigt haben, auch zu einer Stärkung der terroristischen Aktivitäten führen, solange die Situation im Lande sich nicht ändert. Und danach sieht es nicht aus. Schließlich ist Putin ähnlich wie Bush populär und stark durch den Terrorismus geworden. Beide haben darauf ihre politische Strategie aufgebaut und sehen ihre Länder im Kampf gegen den Terrorismus, der vornehmlich militärisch ausgerichtet ist und mit Härte geführt werden muss. Putin hatte gerade erst seine Macht als Kriegsherr erweitern lassen: Lizenz zum Killen im Ausland).

Ungelegen kommt Putin die Meldung vom Tod des berüchtigten Terroristenchefs kurz vor dem G-8-Treffen am 15. und 16. Juli in Sankt Petersburg sicherlich nicht. Der Erfolg wird bereits den Einsätzen von Spezialeinheiten zugerechnet, die im Ausland operieren, wo Waffen gesammelt und nach Russland geschmuggelt werden. So stellt sich Russland nicht nur als ein vom Terror bedrohtes Land dar, das sich wie alle anderen Länder auch dagegen zur Wehr setzen muss, der Tod Bassajews soll auch verdeckte Operationen im Ausland und präventive Interventionen rechtfertigen.