Kriegswirtschaft

Die Scharen internationaler Beobachter in Pakistan wollen Informationen - und sind bereit, dafür zu zahlen

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Dem 19jährige Mohammed liegt offenbar viel am Wohl seiner Gäste. Der Serviceangestellte im Hotel "Greens" im Zentrum des pakistanischen Peschawar bringt ständig Kleinigkeiten auf die Zimmer des von Journalisten ausgebuchten Hotels. Mal ein Stück Seife, ein anderes Mal eine Rolle Toilettenpapier. Außer Reichweite der Rezeption bringt ihm das die Möglichkeit, mit den Presseleuten auf den Zimmern ins Gespräch zu kommen. Die sind in diesen Tagen natürlich an jeder kleinen Nachrichten interessiert.

Beiläufig erwähnt der junge Mann, dass ein Onkel von ihm gerade aus dem unter US-Angriffen stehenden Kabul an gekommen sei. "Mit seiner ganzen Familie", sagt er. Es folgt eine effektvolle Pause und dann das Angebot: "Willst Du ihn nicht treffen?" Schnell sind Ort und Zeit ausgemacht. Im Gehen erklärt Mohammed, solche Treffen öfter zu organisieren. Die anderen Kollegen hätten ihm dafür übrigens 2000 pakistanische Rupien (gut 30 Dollar) bezahlt. Der Vermittlungsgebühr folgen noch einmal 3000 Rupien mit dem Interviewten selber. Der gibt an, vor wenigen Tagen aus der afghanischen Hauptstadt eingetroffen zu sein. Er wirkt ausgeruht, frisch gekleidet. An seinem Handgelenk prunkt eine vergoldete Armbanduhr. Es scheint nicht das erste Interview zu sein.

Der Strom internationaler Beobachter von Organisationen und Presse hat das Gewerbe merklich angekurbelt. Vor den Hotels warten auf die Gäste Jugendliche mit Körben, verkaufen allerlei handwerkliche Erzeugnisse. Einige Meter vom "Greens" entfernt versucht ein Ladenbesitzer einen japanischen Berichterstatter in sein Geschäft zu bewegen. Der kann nur mit Mühe ablehnen und mit dem Versprechen, in zwei Stunden wiederzukommen, um dann den Sohn des Kleinhändlers als Führer für den nachmittäglichen Trip in ein Flüchtlingslager zu engagieren.

Neben den üblichen Geschäften hat sich mit den Scharen von Journalisten in den großen pakistanischen Städten eine besondere Art der Kriegswirtschaft entwickelt. Ihr Grundsatz könnte lauten: "Information gegen Geld". In diesem Ambiente bleiben schnell nur noch die großen, weil finanzstarken Medienunternehmen übrig.

Aus Deutschland hat der Spiegel seine informellen Bodentruppen nach Pakistan entsandt. Rund zehn Kollegen berichten im Zweierteam von verschiedenen Schauplätzen des Geschehens. Wenn nötig wird dafür auch schon einmal ein einheimischer Chauffeur angeheuert und eine Woche im Hotel einquartiert. Möglichkeiten, die nicht jeder hat, und so können kleinere Medien auf diese monetäre Einschränkung der Pressefreiheit im Krisengebiet entweder reagieren, indem sie sich Korrespondenten teilen oder indem sie auf Agenturen zurückgreifen.

Auch die Hotelpreise in den Brennpunkten Islamabad und Peschawar haben stark angezogen. Besonders beliebt Zimmer im Dachgeschoss und solche, die ein Fester zu einem zentralen Platz haben. Angebot und Nachfrage regieren in Pakistan wie überall auf der Welt. Plötzlich nehmen die Taxifahrer Nachts auch mal das Dreifache des Fahrpreises, auch für die Handykarten wird in den Zentren des Geschehens schon lange ein Vielfaches des Betrages gezahlt, der auf dem Chip vermerkt ist. Natürlich ist den einheimischen Unternehmen kein Vorwurf zu machen, das Problem liegt eher darin, dass in der Dynamik dieses urkapitalistischen Prozesses bisweilen über das Ziel hinausgeschossen wird.

Besonders hart zeigt sich das im Kriegsland selber. Die führenden Nachrichtensender CNN und BBC haben Kollegenberichten zufolge im Norden Afghanistans feste Stützpunkte errichtet. Dazu gehören eilends gebaute Lehmhäuser, Sendemasten und per Helikopter eingeflogene Wasserreserven. Daneben versuchen weniger finanzstarke Berichterstatter unter Verzicht auf Qualität und Opferbereitschaft die fehlenden Mittel zu kompensieren. Oft geht das zu Kosten der eigenen Gesundheit. "Ich habe eine Woche in den Bergen übernachtet", sagt ein Fotograph einer Nachrichtenagentur, der die Grenze in das Taliban-Land illegal überquert hat. Mit Bestechungsgeldern wäre er auch in die nächste Ortschaft gebracht worden. Gelder, die gerade fehlten. Die schreibenden Berichterstatter sitzen dieser Tage meistens nur noch in den Hotelzimmern und fassen die Meldungen der großen Sender zusammen.

Eben die sind aber in einem anderen Konflikt, während der Flüchtlingsströme aus dem Kosovo aber schon in die Kritik geraten, als sie im Frühjahr 1999 mit Kameras und Dollarnoten auf die fliehenden Albaner an der Grenze zum Kosovo warteten. Die Menschen waren indes bestens mit den Funktionsmechanismen westlicher Medien vertraut und erzählten, was die zahlende Gegenseite hören wollte. Nie bewiesen werden konnte etwa der ungeheuerliche Vorwurf des jugoslawischen Politikers Goran Matic in den ersten Tagen des Kosovokrieges 1999. Laut Matic wurden albanische Flüchtlinge in den ersten Kriegstagen mehrfach im Kreis aus dem Kosovo in den Nordwesten Mazedoniens, weiter nach Nord- Albanien und wieder zurück nach Jugoslawien geführt, um den Eindruck eines Massenexodus aus der südserbischen Provinz zu erwecken. Rund 20.000 Albaner, 3.000 bis 4.000 Familien, seien von CIA-Agenten für das "Flüchtlingsszenario" angeheuert worden. Familien erhielten je nach Größe umgerechnet zwischen 50 und 100 Mark pro Tag, Einzelpersonen seien zehn Mark bezahlt worden.

Der Fall wurde nie aufgeklärt, zur Selbstkritik führte aber durchaus das Vorgehen finanzstarker Medienunternehmen, die eben diese Überlegenheit nutzten, um an Informationen zu gelangen. Am Ende waren beide Seiten befriedigt, die einen mit Dollar, die anderen mit vermeintlich authentischen Horrormeldungen. Auf der Stecke blieb journalistische Ethik und Wahrheit. Das Prinzip Geld hilft in diesem Fall nur auf den ersten Blick.