Kriegstreiber gegen Beschwichtiger?
Seite 2: Einen Weltkrieg ist ein lokaler Grenzkonflikt nicht wert
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Vor dem Hintergrund aktueller Krisen und der geopolitischen Konstellation unserer Zeit sind die politischen Pointen von München aber so faszinierend wie herausfordernd: Denn auch heute wird das Suchen nach Kompromissen, das geringste Entgegenkommen gegenüber nicht-demokratischen Herrschern und schon die reine Verhandlungsbereitschaft von den "Bellizisten" der Kommentarspalten gern als "Appeasement" abgetan, als verachtenswerte Dekadenz "schwächlicher" Demokraten – der Hinweis auf die 1930er-Jahre und vermeintliche "Lehren" der Geschichte fehlt hier selten.
"München" zeigt schlüssig, dass die Dinge komplizierter liegen. Der Film dreht das Argument des "Realismus" um. Dieser liege gerade im Herausschlagen von Zeit und der Arbeit am diplomatischen Kompromiss. Einen Weltkrieg sei ein "lokaler Grenzkonflikt" nicht wert.
Aktuelle Schlüsse lassen sich hier nicht vermeiden, auch wenn der Roman vor fünf Jahren geschrieben, und der Film vor zwei Jahren konzipiert wurde: Bis heute werden "München" und "Appeasement" immer wieder als Schimpfwort benutzt, wenn Kritiker meinen, dass Politiker zu gutgläubig oder zu nachgiebig sind.
Und in deutschen Zeitungen findet man gerade derzeit wieder hysterische und gelegentlich hetzerische Kommentare, in denen das "Appeasement"-Wort nie fehlen darf.
Deutschland sei "das trojanische Pferd Putins", heißt es. Und Schlimmeres. Oder man vergleicht die amerikanisch-russischen Gespräche mit der Münchner Konferenz. 1938 seien die Tschechen von den Verhandlungen über die Zukunft ihres Landes ausgeschlossen gewesen.
Jetzt ereile die Ukraine das gleiche Schicksal, obwohl es um ihre Sicherheit gehe. Es ist psychologisch durchschaubar, dass hier deutsche Kommentatoren über 80 Jahre nach "München" immer noch nachholenden Widerstand gegen Hitler leisten. Aber es entschuldigt nicht die Dummheit der entsprechenden Vergleiche.
Irgendwie war's auch schön im Dritten Reich
Alles Übrige ist ein konventioneller Historienfilm, schlicht gestrickte Kolportage und ein paar Schmonzetten am Rand: Zwei, drei Gastronomiebesuche in Berlin und München sind recht mondän geraten – irgendwie war's wohl doch auch schön im Dritten Reich. Und die Widerständler tragen alle runde Brillen und gucken hinter ihnen derart konspirativ in die Gegend, dass sie noch der dümmste Gestapo-Lehrling zum Verhör einbestellt hätte.
Insgesamt verschenkt dieser Film mehr als er erreicht: In Harris Roman finden sich großartige, gut recherchierte Details: Er beschreibt die ungewöhnliche Hitze dieser Spät-Septembertage. Das "Kolossale" des Münchner Königsplatzes, den die Nazis in "Königlicher Platz" umgetauft hatten, und der statt von Rasen von zehntausenden Granitplatten bedeckt wurde (die man erst Ende der 1980er-Jahre wieder entfernte), dass es dort statt Bäumen eiserne Fahnenmasten mit Hakenkreuzflaggen gab und von SS-Männern bewachte Ehrentempel mit ewigen Flammen.
Er erzählt, dass es in der "Hauptstadt der Bewegung", wegen des Oktoberfestes kaum genügend Zimmer für die ausländischen Delegationen gab. Dafür gab es viele Blaskapellen. Eine von ihnen spielte zur Begrüßung der britischen Delegation den damals europaweit populären Schlager "The Lambeth Walk". Er erzählt vom starken Körpergeruch Hitlers und den mit kleinen Hakenkreuzen versehenen Wasserhähnen im Führerzug.
Nichts von solch sprechenden Details in Schwachows Film. Ebensowenig von anderen Aspekten der Story: Die gemeinsame Freundin Leny, in deren Rolle Liv Lisa Fries gnadenlos unterbesetzt ist, ist bei Schwochow nur Erinnerung und dann apathisches Opfer. Im Buch ist sie Kommunistin und Widerstandskämpferin. Ihr Jüdischsein ist nebensächlich.
Weltgeschichte und Dramatik
Ein richtig guter Film ist "München" daher nicht, konnte er vielleicht auch nicht werden. Eher handelt es sich um guten Durchschnitt, der auf dem kleineren Heim-Bildschirm besser aufgehoben ist, als im Kino.
Ein interessanter Film ist er aber sehr wohl: In seiner Form, das Publikum zum Augenzeugen eines weltgeschichtlichen Augenblicks zu machen, in dem verschiedene historische Entwicklungen und bis heute bekannte Figuren in Raum und Zeit verdichtet und durch eine dramatische "Countdown"-Situation zusammengeknüpft werden, erinnert er am ehesten an Roger Donaldsons "Thirteen Days" über die Kuba-Krise 1962 oder auch an "Valkyrie" von Bryan Singer über den 20. Juli 1944.
Der Ausgang ist jeweils bekannt, der Spannungsfunke des Moments springt aber auf die Leinwand oder den Bildschirm über.
Robert Harris: München. Roman. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Heyne, München 2017, 22 Euro