Kriegswirtschaft: Was der globale Umbruch für unser Leben bedeuten kann
Seite 4: Krieg? Klima? Hauptsache Kapitalismus
Fern davon, zu glauben, dass die geopolitischen Zerwürfnisse und ungebremsten Schuldenausgaben zu einem "Wirtschaftswunder" führen werden, wie es der deutsche Bundeskanzler in Bezug auf die Energiewende küzlich erneut prognostizierte, nimmt die Politologin Radhika Desai an, dass der Stellvertreterkrieg in der Ukraine geführt wird, um "das internationale Machtgleichgewicht wieder in Richtung der Vereinigten Staaten und ihres Kapitalismus und weg von China zu kippen" sowie die westlichen Verbündeten in einem Block zu einen oder diese gar wieder zu "unterwerfen".
Joe Biden, schreibt Desai in "Capitalism, Coronavirus and War", habe nach der Corona-Krise die Wahl gehabt zwischen Stagflation und geldschöpfungsbedingter Rezession. Das Engagement der USA im Ukraine-Krieg interpretiert sie als letztes Aufbäumen des Spätkapitalismus "monopolistischer" Prägung. Dabei zieht sie auch eine Parallele zwischen den Hilfspaketen an die Ukraine und den interalliierten Kriegsschulden nach dem Ersten Weltkrieg – sowie dem politischen Konformitätsdruck ["policy alliance"], den diese ausgeübt hätten.
Gleiches gelte für den Spätkapitalismus im Hinblick auf den vermeintlich sozialistischen Hang zu Plan- und Kriegswirtschaft. Reden wie die von einem "New Deal" und "Build Back Better" drücken für Desai die nostalgische Hoffnung aus, an das sogenannte Goldene Zeitalter des Kapitalismus anknüpfen zu können.
Anders als es libertäre Denker befürchten, sieht die (selbst überzeugt sozialistische) Denkerin folglich in der Kriegswirtschaft keine neue Form des Sozialismus aufkeimen. Stattdessen interpretiert sie den zunehmenden Staats-Dirigismus während Corona- und Ukraine-Krise als letzte Zuflucht des neoliberalen Kapitalismus, der
(…) "eine pseudo-zivilgesellschaftliche Form [annimmt], in der der Staat noch direkter an der Lösung der Rentabilitäts- und Nachfrageprobleme des Großstadtkapitals beteiligt wird, indem er ein noch wichtigerer und extravaganterer Kunde wird als je zuvor.
Radhika Desai
Während der Corona-Krise habe sich diese neue Form des Staatskapitalismus als Klientelkpaitalismus (crony capitalism) gezeigt (ein denkbares Beispiel: die Pfizer-SMS), im Ukraine-Krieg durch die althergebrachte enge Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie und schließlich im Kalten Krieg durch Anflüge von Protektionismus und offenem Wirtschaftskrieg [denkbares Beispiel: der US CHIPS and Science Act.
Insgesamt, diagnostiziert Desai, vollziehe der zeitgenössische Kapitalismus eine Entwicklung von der neoliberalen Deregulierung hin zum Klientelkapitalismus in Gestalt von Public-Private-Partnerships.