Krieg ist kein Egoshooter: Anträge auf Verweigerung bei der Bundeswehr verfünffacht

Manche Bundeswehr-Werbung vergangener Jahre wirkt nicht mehr ganz zeitgemäß. Foto: C.Suthorn / CC-BY-SA-4.0

Die Werbestrategie der Bundeswehr war in den letzten Jahren teils betont unpolitisch. Das scheint sich nun zu rächen. Warum auch der Wehrminister einen Strategiewechsel will.

Die Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr beruhte bisher nicht unbedingt auf politischer Überzeugungsarbeit. Stattdessen wurden Jugendliche, die ein bisschen Action wollten, mit Sommercamps geködert und "it-affines" Personal auf der Spielemesse Gamescom gesucht.

Für vorsichtigere Typen gab es in den Corona-Jahren das Werbeversprechen, beim Militär einen "sicheren Job" in unsicheren Zeiten zu bekommen – und schon lange vor der Einsamkeit der Lockdowns verbreitete die Bundeswehr auf ihrer Facebook-Seite den Spruch: "Was sind schon 1.000 Freunde im Netz gegen einen echten Kameraden?"

Dass ein echter Krieg kein Egoshooter, kein Abenteuerspielplatz und erst recht nicht "sicher" ist, weil man selbst oder der "echte Kamerad" auch ganz schnell tot sein kann, darauf wiesen vor allem gern belächelte und inzwischen oft als "Lumpenpazifisten" geschmähte Friedensgruppen hin.

Tatsächlich war und ist dies ein Spektrum außerhalb des Militärs, das sich schon länger intensiv mit Kriegen und Kriegsfolgen beschäftigt hat als die breite Öffentlichkeit – auch mit denen der letzten Jahrzehnte vor dem Ukraine-Krieg, über die hierzulande weniger in den Massenmedien berichtet wurde.

Die Überzeugungsarbeit von Friedensgruppen dürfte aber nur zu einem kleinen Teil dafür verantwortlich sein, dass sich die Zahl der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung bei der Bundeswehr seit Ausrufung der "Zeitenwende" nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine verfünffacht hat. Dieser sprunghafte Anstieg geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage aus der Fraktion Die Linke hervor.

Nicht nur Ungediente fürchten den Ernstfall

Im Jahr 2020 gab es nur 142 Anträge dieser Art, 2021 waren es 209 – im vergangenen Jahr waren es bereits 1.123 Anträge. Unter den Antragstellern von 2022 waren demnach 438 Reservisten, 226 Zeitsoldaten, acht Berufssoldaten, ein freiwillig Dienstleistender und 450 Ungediente.

"Der Antrag auf Kriegsdienstverweigerung kann sowohl von aktiven Soldatinnen und Soldaten, als auch von Reservistinnen und Reservisten sowie Ungedienten, also männlichen Staatsbürgern, die gemäß Wehrpflichtgesetz zum Kriegsdienst herangezogen werden könnten, gestellt werden", informiert die Bundeswehr auf ihrer Homepage.

Die allgemeine Wehrpflicht für junge Männer ist zwar seit 2011 ausgesetzt – bei einer Teil- oder Generalmobilmachung im Spannungs- oder Verteidigungsfall könnten alle Männer ab 18 Jahren bis zur Vollendung des 59. Lebensjahres eingezogen werden. Wer den Kriegsdienst verweigert, kann zum zeitlich unbefristeten Zivildienst beordert werden.

Bis zum 30. April dieses Jahres sind laut Antwort der Bundesregierung schon 672 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung bei der Bundeswehr eingegangen – falls sich dieser Trend fortsetzt, dürften es bis Jahresende mehr als 2000 sein. Allerdings lag der Anteil der ungedienten Antragsteller in den ersten vier Monaten dieses Jahres mit 366 bereits bei mehr als der Hälfte. "Nur" 60 Zeit- und drei Berufssoldaten sowie 243 bekamen in diesem Zeitraum kalte Füße.

Pistorius will auf realistischere Werbung setzen

Wehrminister Boris Pistorius (SPD) sorgt sich unterdessen um den Nachwuchs – sowohl um die Masse als auch um die Diversität. Mit Blick auf den Mangel an Bewerberinnen und Bewerbern und die hohe Abbrecherquote von rund 30 Prozent in der Heeresausbildung waren von ihm diese Woche auch selbstkritische Töne zu hören.

Laut einem Bericht der ARD-tagesschau will Pistorius von aufwendig produzierten Hochglanz-Werbefilmen: Wichtig sei, "dass wir keine Mission-Impossible-Filmchen drehen darüber, was bei der Bundeswehr alles passieren könnte wie in Hollywood, sondern dass es ein realistisches Bild ist".

Das könnte zwar die Abbrecherquote reduzieren – ob das Problem des Bewerbermangels sich dadurch aber erledigt, bleibt abzuwarten.