Kriegsbeschwörung wird lauter
Nachdem Russland auf der Krim Fakten gesetzt hat, setzt man in der Ukraine und im Westen mehr und mehr auf militärische Eskalation
Ob die russische Regierung, nachdem sie sich die Krim geschnappt hat, auf weiteren Beutezug aus ist, bewegt derzeit die Gemüter. Dies zu beschwören und immer zu behaupten, ist freilich auch politische Strategie. Dass vor allem Nationalisten in der Ukraine durch die Ankündigung einer drohenden Invasion und militärischer Aufrüstung mehr finanzielle, wirtschaftliche und auch militärische Hilfe aus dem Westen haben wollen, liegt auf der Hand.
Weniger klar ist, warum Politiker aus den USA und in der EU weniger auf Verhandlungen, sondern auf Konfrontation setzen. Es heißt zwar gerne, man müsse Putin, der derzeit wie vor ihm etwa bin Laden, Hussein, Gaddafi in der Politik und in den Medien als das personifizierte Böse aufgebaut wird, in seine Schranken weisen, um weitere Begehrlichkeiten nach Vergrößerung Russlands zu unterbinden. Aber dass Putin in die baltischen Länder oder in Polen einmarschieren wird, dürfte wohl niemand ernsthaft glauben, weil damit die Nato-Beistandsverpflichtung im Unterschied zur Ukraine ausgelöst würde. Offene Streitigkeiten gibt es aber noch etwa wegen Transnistrien, Abchasien oder Südossetien.
In der Ukraine wird immer wieder vor russischen Agenten gewarnt, die in der Ostukraine Unruhe stiften wollen, um einen Vorwand für den Einmarsch russischer Truppen zu inszenieren. Ob dies stimmt, ist nicht klar, es gibt aber prorussische Bewegungen, die die Regierung in Kiew nicht anerkennen und zum Teil auch ein Referendum verlangen. Was in Kiew die pro-europäische Maidan-Bewegung war oder ist, stellt in der Ostukraine eher die prorussische Bewegung dar. Je mehr diese dämonisiert wird, desto problematischer dürfte es werden. Erst gestern gab es in Donezk wieder eine große prorussische Demonstration. Gewarnt wird vor russischen Truppen, die an der Grenze zur Ukraine aufmarschiert sind. Russland erklärt, es handele sich um ganz normale, nicht mit der Ukraine verbundene Übungen, was natürlich niemand glaubt, auch wenn Russland Beobachter, auch aus der Ukraine, zugelassen hat. Allerdings hat die russische Regierung schließlich am Samstag doch einer OSZE-Beobachtermission in der Ukraine (nicht aber für die Krim) zugestimmt, was darauf schließen lassen könnte, dass zumindest derzeit keine militärische Intervention geplant ist.
Der ukrainische Außenminister Andrej Deschtschyzja sagte dem US-Sender ABC dennoch alarmistisch, dass die Gefahr eines Krieges zwischen der Ukraine und Russland wachse. Man sei aber bereit, "das Vaterland zu verteidigen". Die Gefahr eines Krieges sei "sehr hoch".
Der Leiter des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrats, Andrij Parubij von der rechten Swoboda, der als Kommandant des Maidan fungierte, verbreitet schon länger, dass Russland die ganze Ukraine annektieren wolle. In einigen Regionen in der Ostukraine würden, so sagte er gestern, "prorussische Extremisten" versuchen, einen Anlass für einen Einmarsch zu schaffen. Das sagte er angesichts der Demonstration in Donezk. Er rief in Erinnerung, dass die Maidan-Bewegung Janukowitsch und seine Polizei besiegen konnte, obwohl niemand daran geglaubt habe: "Jetzt müssen wir uns gegen die russischen Truppen vereinigen, die nahe an der ukrainischen Grenze von Tschernihiw bis Donezk stehen. Sie haben mehr militärische Kräfte als die Ukraine, aber Janukowitsch hatte mehr Polizei." Er rief die Männer dazu auf, sich der Nationalgarde anzuschließen: "Wir werden Russland so besiegen, wie wir Janukowitsch auf dem EuroMaidan besiegt haben." Nur vergisst der militante Maidan-Kämpfer zu sagen, dass die Situation in der Ostukraine komplizierter ist als in Kiew.
Die ukrainische Regierung will Gelder, die das Land noch nicht hat, in die Aufrüstung stecken, die Nationalgarde wird aufgebaut, in die auch die nationalistischen und rechten Militanten eingegliedert werden. Das könnte durchaus als Bedrohung von der russischsprachigen Bevölkerung der Ostukraine aufgenommen werden. Manche wollen, dass die Ukraine aus dem Atomwaffensperrvertrag wieder austritt - um dann wieder über Atombomben verfügen zu wollen? Das ukrainische Verteidigungsministerium spielt mit der Präsenz der ukrainischen Soldaten auf der Krim bewusst ein gefährliches Spiel, auch wenn die meisten Soldaten bereits zu den Russen übergelaufen sind oder ihre Waffen niedergelegt haben.
Noch am Samstag erklärte der Verteidigungsminister, die Mehrheit der Soldaten sei weiter im Dienst und werde die Befehle der Staatsführung ausführen. Dass Schiffsbesatzungen der Marine ihre Schiffe der russischen Marine übergeben hatten, ohne zu schießen, wozu sie aufgefordert waren, erklärte er gestern dadurch, dass sie Blutvergießen vermeiden wollten. So soll nach Angabe russischer Medien die ukrainische Regierung am Samstag die Grenze zur Krim geschlossen und selbst ukrainischen Soldaten, die die Halbinsel verlassen wollten, den Zutritt verweigert haben. Am Sonntag wurde dies politisch nicht geschickte Maßnahme aber wieder beendet.
USA und EU durch den Gegner Russland zu einer neuen transatlantischen Einigkeit?
Alarmistisch wird man zunehmend auch im Westen und rüstet zumindest rhetorisch auf. Offenbar scheint es attraktiv zu werden, den Konflikt zunehmend in militärischen Kategorien sehen und militärische Auseinandersetzungen nicht ausschließen zu wollen. Wahrscheinlich steht dahinter vor allem der Gedanke, dass militärisch gedroht und aufgerüstet werden muss, um dem Feind Paroli zu bieten und seine Interessen zu wahren. Auch damit ist man spätestens im Westen wieder im Kalten Krieg, dessen einfache Machtverhältnisse manche zu vermissen scheinen.
Die deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen will offenbar besonders forsch auftreten. Im Bericht aus Berlin (ARD) sagte sie, man müsse zeigen, dass "die NATO nicht nur auf dem Papier besteht", sondern dass man füreinander da sei. Sie hatte zuvor gesagt, die Nato-Präsenz müsse an den Grenzen zu Russland verstärkt werden. Im Gespräch wies sie zurück, dass sie damit die Situation eskaliere. Schon Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hatte am 21. März erklärt, der Ukraine-Konflikt sei ein geopolitischer "Game-Changer". Das "transatlantische Bündnis und die Nato" würden nun für Europa wieder wichtiger werden. Man soll also wieder schön gegen den Feind zusammenrücken und Differenzen hintanstellen, so könnte die Devise lauten, die man Russland und der Ukraine verdankt.
Mit dem Druck, nun militärisch die Muskeln spielen zu lassen, ist von der Leyen nicht nur im Verein mit republikanischen Politikern, sondern auch mit Tony Blinken, Sicherheitsberater von Barack Obama. Auch der findet den Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine besorgniserregend. Das schaffe die Möglichkeit für Vorfälle und Instabilität. Die Russen würden wahrscheinlich die Ukrainer ängstigen wollen: "Es ist möglich, dass sie sich auf den Einmarsch vorbereiten." Zwar hatte Präsident Obama den Einsatz von Truppen in der Ukraine ausgeschlossen, man könne aber über eine militärische Kooperation nachdenken, so Blinken.
Auch die Nato spielt natürlich mit. So sagte Nato-Oberkommandeur Philip Breedlove am Sonntag, dass die russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine mit 8.500 Mann "sehr bedeutend und schnell einsatzfähig" seien. Russland habe gerne einmal Manöver durchgeführt und dann wie in Georgien oder jetzt auf der Krim zugeschlagen. Die Nato müsse sich vorbereiten, wie sie darauf reagieren soll und wie sie die Einsatzfähigkeit verbessern kann. Da der einstige Partner sich nun mehr wie ein Feind verhalte, müsse man sich anders positionieren.
Er brachte allerdings ein, dass Russland interessiert sein könnte, in Transnistrien einzumarschieren. Die Regierung des von Moldawien abgefallenen Landes hatte anlässlich des Referendums auf der Krim bereits Russland um die Aufnahme in die Russische Föderation gebeten. Um nach Transnistrien zu gelangen, müssten die Truppen allerdings auf dem Landweg über die Südukraine gelangen. Für Breedlove nutzt Moskau bewusst eingefrorene Konflikte wie in Transnistrien oder in Abchasien, um Nachbarländer daran zu hindern, sich stärker mit der EU und der Nato zu verbinden. Wenn das so ist, scheint die Strategie, die Breedlove dem Kreml unterstellt, nicht aufzugehen, Georgien will vor allem mit der nachdrücklichen Hilfe der USA in die Nato, Moldawien soll wirtschaftlich stärker mit der EU verbunden werden