Kreislaufwirtschaft und Null-Grenzkostengesellschaft
Eine Kreislaufwirtschaft, wie jüngst auch vom Ex-Bundespräsidenten Horst Köhler ins Gespräch gebracht, könnte mehr antikapitalistische Sprengkraft enthalten als auf den ersten Blick sichtbar
Der frühere Bundespräsident Horst Köhler hat am 10. Januar 2020 auf der Zeche Zollverein in Essen eine bemerkenswerte Rede gehalten, in der er zu einer "großen Transformation" aufrief:
Es steht eine neue Große Transformation an, wenn wir katastrophale Folgen der Erderwärmung noch aufhalten wollen. Sie verlangt die möglichst komplette Dekarbonisierung von Produktion und Konsum - also den Abschied von Kohle, Öl und langfristig auch Gas. Sie verlangt die Wende hin zu Erneuerbaren Energien, die Wiederentdeckung der Kreislaufwirtschaft. Und auch ein neues Verständnis von Wohlstand.
Horst Köhler
Nötig sei ein neues Wirtschaftsmodell, das er "Ökologisch-soziale Marktwirtschaft" nennt. Dabei setzt er auf eine "wirkungsvolle" CO2-Bepreisung, sowie - "wo nötig" - auf Verbote, denn es sei - hier zitiert er den "großen Ökonomen John Maynard Keynes" - am Staat, "die Entscheidungen zu treffen, die niemand trifft, wenn der Staat sie nicht trifft". Die von der neuen EU-Kommission unter Ursula von der Leyen vorgestellte "Vision" eines bis 2050 klimaneutralen Europa erscheint ihm "ermutigend", denn sie könne sogar zu einer "Versöhnung von Ökologie, Ökonomie und Sozialem" führen. Na dann wäre das Problem doch endlich gelöst! Nur: Ist das so?
Was bedeutet denn Kreislaufwirtschaft? Eine Kreislaufwirtschaft ist eine Wirtschaft (fast) ohne Wachstum, und ohne kapazitätserweiternde Investitionen. Es wird in einer Wirtschaftsperiode nur das produziert, was in dieser Periode auch verbraucht wird, plus einem Budget für Ersatzinvestitionen und unvorhergesehene Ereignisse, wie etwa Schäden durch Unfälle oder Naturkatastrophen.
Das bedeutet: Auf einem einmal erreichten Niveau bleiben die Menschen bzw. die Volkswirtschaften als Ganze so wohlhabend, wie sie bis dahin geworden sind. Sie werden auch nicht ärmer, wenn man es richtig anstellt; Absinken in Armut ist also nicht etwa schon ins Modell eingebaut. Nur ganz oben, bei den ganz Reichen, bei den Großunternehmen bzw. insbesondere deren Besitzern, den Herren des Geldes, tut sich etwas: die verlieren in the long run das Spielgeld für den alltäglichen Spaß im Spielcasino, oder jedenfalls die Quelle des leistungslosen Profits aus ihrem Vermögen. Das bedeutet unter anderem auch: diese Wirtschaft braucht eigentlich keine Banken mehr, jedenfalls keine Investmentbanken. Warum? Weil kein Kapital akkumuliert wird und sich logischerweise nicht mehr die Frage stellt, wie akkumuliertes Kapital - ja doch meist spekulativ - zu investieren ist.
Die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann hat sich kürzlich ebenfalls zur Kreislaufwirtschaft geäußert, die auch sie favorisiert; sie hat sie in früheren Vorträgen und Veröffentlichungen immer wieder einmal vorgestellt. In ihrem Interview mit Tilo Jung (Jung & naiv) schildert sie diese favorisierte Kreislaufwirtschaft als das reinste Massaker an Banken, Versicherungen und all den im Halbdunklen operierenden Finanzinvestoren und Schattenbanken, die eben genau davon leben - von "OPM", von "other people‘s money", das diese wiederum meist nur zu dem Zweck besitzen, dass es sich vermehren soll, ohne dass - jedenfalls bei den reichsten von ihnen - Aussicht bestehen würde, diese gesammelten Geldberge jemals konsumtiv verwenden zu können. Ja, noch nicht einmal die Erträge aus diesen Vermögen können - und wollen - sie konsumtiv verwenden, jedenfalls nicht voll. Diesen von Adam Smith gesehenen letzten Zweck allen Wirtschaftens, den Konsum, soll und kann das Geld für diese Menschen nicht mehr haben, es soll einfach nur immer mehr werden. Wozu? Um Geldpyramiden zu bauen.
Ulrike Herrmann will nun nicht nur den Finanzinvestoren bzw. dem akkumulierten Kapital an sich an den Kragen, sondern auch etwa der Automobilindustrie, neben all den Industrien natürlich, die von Förderung, Verkauf und Verarbeitung fossiler Energien leben. Die Automobilindustrie könne nicht einfach auf E-Antriebe umgestellt werden, weil die viel zu großen und zu starken E-Mobile mit ihren zu großen Batterien keinesfalls klimaneutral hergestellt und betrieben werden können. Darum müsse auch die Automobilindustrie mitsamt ihren Zulieferern drastisch schrumpfen; eine Einschätzung, mit der sie ja absolut nicht allein steht. Einer neueren Studie zufolge könnte der Personalbedarf in der Autoindustrie ohnehin bis 2030 um 400.000 Stellen schrumpfen, weshalb nun "Investitionen in neue Geschäftsmodelle, Produkte und Entwicklungsaufträge" gefordert werden. Ob aber das in alle Ewigkeit die auch ökologisch nachhaltige Lösung sein kann - das ist eben die Frage.
Eine Art Planwirtschaft auf privatwirtschaftlicher Basis
Um eine Vorstellung davon zu gewinnen wie eine Kreislaufwirtschaft insgesamt aussehen würde, muss man eigentlich nur den Spinnenfäden der Finanzinvestoren folgen, mit denen die Unternehmen - per Erwerb von Aktienpaketen knapp unterhalb der Meldepflicht - ins Netz gesaugt werden. Genau die Unternehmen, deren Aktien die Investoren wegen ihrer vergleichsweise sicheren Renditen so gerne im Portfolio führen, in Deutschland also die großen DAX-Unternehmen, würden nicht mehr wachsen dürfen und keine Kapitalrenditen mehr generieren.
Es stellt sich nun natürlich die Frage: Wie soll man diese Unternehmen dazu bewegen? Und natürlich auch: Wer soll die Folgen für die Beschäftigten tragen, die ja sehr schnell ihren Job verlieren würden? Denn es ist vollkommen klar: Bleiben diese Unternehmen abhängig von der Gunst der privaten Aktionäre, stehen die Überlebenschancen schlecht. Jeder Investor, der wüsste, dass z. B. VW in Zukunft keine Gewinne mehr produzieren wird, weil es das überhaupt nicht mehr will, würde sofort seine VW-Aktien abstoßen. Jedes Unternehmen, das seine Wachstumsorientierung aufgibt, wäre innerhalb kürzester Frist an seiner Börsenkapitalisierung gemessen kaum noch etwas wert.
Was dann? Zur Rettung rufen müsste man dann den Staat, wobei: den Staat müsste man wohl schon vorher gerufen haben, denn anders wären die Unternehmen erst gar nicht zum Wachstumsverzicht zu bewegen. Der Staat müsste also zuerst einmal (mindestens) als Mehrheitsaktionär auftreten. Seine weitere Aufgabe würde dann zum einen darin bestehen, das Schicksal evtl. zu entlassender Beschäftigter irgendwie abzufedern, und zum andern darin, das Unternehmen und seine Unternehmensleistung - unter Umständen geschrumpft, wie eben bei den Autos - zu erhalten, sofern dieses als erhaltenswürdig zu betrachten ist.
Der Staat hätte dieser Argumentation folgend in Zukunft also eine Reihe von Großunternehmen in seinem Portfolio. Ulrike Herrmann scheint es ähnlich zu sehen; jedenfalls sieht sie eine zentrale zukünftige Rolle auf den Staat zukommen, ja sie denkt sogar an eine Art Planwirtschaft auf privatwirtschaftlicher Basis, wie sie sagt. Vielleicht ist so etwas aber - diese Art Planwirtschaft - gar nicht nötig.
Öffentliche vs. Privatunternehmen
Wie arbeiten öffentliche Unternehmen? Tatsächlich arbeiten sie nicht gewinnorientiert, sondern gemeinnützig; sie stehen nicht im Wettbewerb, und sie müssen nicht wachsen. Sie sollen kostendeckend arbeiten und für ihre Besitzer - Staat, Land oder Kommune und letztlich die durch sie vertretenen Steuerzahler - eine attraktive Leistung erstellen. Die Gewinne, die nach geltender Lehre für private Unternehmen die Risikoprämie des Unternehmers sowie die Liquidität für unternehmenserhaltende und -erweiternde Investitionen (eben die Quelle weiteren Wachstums!) darstellen, können entfallen.
So gesehen ist ein öffentliches Unternehmen schon von seiner Anlage her eher eine Art Kreislaufwirtschaft. Es erstellt eine Leistung, für deren Nutzung eine Gebühr entrichtet wird, die so bemessen ist, dass in der Summe der Zahlungseingänge die Kosten gedeckt sind. Das ganze Unternehmen ist sozusagen umlagefinanziert durch seine "Besitzer"; also eben nicht kapitalfinanziert, um Rendite zu generieren, die möglichst wachsen, und möglichst auch noch in alle Ewigkeit fließen soll.
Um an der Stelle gleich den Unterschied zwischen Kapitalfinanzierung und Umlagefinanzierung herauszustellen: Die Kapitalfinanzierung hat - im reifen, in Sparvermögen schwimmenden Finanzkapitalismus - fast nur noch eben den Zweck, Geldpyramiden zu bauen, und davon immer größere und immer mehr. Die Umlagefinanzierung hat dagegen den Zweck, einen statischen, also von Periode zu Periode nicht wachsenden Bedarf möglichst ressourceneffizient zu decken. Das eben bedeutet Kreislaufwirtschaft.
Ein öffentlicher Träger eines Betriebes soll mit der Führung dieses Betriebes nicht überfordert sein. Dies bedeutet etwa, dass nicht besonders herausfordernde und damit risikobehaftete Unternehmenszwecke verfolgt werden. Da das Unternehmen kostendeckend arbeiten soll, müssen die von ihm erstellten Leistungen attraktiv sein, um angenommen zu werden und eine kostendeckende Auslastung zu erreichen; bereitgestellte Kapazitäten, Bedarf und erreichte Auslastung müssen also optimal aufeinander abgestimmt sein. Wenn nicht, produziert es Verluste und macht seinen Besitzern, den Bürgern des Staates oder einer Kommune, wenig Freude. Das ist aber etwa von den bekannten großen ehemals staatlichen Unternehmen Bahn, Post, Telekom oder auch Lufthansa in aller Regel durchaus auch geschafft worden, wie der an der Universität Frankfurt lehrende Sozialwissenschaftler Tim Engartner in einer Reihe von Veröffentlichungen zeigen konnte.
Diese Unternehmen sind nun - bis auf die Lufthansa - Kandidaten für ein sogenanntes natürliches Monopol, weil die von ihnen erstellte Leistung am effizientesten von einem einzigen Unternehmen erstellt wird, anstatt von mehreren konkurrierenden Unternehmen. Das hängt auch damit zusammen, dass die erstellte Leistung homogen ist und daher ohnehin einen großen bezüglich dieser angebotenen Kundennutzenstiftung homogenen Kundenkreis anspricht. Bahnfahrer wollen Beförderungsleistung von A nach B zum Zeitpunkt XY, aber nicht Beförderungsleistung mit unendlich vielen verschiedenen sonstigen Merkmalen, wie es bei Konsumgütern ja typischerweise der Fall ist. Automobilkäufer kaufen zwar auch Mobilität (auch wenn es sich bei diesen Fahrzeugen gern um Stehzeuge handelt …), aber eben eine mit ganz spezifischen, ihren Wünschen entsprechenden Merkmalen, die sie aus der großen Vielfalt von Markenprodukten auswählen können. Sie wollen dabei auf diese Vielfalt des Angebotes auch typischerweise nicht verzichten.
Darum ist das Betriebsrisiko bei Unternehmen, die Güter des privaten Endkonsums produzieren, tendenziell viel höher. Darum wurden etwa Automobile nur ausnahmsweise und vorübergehend in staatlicher Regie produziert, typischerweise etwa um ein Angebot zu schaffen, vor dessen Herstellung Kapitalunternehmen wegen des ihnen zu hoch erscheinenden Risikos zurückschreckten. So war es bei VW noch in der frühen Nachkriegszeit, als die großen etablierten Hersteller das fertig entwickelte VW-Käfermodell für nicht wettbewerbsfähig hielten und seine Produktion ablehnten. Erst als dann der Verkaufserfolg sichtbar geworden war, wurde das bis dahin staatlich betriebene Unternehmen 1961 als Aktiengesellschaft teilprivatisiert. Die Privatisierung sollte dann die Marktkräfte mobilisieren und zur Ausweitung der Produktion und der besseren Versorgung der Konsumenten beitragen, was ohne Zweifel ja auch gelungen ist. Aber genau das ist inzwischen ja eben das Problem - die Autos sind zu zahlreich und zu groß geworden.
VW-Chef Herbert Diess hat die entstandene prekäre Lage des Weltkonzerns auf einem "Global Board Meeting" am 16.1.20 dargestellt ("VW steht mitten im Sturm"). Um die Attraktivität des Automobils zu erhalten, soll es nach seinem Plan zu einer massentauglichen "Internet-Device" werden, weshalb man dann "im Automobil der Zukunft" mehr Zeit verbringe. Es soll "viel komfortabler, wohnlicher und vor allem vernetzter" werden als heute. Der Autofahrer der Zukunft soll also, mit Tablet und Smartphone ohnehin bestens versorgt, in seinem nun mobilen und wohnlichen "Internet-Device" viel Zeit verbringen. Ja, aber wozu, wird man sich fragen. Fährt er dann jeden Tag zweimal zur Arbeit?
Gleichzeitig will man die "E-Strategie zum Erfolg führen" und die CO2-Compliance einhalten, dies aber natürlich nicht auf Kosten der Profitabilität, weshalb die Produktivität gesteigert und die Kosten gesenkt werden sollen. Um die Margen zu halten bzw. weiter zu steigern, sei ein "Paradigmenwechsel weg von Volumen und hin zu Qualität" geplant. Das heißt: statt der billigen Autos für die Volksmassen sollen mehr hochpreisige "Qualitäts"-Autos gebaut werden. Um die Kunden in die E-Mobilität zu locken, sollen 33 Milliarden Euro in die Entwicklung von gleich 12 neuen E-Modellen investiert werden. Man sieht: VW tut alles, um VW "für die Zukunft zu sichern".
Gehen dem Kapitalismus die Kunden verloren?
Wovon hängt die Zukunft ab? Die Frage wird sein ob sich so verhindern lässt, was inzwischen auch schon einige der alljährlich auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos versammelten Milliardäre befürchten: dass den Konzernen - bzw. letzten Endes ja dem ganzen Kapitalismus - die Kunden ausgehen. "Der Kapitalismus wird letzten Endes seine Kunden verlieren", glaubt der Milliardär Yvon Chouinard, Gründer und Eigentümer Outdoor-Marke Patagonia, der von sich behauptet, bekennender Sozialist zu sein.
Schaut man auf die auf gigantischen, auf 205 Billionen Dollar (2018) angewachsenen weltweiten Barvermögen, dann scheint es in der Tat unausweichlich, dass es eines Tages kommt, wie es kommen muss: Das Verhältnis zwischen Rendite suchendem Kapital und zahlungskräftiger Nachfrage wird in eine solch dramatische und irreversible Unausgewogenheit geraten sein, dass die Welt den Werteverzehr einfach nicht mehr produzieren (oder auch: ertragen) kann, der notwendig wäre, um auch nur eine minimale Verzinsung dafür zu generieren.
Die Quellen realwirtschaftlicher Gewinne trocknen aus ("säkulare Stagnation"), und Gewinne sind nur noch entweder spekulativ (Vermögenspreisinflation) oder durch exzessive Verschuldung möglich, wie es jetzt - man schaue etwa auf die explodierten Kreditkartenschulden in den USA - schon längst der Fall ist. Man muss kein Finanzexperte sein, um zu wissen dass eine solche Entwicklung früher oder später nur mit einem Knall enden kann. Und wenn dem (Auto-)Kunden nicht nur die Sattheit (oder auch mangelnde Kaufkraft), sondern auch noch die Klimakrise am Horizont die Kauflaune verdirbt - dann hat der Kapitalismus so langsam seine letzte Trumpfkarte gezogen.
Was dann? Ein solches Ende mit Knall vermeiden könnte eben - eine Kreislaufwirtschaft. Die kann aber nicht von heute auf morgen entstehen, sondern wohl eher durch eine sukzessive Transformation einzelner Unternehmen. Wenn also - wie in diesem Beispiel - ein Auto-Unternehmen unter schon gegebenen bzw. erst noch herzustellenden Umständen von harten umweltpolitischen Auflagen als reines gewinngetriebenes Kapitalunternehmen nicht überleben kann, es aber dennoch - geschrumpft - weiter existieren soll, ohne dabei den Renditeimperativen des Kapitals ausgeliefert zu sein, wird es nicht abwegig sein, mit dieser Zielsetzung über eine (Rück-)Verstaatlichung nachzudenken.
Öffentliche Konsumgüter produzierende Unternehmen
Wenn es nun weiterleben soll, soll es also möglichst nicht dauerhaft Verluste produzieren, und am Tropf der Steuerzahler hängenbleiben. Wie lassen sich die Betriebsrisiken Güter produzierender Unternehmen minimieren, wenn sie staatliche sind? Wohl genauso, wie es auch die privaten Kapitalunternehmen versuchen. Sie minimieren einerseits ihre Kosten, indem sie auf moderne arbeitssparende Technologien zugreifen und gleichzeitig erhöhen sie ihre Flexibilität.
Statt nur ein einziges oder einige wenige Produkte in hohen Stückzahlen zu produzieren, so wie den VW-Käfer in den frühen Jahren der Fließbandproduktion im riesigen Wolfsburger VW-Werk, versuchen sie nun möglichst nah am ständig wechselnden Bedarf zu produzieren, weshalb die Produktionsanlagen in der Lage sein sollen, schnell wechselnde Chargen oder Serien zu produzieren, ohne die Anlage lange still stehen zu lassen. Idealerweise produzieren sie eben in der vielzitierten Losgröße 1, also in einer "Serie" von einem einzigen Stück. Und noch kostengünstiger und vor allem auch ökologischer kann die ganze Anlage betrieben werden, wenn nicht in Massen auf Lager produziert wird und man sich dann nachher darum kümmert, die Produktion in den Markt zu drücken, sondern erst auf erfolgte Kundenanforderung - on demand, wie man dazu sagt.
Das neueste Werk der Daimler-Benz AG, die "Factory 56" in Sindelfingen, das als "Blaupause für die Fabrik der Zukunft" angepriesen wird, soll in der Lage sein, jedes Modell aus der Mercedes-Produktpalette zu produzieren, und dies wiederum weitgehend dem individuellen Kundenwunsch entsprechend; sie arbeitet also extrem flexibel.
Das könnte nun bedeuten: Statt das eine Auto-Unternehmen zu verstaatlichen und das andere nicht, könnte man nur die Werke, also die reine Produktion staatlich betreiben, und in diesen Werken Autos der verschiedenen Marken herstellen, die als solche - also als Autodesigner mit Marke, aber ohne Werk - in stark verkleinertem Maßstab weiterexistieren. Doch so könnte man dem Wachstumsdruck entfliehen: es wären dann Auflagen bzgl. Menge und ökologischen Anforderungen durchsetzbar, ohne dass wie bei der privaten Produktion immer gleich mit existenzbedrohenden Umsatzeinbrüchen gerechnet werden müsste.
Dies soll als Beispiel genügen, um zu zeigen, dass die Industrie tatsächlich schon seit langem auf dem Weg ist, genau dieses Ziel zu erreichen: die Produktionskosten zu minimieren und gleichzeitig die Flexibilität zu maximieren, um so eben auch die Verlustrisiken zu minimieren. Genau dies kann dazu genutzt werden, warenproduzierende Unternehmen - genau genommen am besten nur deren reine Fertigung - sehr effizient auch öffentlich zu betreiben, sobald eben diese geschichtlich vollkommen neuartige Notwendigkeit dazu eingetreten ist.
Private gewinngetriebene Unternehmen wollen, wie man weiß, ihre Gewinne maximieren. Sie müssen dazu neben der notwendigen Kostenminimierung gleichzeitig immer auch eine Umsatzausweitung oder eine "Produktinnovation" im Sinne der Weckung neuer Bedürfnisse anstreben, um dann ein verbessertes, leistungsfähigeres und vor allem auch teureres und damit umsatzstärkeres Produkt verkaufen zu können (also: "vom Volumen in die Qualität"). Das ist eben der Mechanismus, der die zwar energieeffizienter gewordenen Autos zugleich immer größer, schwerer und PS-stärker macht, wodurch die Effekte der gewonnen Energieeffizienz ("Rebound-Effekt") überkompensiert werden.
Genau darauf könnte ein öffentliches umlagefinanziertes Unternehmen verzichten. Die Produkte würden absolut billiger, statt relativ billiger, aber absolut teurer, weil sie insgesamt in mehreren Hinsichten und Dimensionen zum Wachsen getrieben werden müssen. Dieses Billigerwerden könnte sich dann - theoretisch - bis zu den vieldiskutierten Grenzkosten von Null hin komplettieren lassen.
Null-Grenzkostengesellschaft und Kreislaufwirtschaft
Wenn es nun nicht nur Automobilhersteller sind, die man dem Zugriff der BlackRocks und Vanguards entzogen hat, sondern noch einige andere wichtige und unverzichtbare Güter produzierende Unternehmen mehr, dann gäbe es in der Mitte des Wirtschaftsgeschehens, also da, wo bisher die das Wachstum vor allem antreibenden DAX-Unternehmen sitzen, solche Staatsunternehmen, die gewissermaßen von ihren Besitzern, den Steuerzahlern, umlagefinanziert sind. Sie produzieren zwar ihre Leistungen, aber keine Gewinne, sodass die Produkte mit weiterem - und auch genutztem - technischem oder organisatorischem Fortschritt immer billiger werden, ohne gleichzeitig immer mehr oder immer aufwändiger und damit auch teurer zu werden. Geplante Obsoleszenz kann man sich dann natürlich auch sparen.
Außerhalb dieser Unternehmen arbeiteten die Menschen in eher kleinen und mittleren Unternehmen, die zum Überleben weder Wachstum noch technischen Fortschritt brauchen, jedenfalls nicht so zwingend, wie dies bei den großen DAX-Unternehmen bisher der Fall ist. Eine Kreislaufwirtschaft, in der die typische Reinvestition von Gewinnen zur Erzeugung zusätzlicher Gewinne entfallen ist, würde sozusagen ganz von selbst entstehen, ohne dass dazu weitere so gewaltige Eingriffe notwendig wären wie eben die Verstaatlichung von Großunternehmen.
Null-Grenzkostengesellschaft würde bedeuten: Es existiert das Angebot, die Lebenshaltungskosten drastisch zu reduzieren, wenn man sich eben auf den Konsum von Nahe-Null-Preis-Gütern beschränkt, die durchaus auch Wohnkosten beinhalten können. Das wäre sozusagen das utopische Moment dieser Null-Grenzkosten-Kreislaufwirtschaft.
Tatsächlich wäre es, in den Worten Horst Köhlers, eben auch "die Chance, neu zu entdecken, was in unserem Leben wirklich Sinn und Glück stiftet. Immer mehr haben, immer schneller sein? Wenn ich, wo immer möglich, mit dem Fahrrad fahre, dabei die Sonne auf meinem Gesicht oder den Wind um meine Ohren spüre - verzichte ich dann oder gewinne ich?" In der Tat: Diese Art von Gewinn zu maximieren wäre ein wesentliches Ziel einer nachkapitalistischen Gesellschaft, das sich in der Erfolgsrechnung des BIP aber niemals erfassen lassen wird. Der Gewinn besteht in der Freiheit der Lebensgestaltung, erfahrbar etwa als das Glück, die "Sonne auf dem Gesicht zu spüren …"
Aber niemand müsste zu diesem Glück gezwungen werden. Man muss sich ja nicht auf Verzicht oder auf Nahe-Null-Preis-Güter beschränken, denn die Produktion von Weit-über-null-Preis-Gütern sowie auch die Arbeit zu Weit-über-Null-Gehältern ist in einer Kreislaufwirtschaft nicht unmöglich, auch wenn diese Arbeit vermutlich keine 40-Stunden-Vollzeitarbeit mehr sein kann bzw. muss. Die ganze Sache wächst nur nicht mehr, und das Kapital läuft nicht mehr Amok und zwingt die ganze Weltwirtschaft, immer mehr völlig verzichtbaren und dabei noch schädlichen Unsinn zu produzieren.
Die Argumentation der Kreislaufwirtschaft ist übrigens, um diesen Hinweis noch anzufügen, hinsichtlich ihrer wesentlichen Konsequenzen zur Deckung zu bringen mit der Argumentation des emeritierten Aachener Finanzwissenschaftlers Karl Georg Zinn, der in seinem 2016 erschienenen Buch "Vom Kapitalismus ohne Wachstum zur Marktwirtschaft ohne Kapitalismus" ebenfalls die Staatsübernahme der wachstumstreibenden Großunternehmen empfiehlt, um zwar nicht zu einer Kreislaufwirtschaft, aber eben zu einer Marktwirtschaft ohne Kapitalismus zu kommen - was im Prinzip, den wesentlichen konzeptionellen Merkmalen nach, das Gleiche ist.
Ob Horst Köhler nun für so eine Art von ökologisch-sozialer Marktwirtschaft zu begeistern wäre? Man müsste ihn dazu befragen. Jedenfalls scheint dieser Ansatz aussichtsreicher zu sein als entweder auf massiver Umverteilung und Transferleistungen (Öko-Sozialismus, Grundeinkommen) oder auf Kontrolle fremden privaten Produktiveigentums (Wirtschaftsdemokratie) beruhende Ansätze, die die wesentlichen Ursachen der Kalamität (Finanzkapitalismus in einer "Ökonomie der Unknappheit") sowie die Potenziale der in einer spezifischen Metamorphose befindlichen "materiellen Mittel" nicht reflektieren.