Krieg beginnt auch in der Lüneburger Heide
Im Unterlüß traf sich eine Bewegung gegen Militarismus und Krieg, die für Ostermärsche kaum erreichbar ist
Die Friedensbewegung in Deutschland hat auch schon mal bessere Zeiten erlebt. Die Zahl derer, die sich an Ostermärschen und anderen Kundgebungen und Demonstrationen beteiligen, ist überschaubar geworden, seitdem Deutschland in verschieden Teilen der Welt an Kriegen beteiligt ist Doch es gibt in Deutschland auch eine Strömung der Bewegung gegen den Krieg, die sich bewusst Antimilitaristen nennen.
Am 9. September endet ein einwöchiges antimilitaristisches Camp in Unterlüß, einer kleinen Gemeinde in der Lüneburger Heide. Das Camp fand mitten im Ort statt und alle sahen die Banner mit der Parole "Krieg beginnt hier". Damit ist das Rheinmetall-Werk gemeint, das seit 1899 in der Heide seinen Sitz hat. Im Wald nur mit einen Drahtzaum abgesperrt, befindet sich auch das Erprobungszentrum Unterlüß, in dem die Kunden der Waffenschmiede ihre Produkte testen können. Die Aufgaben werden so klassifiziert:
Das Erprobungszentrum Unterlüß ist mit seinem 50 Quadratkilometer großen Erprobungsgelände das größte private Test- und Versuchsgebiet in Europa. Für nationale und internationale Kunden führt die Rheinmetall Waffe Munition GmbH umfangreiche Systemerprobungen und Komponentenerprobungen durch. Wehrtechnische Untersuchungen werden in allen Phasen des Produktentstehungsprozesses durchgeführt.
Kernaktivitäten sind dabei die Ermittlung und Überprüfung der technischen Kenndaten, Leistungsgrenzen, der Funktionstüchtigkeit und Zuverlässigkeit sowie der Wartung und Betriebssicherheit. Hierfür stehen eine Reihe modernster Anlagen und Feuerstellungen zur Verfügung.
Aus der Werbung für das Erprobungszentrum Unterlüß
Ein Rheinmetallgästehaus am ehemaligen Zwangsarbeiterlager
Zu den Rheinmetall-Kunden gehört u.a. die Türkei. Die in Unterlüß erproben Waffen kommen gegen die kurdische Selbstverwaltung in Syrien und Teilen der Türkei zum Einsatz. Daher ist die Parole "Der Krieg beginnt hier" in Unterlüß eben eine Tatsachenbeschreibung.
Auf dem Camp spielte die Beschäftigung mit der kurdischen Selbstverwaltung in Rojava eine große Bedeutung. Daneben ging es auch um die bis heute unaufgearbeitete Zwangsarbeit in Unterlüß. Im Lager Tannenberg, ca. 4. Kilometer vom Rheinmetallwerk entfernt, waren ca. 900 Jüdinnen aus Osteuropa zusammengepfercht. In den letzten Kriegstagen, als die SS schon geflohen war, wurde sie vom regionalen Volkssturm ins KZ Bergen Belsen gebracht, wo viele von ihnen starben. Die Täter lebten weiter im Ort und auch ihre Nachfahren wollen darüber nicht reden. Da müsste man nur hoffen, dass jemand anfängt, dieses Schweigen über die Rolle von "ganz normalen Deutschen" zu durchbrechen.
Zudem müsste der Rheinmetall-Konzern gezwungen werden, sich zu seiner Verantwortung für die Zwangsarbeiterinnen zu bekennen und einen Gedenkort zu finanzieren. Die Antimilitaristen markierten die Straße der Erinnerung, die 4 Kilometer zwischen Lager und Rheinmetall-Werk, mit Bannern und Fotos der wenigen namentlich bekannten Zwangsarbeiterinnen. Teilweise wurden die Fotos schon zerstört. Auch ein Gedenkstein wurde am ehemaligen Lager Tannenberg errichtet. Man muss, um es zu erreichen, über das ein Grundstück gehen, auf dem das Gästehaus steht, in dem Rheinmetall noch in den 1970er Jahren Politiker und Konzernchefs einquartiert hatte.
Gegen Rheinmetall in Sardinien
Die Delegation einer antimilitaristischen Gruppe aus Sardinien berichtete über die Rolle von RWM Italia. Die italienische Filiale von Rheinmetall war gegründet worden, um die in Deutschland strengeren Waffenausfuhrgesetze zu umgehen.
Schon vor mehreren Jahren organisierte die antimilitaristische Bewegung in Sardinien eine Blockade der Rheinmetall-Anlage. Die Aktivisten berichteten, dass sie dazu die Fabrik nicht betreten mussten. Es reichte aus, sich in einem Bereich aufzuhalten, der aus Sicherheitsgründen einen Weiterbetrieb verbietet. Die Beschäftigen hatten dadurch einen freien Tag. Auch in Unterlüß blockierten Antimilitaristen am Donnertag und Freitag erfolgreich die Zufahrtswege und die Gleise die Produktionsstätte von Rheinmetall. In dem Wald um das mit mehreren Zäunen und Kameras schwerbewachte Munitionsdepot errichteten Aktivisten immer wieder Hindernisse mit Ästen. Nur an wenigen Stellen sicherte die Polizei das Gelände.
Auch an Strommasten hatten sich einige Aktivisten gekettet. Am Freitag ließ die Polizei für ca. 30 Minuten den Strom ausschalten. Von dem Blackout war nicht nur das Rheinmetall-Werk, sondern auch das Camp und ein Teil der Bewohner von Unterlüß betroffen. Bei der antimilitaristischen Abschlussdemonstration am Samstag standen einige von ihnen am Straßenrand und schimpften auf die Aktivisten.
Wollt Ihr wirklich für Rüstung und Krieg produzieren?"
Doch es gab auch nachdenklichere Stimmen. "Ich bin froh, dass mein Sohn bei Rheinmetall Arbeit gefunden hat", erklärte ein älterer Mann an einen Imbiss in der Nähe vom Bahnhof Unterlüß. "Doch der würde auch lieber etwas anderes als Waffen produzieren", setzte er hinzu. Auf der Demonstration war auch die Hamburger IG-Metall mit einem Transparent vertreten, das die Umwandlung von Rüstungs- in Zivilproduktion forderte. Es wäre zu wünschen, dass dieses Thema bei einen weiteren Camp in Unterlüß eine größere Rolle spielen könnte. Warum nicht ein Leittransparent mit der Frage: "Wollt Ihr wirklich für Rüstung und Krieg produzieren?"
Das ist eine Frage, die sich auch in Unterlüß Menschen stellen, wie in Gesprächen der letzten Tage deutlich wurde. Allerdings ist die zuständige Gewerkschaft IG-BCE für solche Fragen nicht besonders offen, bestätigte auch Charly Braun, der Kreisvorsitzende des DGB in der Nachbargemeinde Munster gegenüber Telepolis. Der auch antimilitaristisch engagierte Gewerkschafter hatte im letzten Jahr mit Betriebsräten von Rheinmetall gesprochen, die allerdings Vertraulichkeit zur Bedingung machten. Es wäre aber sicher möglich, mit Beschäftigten vor Ort ins Gespräch zu kommen. Das müsste auch ganz in Sinne des Bündnisses sein, das das Rheinmetall-entwaffnen-Camp nun zum zweiten Mal organisierte.
Es knüpft damit an eine antimilitaristische Tradition an, die bereits 2013 mit einem Camp in der Altmark begonnen hat. Damals war Schnöggersdorf das Ziel, das in der Altmark nur gebaut wurde, damit dort Krieg geübt werden kann. Auch dort traf also die Parole "Krieg beginnt hier" zu. "Wir wollen zeigen, dass es einen Antimilitarismus ohne Peace-Fahnen gibt", erklärte das Mitglied einer am Rheinmetall-Entwaffnen-Camp beteiligten Gruppe.
Doch auf der Abschlussdemonstration des Camps am Samstag gab es dann doch einige Peace-Fahnen. Es hatten sich auch Initiativen und Gruppen aus der Region beteiligt. Auch die Linkspartei und die ihr nahestehende Jugendorganisation Solid waren vertreten. Dort fanden sich auch überwiegend junge Leute zusammen, gerade die Generation, die bei den Ostermärschen kaum anzutreffen ist. Es scheint also, dass sich mit den Protesten gegen das GÜZ und Rheinmetall eine neue Antimilitarismusbewegung herausbildet.
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