Greenwashing der Atomkraft über Taxonomie und EDF-Verstaatlichung

Archivbild: Ralf Streck

Es ist kein Zufall, dass Frankreich an dem Tag die vollständige Verstaatlichung des maroden Stromversorgers verkündet, an dem man sich im Europaparlament beim Greenwashing durchgesetzt hat. Ein Kommentar.

Dass der hochverschuldete französische Stromkonzern EDF, der über seinen Uralt-Atompark immer mehr in Schieflage gerät, verstaatlicht werden würde, ist für Telepolis-Leser keine große Überraschung. Die Macron-Regierung arbeitete schon länger an einer vollständigen Rückverstaatlichung des Energieriesen, wie wir seit Monaten berichtet haben.

Immer neue Milliarden musste die Regierung schon zuvor in einer abstürzenden EDF über "Kapitalerhöhungen" versenken. Es war klar, dass private Aktionäre den Verlustkurs einer Firma, deren halbe Atomkraftflotte keinen Strom liefert, nicht weiter mitgehen würden.

So ist es nur konsequent für eine neoliberale Regierung, dass nun am Mittwoch die Premierministerin Elisabeth Borne die vollständige Verstaatlichung der EDF bestätigt hat. Ziel sei es, die Stromversorgung im Land zu sichern. Das kann schlicht als Witz bezeichnet werden.

Tatsächlich funktioniert diese Sicherung angesichts der sich ständig ausweitenden Korrosionsproblemen an immer neuen Reaktoren nicht. Noch nie hat die Kraftwerksflotte so wenig Energie wie bisher geliefert. Einige Kraftwerke sind nur deshalb nicht abgeschaltet, weil man sie noch nicht geprüft hat und sie erst nach dem Winter prüfen will. Prinzip Hoffnung, wird schon gutgehen, ist wohl die Devise der Atomaufsicht ASN wie schon zuvor in Fessenheim.

Im Winter stand das Land wieder einmal vor dem Blackout. Sogar im Frühjahr wurden die Bewohner erneut zum Stromsparen aufgefordert, damit das Netz nicht kollabiert. Spätestens im Winter wird es extrem eng und die Frage wird auftauchen, ob die Nachbarn Frankreich noch einmal auffangen können.

Man kann es auch so sehen: Hauptsächlich geht es bei der Verstaatlichung darum, die enormen Verluste für eine angeblich so billige Atomenergie zu sozialisieren. Denn die Probleme der EDF türmen sich inzwischen immer katastrophaler auf.

So kam die Ankündigung nicht von ungefähr, dass der Staat auch noch die restlichen etwa 16 Prozent der Aktien übernehmen wird, die noch in privater Hand liegen. Die privaten Investoren, die sonst in den nächsten Jahren horrende Verluste einstecken hätten müssen, werden letztlich aus der Geschichte nun großzügig freigekauft. Wir haben es also wieder einmal mit einer staatlichen Rettungsaktion zu tun.

Die Katastrophe, die kommt

In Frankreich reift seit zehn Jahren eine "Katastrophe" heran, die kaum noch aufzuhalten ist, wie inzwischen auch in die Finanzwelt durchgesickert ist. Dafür gibt es, wie an dieser Stelle häufig erwähnt, viele Gründe. Zentraler Punkt ist die geradezu obsessive Beharrlichkeit, mit auch der im Amt bestätigte Präsident Macron festhält, weiter auf Atomkraft statt auf erneuerbare Energien zu setzen. Denn die könnten schnell Strom liefern und die horrende Stromrechnung für die EDF senken.

Stattdessen hält man in Paris lieber der Totgeburt EPR fest. Doch es ist bekannt, dass die geplante "dritte Reaktorgeneration" ein Rohrkrepierer ist. Seit zehn Jahren sollte der EPR in Flamanville schon Strom liefern, aber das wird er mindestens bis 2024 nicht tun. Er sollte das auch nie, da massive Sicherheitsprobleme auch am Reaktorbehälter vorliegen. Immer neue Probleme tauchen an Schweißnähten auf und zudem wurde in China klar, dass es der EPR mit Konstruktionsproblemen zu tun hat.

Die inzwischen auf 20 Milliarden Euro angestiegenen Kosten – geplant waren 3,3 Milliarden in Flamanville – sollte man besser abschreiben und nicht schlechtem Geld immer neues gutes hinterherwerfen. Das Geld sollte schleunigst in erneuerbare Energien fließen, denn vom Strom-Exporteur ist Frankreich längst zum Strom-Importeur geworden.

Das Land muss Strom nun extrem teuer auf dem internationalen Markt einkaufen. Dazu kommen die Kostenexplosionen in Finnland und im britischen Hinkley Point, für welche die EDF geradestehen muss.

Überall Milliardengräber für den Konzern. Die sollen jetzt offen auf den französischen Steuerzahler abgewälzt werden, der die billigen Stromrechnungen über den Umweg des Staatshaushalts sehr teuer bezahlen wird. Denn das Geld, das in unsinnigen Atomanlagen versenkt wird, fehlt für Gesundheit, Soziales und Bildung. Vom Rückbau und der Endlagerung für hunderttausende Jahre soll hier nicht einmal gesprochen werden, wofür auch nach Angaben des französischen Rechnungshofs praktisch keine Rücklagen gebildet wurden.

Doch statt einer Umkehr, hält man in Paris am irrsinnigen, gefährlichen und teuren Atomkurs fest. Etliche neue EPR sollen gebaut werden, doch die werden in den nächsten 15 Jahren sicher keinen Strom liefern und werden eine dreistellige Milliardensumme verschlingen.

Allein 100 Milliarden soll es kosten, den altersschwachen Atompark am Leben zu halten. Klar ist, dass dahinter "die Bombe" steht und das hat Macron auch längst offen eingeräumt. "Ohne zivile Kernenergie gibt es keine militärische Nuklearmacht", hatte er freimütig erklärt.

EU-Taxonomie: Gas und Atom nachhaltig - Umlenken von Kapitalströmen

Bekanntlich sind die Staatsschatullen für das Militär unbegrenzt offen, ganz besonders jetzt angesichts des Ukraine-Kriegs, wo sich Europa ebenfalls immer tiefer in die Sackgasse manövriert. Und da Frankreich nach dem Brexit die einzige verbliebene Atommacht in der EU ist, erklärt sich auch das Greenwashing für die Atomkraft, das von EU-Kommission mit allen Mitteln in einem "abgekarteten Handel" betrieben wurde.

Rechtlich höchst fragwürdig wurde über den sogenannten "delegierten Rechtsakt" durchgedrückt, wozu nun auch eine Mehrheit im Europaparlament gefunden wurde: Dass Atomkraft und Gas plötzlich klimafreundlich sein sollen. Dabei ist sogar Kohle noch klimafreundlicher als das Fracking-Gas aus den USA, das uns flüssig geliefert werden soll.

Angeblich sollen Kapitalflüsse auf "nachhaltige Investitionen" umgelenkt werden, um die Energiewende zu schaffen. Doch statt Milliarden in Wind und Wasserkraft sowie in Solaranlagen fließen zu lassen, wird viel Geld in angeblich "nachhaltige" Atom‑ und Gaskraftwerke fließen, weil Frankreich das braucht und Deutschland das will.

Man sollte sich auch nicht davon ablenken lassen, dass es angeblich nur um private Gelder gehen soll. Real wird, zumindest über Hintertüren, der Griff in die europäischen Subventionstöpfe für eine ruinöse Atompolitik möglich gemacht, sei es über Gelder aus dem sogenannten "Covid-Wiederaufbaufonds", über den Frankreich dann Gelder in die "nachhaltige" Atomkraft des bald vollständig verstaatlichen Konzerns EDF fließen.