Krise? In Italien? Stupido!
Ständig neue Hiobsbotschaften von der Kreditfront in Bella Italia - aber wie geht es den Italienern in der Krise?
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Unser Autor hat einen Abstecher über den Brenner gemacht. Zwischen überfüllten Hotels, Kirchen und Restaurants konnte er den Ferienalltag italienischer Familien beobachten. Das Ergebnis vorweg: Wenn das tatsächlich die Krise ist, dann sollte man doch etwas weniger Angst vor ihr haben.
Welcher Italienreisende hat nicht schon von echten oder vermeintlichen Italienkennern die gutgemeinte Reisewarnung erhalten: "Niemals an Ferragosto!" Dann nämlich brechen gefühlte 100 Millionen Italiener in ihren inneritalienischen Urlaub auf. Dieses Jahr lag der Höhepunkt der Ferragosto-Bewegung am 15. August. An diesem Tag wird die Himmelfahrt der Jungfrau Maria gefeiert, im katholischen Italien auch heute noch ein absolutes Highlight des Kirchenjahres.
Bei Temperaturen in den südlicheren Landesteilen um und über 40 Grad im Schatten brechen Millionen Italiener in ihre eigenen Alpengegenden auf. Da diese nicht zu den billigsten Regionen Italiens zählen, da die Fahrt Maut, Benzin und allerlei sonstige Nebenkosten verschlingt, ist der jährliche Aufbruch in die Alpen zwischen Piemont und Friaul auch ein Barometer für die Kaufkraft der Azzurri.
Diese wird zunächst einmal auf Straßen und Parkplätzen spürbar. Die Kürzel X5, X6, CLS, Q5, Q7 verraten dem Kenner die Kaufkraft der Fahrer. Mindestens 170 Millionen Lire sollte man schon lockermachen können, wenn man im X6 die Krise bedauert. Da fallen dann die 360 Euro nicht so ins Gewicht, die jetzt, in der Hochsaison ein Doppelzimmer im 4-Sterne-Hotel kostet. Das Hotel ist ausgebucht. Für nahe Familienmitglieder werden Zusatzbetten aufgestellt.
Nicht ein Deutscher, Holländer oder Österreicher ist auf dem Parkplatz und im Hotel aufzutreiben. In der nahegelegenen Stadt fordert der Kellner ein gepflegtes, älteres deutsches Paar zum Gehen auf: Sie hatten sich in der Luxus-Enoteque in ihrer Radfahrermontur mitten unter die lunchenden Italienern gesetzt, um Eis und Cappuccino zu bestellen. Der Autor sah darin allerdings keinen Grund, den Verzehr seines zarten Calamari-Carpaccio zu unterbrechen.
Weniger liquide Italiener, die man an ihren italienischen Autos erkennt, finden ausreichend Ferienwohnungen, Wohnmobilstellplätze und 2-Sterne-Hotels, um sich im schweizerisch-sauber anmutenden Bergland zu erholen.
"Die Ruhe", gesteht mir ein Familienvater aus Rom, "die Sauberkeit, die Ordnung, die Sicherheit." Italien hat sein eigenes Deutschland, sein Frankreich, seine Niederlande, sein Skandinavien. Italien ist ein Kontinent. Wenn man die blitzsauberen und stets mit Personal besetzten Bahnhöfe in Norditalien sieht, auf denen pünktlich klimatisierte Züge neuester Bauart einfahren, während man gerade den verdreckten und verspäteten DB-Museumsstücken ("DB-REGIO") entstieg, möchte man sich wünschen, unsere Staatsschulden wären ein wenig höher, zumindest aber auch der Infrastruktur gewidmet.
Während meines Aufenthalts lese ich von Protesten der Nordtiroler, konkret der Innsbrucker, dort stiegen die Wohnungspreise zu stark, weil die wohlhabenden Italiener alles aufkauften. 300 Milliarden Euro sollen Italiener allein in den letzten zwei Jahren ins Ausland http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/wirtschaft/3090183/50-kilo-gold-koffer-italiener-bringen-geld-ausser-landes.story gebracht haben.
Der Hotelier verrät mir, dass er nicht verstehe, warum er ausgebucht sei. Die Regierung von Mario Monti hat nämlich Barzahlungen von über 1000 Euro verboten. Damit kann ausgerechnet der traditionsreiche Ferragosto-Urlaub kaum mit Schwarzgeld bezahlt werden.
Wenn aber bereits das legal verfügbare Geld ausreicht, um die italienischen Alpen zumindest zeitweise zu fluten, wozu reicht dann erst das illegale und das Immobilienvermögen?
In der Kleinstadt neben dem Hotel liegen 750 Mio Euro Geldvermögen in den Sparbüchern und Depots, 46.875 Euro für jeden der 16.000 Bewohner. Ich schlucke. In unserer 10.000-Einwohner- Kleinstadt, die als einer der teuersten Orte Oberbayerns gilt (Bauland 600-800 Euro je Quadratmeter), verteilen sich magere 65 Millionen Euro auf die Konto- und Depotauszüge.
Ja, es gibt sicher auch arme Italiener. Aber bei einer Wohneigentumsquote von 80% müssen die meisten von ihnen im schlimmsten Fall zu ihren Verwandten aufs Land ziehen. Dort sorgt ein kerngesunder Mittelstand dafür, dass alle Elementarbedürfnisse dauerhaft erfüllt werden können.
Nachdem ich den Reporter des italienischen Staatsradios RAI beruhigen konnte, ich sähe die Finanzen Italiens nicht so schlecht, nehme ich mir vor, am nächsten Ferragosto wieder vorbeizuschauen und Fuhrparks wie Hotelpreise zu inspizieren.
Falls dann statt dem X5 der X3 auf dem Parkplatz steht, vermute ich, dass 2014 der X1 und am Ende dann gar der 118i den Abstieg Italiens verkünden wird. Brutto, brutto.
Dieser Beitrag ist Don Alphonso gewidmet.