Krebs und Kapital

Zur Kritik des Prinzips der Naturbeherrschung

Indem die Natur den Menschen zuließ, hat sie viel mehr als einen Rechenfehler begangen: ein Attentat auf sich selber.

Emile Cioran

Apokalyptische Brände auf der halben Welt und die verheerenden Sturzfluten im Westen Deutschlands haben das, was man mit einem verharmlosenden Begriff Klimawandel nennt, mal wieder aus der Abstraktion gerissen und der Wahrnehmung und Erfahrung zugänglich gemacht - wenn die Erfahrungsfähigkeit der meisten unserer Mitbürger nicht bereits verkümmert und zerstört wäre. Das Fernsehen zeigt Bilder aus der Eifel, die wir bislang nur aus Bangladesch oder vom Tsunami in Thailand kannten.

Jetzt sitzen Politiker und sogenannte Experten wieder in ihren Talkrunden und tun so, als sei noch etwas zu machen. Sie setzen auf technische Lösungen der durch die Technik produzierten Probleme. Der Teufel soll, wie man früher sagte, mit dem Beelzebub ausgetrieben werden. Jahrzehnte lang haben wir dem Raubbau an der Natur beigewohnt und von ihm profitiert. Inzwischen sind alle wesentlichen Kipppunkte überschritten, und es kann nur noch darum gehen, den Untergang zu moderieren und die schlimmsten Barbareien, die mit ihm einhergehen werden, zu verhindern.

Spätestens seit der Club of Rome 1972 seinen Bericht über "Die Grenzen des Wachstums" vorgelegt hat, könnten wir um die Gefährdung des Planeten und die Endlichkeit seiner Ressourcen wissen. Die Mahner blieben umgeben vom Odium der Schwarzmalerei und des apokalyptischen Spinnertums. Man nahm sie nicht ernst und machte weiter wie bisher.

Nun ist auch noch Wahlkampf. Olaf Scholz schreitet, von Malu Dreyer untergehakt, durch einen von den Fluten zerstörten Ort und hofft auf eine Wiederholung des Gummistiefel-Effekts von 2002, als Gerhard Schröder sich beim Elbe-Hochwasser als Krisenmanager präsentierte und nachfolgend die Bundestagswahl gewann.

Nur kann Olaf Scholz sich noch so sehr anstrengen, er hat einfach nicht das Macho- und Macher-Image von Schröder. Das steht auch Armin Laschet nicht zu Gebote, der am selben Abend in einem Katastrophenambiente in NRW zum Interview antritt und mahnt, nun werde es aber wirklich Zeit, die Anstrengungen zu vermehren, um die Katastrophe abzuwenden.

Im Radio wird darüber debattiert, ob die Versicherungsbranche in Zukunft noch für die Folgen von Starkregen aufkommt und wie teuer die Hausbesitzer zu stehen kommt. Die Mauersegler rasen mit schrillem Schrei um unseren Häuserblock. Im Hof unten sitzt ein Rotkehlchen in einem Baum und schwätzt unverdrossen. Ohne den "Schimmelüberzug" denkender Wesen, als die der große Pessimist Schopenhauer die Menschheit betrachtete, wird es der Erde und ihren tierischen Bewohnern besser gehen.

Die Erde wird sich erholen - bis eines Tages erneut ein Einzeller aus dem Meer steigt und alles wieder von vorn beginnt. In den Erzählungen der Hopi-Indianer hat sich diese Geschichte bereits mehrfach wiederholt, ohne dass die weißen Männer etwas aus ihr gelernt hätten. Dabei müsste man beim nächsten Mal "nur" den Abzweig in die kapitalistische Entwicklung von Wert, Ware und Geld vermeiden, und alles könnte wunderbar werden.

Für dieses Mal ist die Sache durch, das Experimentum Mundi (Ernst Bloch) gescheitert. Zweihundert Jahre industrieller Kapitalismus und Sozialismus haben gereicht, um den Planeten sturmreif zu schießen. Der amerikanische Anarchist Murray Bookchin hat darauf hingewiesen, dass wir mit unserer kapitalistischen Wirtschaftsweise, die auf unablässigem Wachstum basiert und ohne dieses nicht existieren kann, als Leitbild ein Krebsgeschwür gewählt haben. Der Kapitalismus nistet sich im Gesellschaftskörper ein und zehrt ihn auf und aus. Dass er mit diesem Körper zusammen sterben wird, nimmt er billigend in Kauf.

Fixierung auf den "Klimawandel" und den CO2-Ausstoß

Bei der durch die Sturzfluten in NRW und Rheinland-Pfalz ausgelösten Diskussion über die Konsequenzen, fällt erneut eine Fixierung auf den "Klimawandel" und den CO2-Ausstoß auf. Der muss verringert werden, und schon wird alles gut. Die Fixierung auf den durch CO2-Ausstoß verursachten "Klimawandel" rückt das Problem, vor dem wir stehen, in den Bereich des technisch-wissenschaftlich Regel- und Machbaren.

Man hofft auf irgendeinen Geniestreich des Geo-Engineering, der das Problem der Treibhausgase lösen kann. Bewegungen und Bestrebungen, die sich am CO2-Problem festmachen, erfreuen sich gegenwärtig einer großen Beliebtheit.

Wir müssen nur auf E-Mobilität und Wasserstoff umrüsten, und schon kann alles so weitergehen wie gehabt. Wir müssen nichts an unserer Art zu leben und an unserem Naturbezug ändern und vor allem müssen wir die Eigentumsverhältnisse nicht antasten. Wir benötigen aber einen viel weiter gehenden Wandel, der die weltweite Abholzung der Wälder und die industrialisierte Landwirtschaft, die Zerstörung der Habitate, das Ausplündern der Fischgründe und Grundwasserleiter, den Einsatz von Pestiziden und den Plastikmüll, die Verbreitung invasiver Arten mit einschließt.

Das Elend der Wildvögel und der zum Schlachtvieh und zur Ressource denaturierten Tiere schreit zum Himmel. Der Mensch steht mittels kapitalfixierter Technik, Wissenschaft und Industrie "in der Natur wie eine Besatzungsarmee im Feindesland", heißt es bei Ernst Bloch. Es ginge darum, diese Armee abzuziehen, radikal abzurüsten und unser Verhältnis zur Natur auf eine andere Grundlage zu stellen. Sie darf nicht länger lediglich als Ressource, als Rohstoff betrachtet werden.

Wir benötigen eine qualitativ andere Gesellschaft

Wir benötigen eine qualitativ andere Gesellschaft, einen Sozialismus der Verlangsamung, der Entbrutalisierung des Umgangs zwischen Mensch und Natur, der an die Stelle der wild gewordenen betriebswirtschaftlichen Ökonomie eine "Ökonomie des ganzen Hauses" (Negt) setzt. Wir leben, um mit Levi-Strauss zu sprechen, in einer zu "heißen" Kultur. Wir leben zu schnell, zu aufwendig, zu brutal, zu spitz, zu metallen, zu rechtwinklig.

Hab neulich mal wieder in dem Band Tahca Ushte - Medizinmann der Sioux herumgeblättert, den Lame Deer und Richard Erdoes in den 1970er Jahren gemeinsam geschrieben haben, und bin auf folgende Passage gestoßen: "Das Symbol des weißen Mannes ist das Viereck. Viereckig ist sein Haus, viereckig sind seine Bürogebäude mit Mauern, die die Menschen voneinander trennen. Viereckig ist die Tür, die Freunde draußen hält, viereckig ist die Dollarnote, viereckig ist das Gefängnis. Viereckig ist der ganze technische Kram des weißen Mannes. Alles hat Ecken und scharfe Kanten - Termine, die Zeit des weißen Mannes mit Verabredungen, Uhren und Stoßzeiten - das bedeuten die Ecken und Kanten für mich. Du wirst ein Gefangener in all diesen Schachteln."

Etwas von der Demut und Naturfrömmigkeit der traditionellen Indianer würde uns gut zu Gesicht stehen. Uns ist die Achtung vor der Natur weitgehend abhanden gekommen, und diese Kategorie kommt in den gegenwärtigen Debatten viel zu kurz. Die hinter uns liegenden eisigen neoliberalen Jahrzehnte haben die Menschen selbst eisig werden und abstumpfen lassen.

Man konnte diese Achtung vor der Natur am ehesten noch bei den Aktivisten im Dannenröder Forst antreffen, die ein Jahr lang für den Erhalt eines Jahrhunderte alten Waldes gekämpft haben, bevor die Staatsmacht sie gewaltsam aus den Baumhäusern und von ihren Plattformen vertrieb.

Wer einmal einen sogenannten Harvester bei seinem Zerstörungswerk beobachtet hat, wird verstehen, was nach der Räumung in den Aktivisten vor sich ging. Im Minutentakt verwandelte dieser lebende Bäume, für deren Rettung sie gekämpft hatten, in Totholz und Rohstoff für die Möbel- und Papierindustrie. Der niedergewalzte freie Raum wird zubetoniert, damit LKWs und SUVs schneller an ihr Ziel kommen, das meist vollkommen sinnlos ist und ebenfalls der weiteren Naturzerstörung dient.

Harvester

Harvester sind auch für mich Symbole des Krieges, den der Kapitalismus der Natur erklärt hat. Oder sollte ich besser sagen: der Industrialismus, denn im Naturbezug unterscheiden sich Kapitalismus und Sozialismus kaum oder gar nicht. Beide sehen in einem Baum lediglich die Festmeter Holz, die sich aus ihm gewinnen lassen. Statt unsere Lebens- und Arbeitsweise umweltgerecht umzugestalten, sollen die Folgen des Raubbaus, also der sogenannte Klimawandel, selber noch mit technischen Mitteln bekämpft werden.

Harvester. Bild: WavingHand / CC-BY-SA-4.0

Mit einem Terminus von Michel Foucault könnte man sagen: Das Konzept "Klimawandel" ist ein "Dispositiv der Macht", das dem Versuch dient, die durch das Raubbauverhältnis des Kapitals zur inneren und äußeren Natur ausgelösten Selbstzerstörungsprozesse des industriell-kapitalistischen Systems auf eine Weise zu stoppen, die den Fortbestand des Systems nicht gefährdet. Deswegen ist es wesentlich, den braven, grünen Teil der Protestbewegung vom radikalen, antikapitalistischen Teil zu trennen, jenen zu hofieren und zu päppeln, diesen zu bekämpfen und wenn nötig zu kriminalisieren.

Was in den ökologischen Debatten der Gegenwart so gut wie gar nicht thematisiert wird, ist die kapitalistische Zurichtung der inneren Natur des Menschen, die wirkliches Glück selten, wenn nicht unmöglich macht. Wer es in der vom Markt- und Kokurrenzprinzip beherrschten bürgerlichen Gesellschaft zu etwas bringen will, muss über die für diesen Erfolg nötigen egoistischen und aggressiven Eigenschaften verfügen und Gebrauch von ihnen machen.

Man muss sein Herz verschließen gegen Mitleid und andere weiche Regungen und bereit sein, die Ellenbogen auszufahren und über Leichen zu gehen. Mangel an Empathie ist kein Produkt einer individuellen Fehlentwicklung, sondern ein Strukturmerkmal der Waren- und Geldgesellschaft. "Welche menschlichen Haltungen gedeihen eigentlich in einem gegebenen sozialen Klima, welche verdorren?", fragte Peter Brückner und stellte fest, dass die Fähigkeit, sich in andere einfühlen zu können, nicht zu den von der bürgerlichen Ordnung geförderten Tugenden gehört.

Die prometheische Wut, mit der die bürgerliche Menschheit gegen die Natur zu Felde zieht, ist also nicht nur ein Ausdruck der Akkumulationstendenz des Kapitals, sondern wurzelt in der Feindschaft des bürgerlichen Menschen gegen sich selbst, seine eigene innere Triebnatur. Selbst- und Fremdbeherrschung sind wie zu einem Zopf verflochten, oder anders gesagt: Das, was man in sich selbst verbissen niederhält, wird auch draußen bekämpft und niedergehalten.

Wer einmal Zeuge geworden ist, mit welchem Furor Eigenheimbesitzer gegen das Unkraut in ihren Vorgärten vorgehen, Hecken beschneiden und den Rasen trimmen, dem wird sofort klar, dass hier noch ganz andere Triebe beschnitten und gestutzt werden. Begradigt werden nicht nur Flüsse und Bäche, sondern auch das anarchische innere Antriebsleben.

Freud hat die Herausbildung der psychischen Instanz des Ich aus einem amorph-unidentischen Zustand mit der Trockenlegung der Zuiderzee verglichen, wo die Niederländer im großen Stil ungebändigte Natur in nutzbringendes Kulturland verwandelten. Wir sehen seit einiger Zeit, dass sich so etwas rächt und das Ungebändigte der Natur jederzeit zurückkehren kann. Wenn es draußen friedlicher zugehen soll, müsste auch innen abgerüstet werden.

Gerade höre ich im Deutschlandfunk einen Herzchirurgen auf die Frage, was für ihn das Herz sei, antworten: "Das Herz ist eine Pumpe, die, wenn man sie gut pflegt, bis zu einhundert Jahre halten und funktionieren kann." Die Romantiker hatten eine ganz andere Vorstellung vom menschlichen Herzen. Ich bekenne, dass ich ein unverbesserlicher Romantiker bin und mir der romantische Begriff der Seele näher ist als die Pumpe des Herzchirurgen.

Götz Eisenberg hat eine dreibändige "Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus" vorgelegt, deren dritter Teil 2018 unter dem Titel "Zwischen Anarchismus und Populismus" im Verlag Wolfgang Polkowski erschienen ist.

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