Krisenstab eingesetzt: Atomdesaster in Frankreich nimmt seinen Lauf
Die Hitzewelle setzt dem Kernkraftland und seinen Flüssen immer heftiger zu. Kühlwasser ist Mangelware.
Die Lage im Atomstromland Frankreich wird auf allen Ebenen immer dramatischer – vor allem was die Stromversorgung angeht. Im ganzen Land herrscht Wassermangel – und sogar ein Krisenstab wurde nun angesichts der schweren Dürre in Paris eingesetzt, welche die schlimmste sein soll, "die jemals in unserem Land verzeichnet wurde", teilte Premierministerin Élisabeth Borne mit.
Die extreme Trockenheit könne noch zwei Wochen anhalten und sich sogar noch verschlimmern, warnte sie. Aber erst jetzt lässt Borne Notfallpläne erarbeiten. Nun soll die Lieferung von Trinkwasser koordiniert werden, da die vierte schwere Hitzewelle anrollt. Frankreich wird auch in der kommenden Woche unter Temperaturen um 40 Grad stöhnen.
Auch hier ließ man in Paris wieder einmal das Prinzip Hoffnung walten. Dass sich im Land massive Probleme anhäufen, war auch dieser Regierung spätestens seit dem Frühjahr bekannt, als erstmals in der Geschichte schon früh Atomkraftwerke heruntergefahren werden mussten, weil Kühlwasser fehlte. Seither hat sich die Lage immer weiter zugespitzt. Immer mehr Kraftwerksbetreibern wurde erlaubt, die Gewässer auf mehr als 28 Grad zu erwärmen.
Zarter Duft von Fischkadavern
Über einigen Flüssen hängt schon der zarte Duft von Fischkadavern, da man früher Gewässer eigentlich zum Schutz von Flora und Fauna nicht über 25 Grad erwärmen durfte. Das wurde schon nach der "Canicule" 2003 geändert – und nun weiter aufgeweicht.
Für immer mehr Atomkraftwerke werden Sondergenehmigungen erteilt, da sich die Stromversorgungslage dramatisch zuspitzt. Abgeschaltet wurden Meiler nicht, wie das eigentlich nötig wäre, sondern die Leistung nur auf ein Minimum reduziert, da Frankreich in der Atom-Sackgasse jedes Megawatt braucht.
Das Land hängt massiv am Strom- und Gastropf Europas. Frankreich muss extrem teuer Strom zukaufen, was die Staatsverschuldung weiter sprunghaft ansteigen lässt, da die Kosten angesichts gedeckelter Preise nicht an die Verbraucher weitergegeben werden. Derweil explodieren deshalb auch für deutsche Verbraucher die Strompreise, da Frankreich als großer Einkäufer die Preise nach oben treibt.
Doch seit Jahrzehnten werden Milliarden um Milliarden in Atomanlagen versenkt. Flamanville sollte seit zehn Jahren Strom liefern, verbrennt aber immer neues Geld. Auch der französische Energiekonzern Électricité de France (EDF) räumt nun ein, dass der Reaktor einen Konstruktionsfehler hat.
Deshalb mussten sogar die EPR-Reaktoren in China abgeschaltet werden und das Design für Hinkley Point soll teuer für die französischen Steuerzahler mit unsicherem Ergebnis angepasst werden.
Mit dem vielen Geld hätte man längst Wind-, Wasser- und Solaranlagen in dem Flächenland mit viel Küste in Betrieb nehmen können, um die immer größere Stromlücke nicht weiter zu öffnen, sondern zu schließen. Weil das nicht geschah, muss die EDF nun vollständig verstaatlicht werden, um das Märchen vom angeblich billigen Atomstrom aufrechterhalten zu können.
Deutschland liefert derweil viel Strom und auch Gas ins Nachbarland, damit es dort nicht schon im Sommer zum Blackout kommt. Die absurde Debatte hier über Laufzeitverlängerung, Streckbetrieb und sogar die Forderung, abgeschaltete Meiler wieder in Betrieb zu nehmen, wird zu einem guten Teil deshalb geführt, wobei sich vor allem die FDP ins Zeug legt. Sie will damit Präsident Emmanuel Macron und der Schwesterpartei unter die Arme greifen.
Noch kann Deutschland über Photovoltaikstrom das französische Defizit abfangen. Die Produktion ist allein darüber meist deutlich höher als die gesamte Atomstromproduktion in Frankreich (nur noch 24 Gigawatt). Nun droht aber die massive Drosselung von weiteren drei AKWs wegen Kühlwasserproblemen.
Eigentlich müssten auch die längst abgeschaltet sein. Eine Produktion von mindestens 400 Megawatt mit der Aufrechterhaltung von zwei gekoppelten Blöcken müsse wegen "Netzbelastungen sichergestellt werden", wird die EDF zitiert.
Die Franzosen werden mit Nachdruck zum Strom- und Wassersparen aufgerufen. Große Wasserschlucker sind aber nicht private Haushalte, sondern die Industrie und vor allem die Energieversorger, was gerne verschwiegen wird. In Deutschland zum Beispiel geht etwa die Hälfte des gesamten Wasserverbrauchs für das Kühlen der Atom-, Kohle- und Gaskraftwerke drauf, da dabei viel Wasser verdunstet wird. Oft ist das Wasser gratis.
Es wäre nicht nur für die Flora und Fauna wichtig, in Frankreich Atomkraftwerke abzuschalten, sondern auch, um die Wasserversorgung der Bevölkerung aufrechterhalten zu können. Die ist nämlich nach Angaben des Umweltministeriums schon in mehr als 100 Kommunen zusammengebrochen.
Zwölf Uraltmeiler sind wegen Korrosionsproblemen abgeschaltet
Vielleicht kommt Frankreich noch ohne Blackout über den Sommer. Aber allen ist klar, dass die Lage im Winter dramatisch wird, auch wenn dann einige Meiler wieder mit voller Leistung laufen können, weil vielleicht mehr Wasser da ist und die Temperaturen niedriger sind. Auch Experten halten Frankreich für gefährlicher als das fehlende Gas aus Russland, wobei das eine Problem das andere verschlimmert.
Denn zwölf Uraltmeiler sind wegen massiver Korrosionsprobleme abgeschaltet, und können auch im Winter nicht wieder angeschaltet werden. Die betroffenen Meiler sind übrigens bei der Art Sicherheitsprüfungen aufgefallen, die die CSU unter anderem in Bayern umgehen will.
Diese Sicherheitschecks wurden zum Teil in Frankreich aus gutem Grund auf das nächste Frühjahr verschoben – aber, wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) berichtet, ist in Deutschland auch den Energieversorgern und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) klar, dass ein Streckbetrieb der drei Altmeiler nur möglich wäre, wenn "entweder die Prüftiefe der grundlegenden Sicherheitsanalyse verringert würde und/oder auf weitreichende Nachrüstungsmaßnahmen (...) verzichtet würde".
Aus dem Protokoll des Gesprächs geht also hervor, dass man – wie in Frankreich – russisches Roulette spielen muss, um die Meiler weiterlaufen zu lassen.
Seit drei Jahren ist die zehnjährige Sicherheitsüberprüfung überfällig. Dazu ist aber auch allen Beteiligten klar, dass die AKWs in der "Situation der Gasmangellage nur wenig Gas ersetzen" können.
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