Krankmeldung als Waffe in einer "kranken Arbeitswelt"?

Airbus A320-200 der Air Berlin in Sonderbemalung anlässlich der Kooperation mit Etihad Airways. Bild: Frank Schwichtenberg / CC BY-SA 3.0

Viele Beschäftige in Deutschland könnten sich an den Piloten ein Beispiel nehmen. Sie sollten eher auf ihre Gesundheit achten, als krank zur Arbeit zu gehen. Ein Kommentar

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Sie hätten fehlenden Anstand, seien feige und könnten sich nicht auf das Arbeitsrecht berufen. So wurden im Deutschlandfunk die Air-Berlin-Piloten beschimpft, die sich in den vergangenen Tagen vermehrt krank gemeldet hatten. Der Wirtschaftsjournalist Thomas Weinert machte auch gleich deutlich, warum er sich so darüber echauffiert. "Jeder Investor wird sich fragen, ob er sich so ein Betriebsklima leisten kann."

Und immer an den Standort denken

"Eine kollektive Krankmeldung in der jetzigen Situation ihres Arbeitgebers - das ist so ziemlich das Fieseste, was man sich ausdenken kann", holt Weinert nun zur ultimativen moralischen Vernichtung der Piloten aus, die eben wohl mal nicht zuerst an den Standort Deutschland gedacht haben. Das aber ist ja das Credo der deutschen Volksgemeinschaft, die sich in der BRD verschiedene Namen gegeben hat wie "konzertierte Aktion" oder "Standortgemeinschaft".

Immer ging es darum, dass es die höchste Tugend sei, Opfer für die Interessen des Unternehmens und den Standort Deutschland zu bringen. Wer dazu nicht bereit war, galt entweder ein schlimmer Chaot oder roter Umstürzler oder eben total egoistisch, feige und anstandslos. Darüber waren sich in diesen Tagen Politiker von SPD, FDP und Union, die Dienstleistungsgewerkschaft verdi und fast alle Medien unisono einig.

Diese deutsche Standortgemeinschaft lässt erahnen, was erst in Deutschland los wäre, wenn das Beispiel der Piloten Schule machen würde. Wenn sich auch Beschäftigte in den Kitas, in den Krankenhäusern und auch an anderen Arbeitsstellen daran ein Beispiel nehmen würden. Grund dazu hätten sie auf jeden Fall. Denn die dortigen Arbeitsbedingungen, die ständige Überlastung, die dünne Personaldecke machen krank. Es gibt also wohl kaum eine Branche, die davon nicht betroffen wäre.

Innehalten in der "kranken Arbeitswelt"

Der Leiter der des Bremer Forschungsbüros für Arbeit, Gesundheit und Biographie Wolfgang Hien hat im VSA-Verlag unter dem Titel Kranke Arbeitswelt eine engagierte Streitschrift verfasst, die die vielgerühmte neue Arbeitskultur als Angriff auf die Gesundheit der Beschäftigten begreift.

Das Buch endet mit einer Utopie: "Das Mögliche, dieses 'Noch-Nicht' (Bloch), kündigt sich heute schon an. Überall sind Zeichen zu sehen, zu hören, zu fühlen, wenn wir nur genau hinschauen, genau hinhören, genau hinspüren. Dazu brauchen wir aber auch die Stille, das Innehalten, die Abkehr von den Verblendungen und dem Getöse der kapitalistischen Warenwelt."

Dazu brauchen wir aber mehr Beschäftigte, die es wie die Air-Berlin-Piloten machen, die sich lieber krankmelden als sich krankschuften. Es wird sofort argumentiert, dass die Piloten ihre Stellung ausnutzen und dass sie sowie schon zu den Gutverdienenden gehören. Was sollen aber erst die Beschäftigten bei Air-Berlin sagen, die viel schlechter bezahlt werden?

So wurde auch schon argumentiert, als die Lokführer in den Ausstand getreten sind. Doch diejenigen, die nun den Piloten vorwerfen, sie wären unsolidarisch gegenüber den schlechter bezahlten Kollegen, haben nur ein Credo: Alle müssten Opfer bringen. Vielleicht waren ja diejenigen, die sich krankschreiben ließen, auf ihre Art viel solidarischer. Sie haben schließlich aufgezeigt, dass es tatsächlich Alternativen zur Ideologie des ständigen Opferbringens für den Standort gibt.

Natürlich bräuchte es mehr Basisgewerkschaften und solidarische Initiativen, damit sich die Devise "lieber krank melden als krankschuften" verbreitet. Sie gehörte seit jeher zu den Grundsätzen von Beschäftigten, die wussten, dass sie nicht mit den Firmen identisch waren, bei denen sie ihre Arbeitskraft verkauften. Das Problem fängt dort an, wo Opelarbeiter tatsächlich mit Parolen wie "Wir sind Opel" schon deutlich machen, dass sie zu fast allen Opfern bereit sind, um nur weiter beim Unternehmen zu bleiben. Genau diesen Eindruck haben die Air-Berlin-Piloten nicht hinterlassen und das ist nicht zu unterschätzen.