Kritik am Feminismus: Sind wir zu weit gegangen?

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Moralismus und Gemecker: Schirach schlimm finden und bloß keine Blumen schenken – wenn Funktionärinnen am Weltfrauentag reden.

Never complain, never explain.

Queen Elisabeth II., 70 Jahre lang Frau auf dem Chefsessel

Dass Frauen gleiche Rechte haben wie Männer, ist selbstverständlich. Dass es für gleiche Arbeit das gleiche Geld geben muss, ist ebenfalls selbstverständlich. Und dass es für beide Geschlechter die gleichen Chancen geben muss, ebenfalls.

Gleiche Rechte für Frauen werden diesen vorwiegend in muslimischen Kulturen und islamisch geprägten Staaten keineswegs zugestanden. Und auch in asiatischen Ländern hapert es an der praktischen Ausgestaltung von eher theoretisch eingeräumter Gleichstellung.

Die beiden letzten Forderungen sind auch im demokratischen Westen noch keineswegs erfüllt.

Die Welt als Wille und Vorstellung

Diesem statistisch belegbaren Fehlen der Gleichstellung der Geschlechter versucht man in den vergangenen Jahrzehnten mit zunehmenden gesetzlichen Zwängen und Regulierungen – wie festen Frauen-Mindestquoten in Dax-Vorständen und Parteien – zu begegnen.

Dabei bleibt es eine offene Frage, ob diese erzwungene Gleichstellung auf symbolischen Positionen eigentlich jemals eine tatsächliche soziale und kulturelle Gleichstellung zur Folge haben kann, oder ob die biologischen Unterschiede zwischen Frauen und Männern und deren soziale und kulturelle Konsequenzen nicht am Ende stärker wirken als der politische und weltanschauliche Wille.

Auch der heutige Weltfrauentag ist eher ein symbolisches Datum. Gegen Klischees, für Solidarität und Aufmerksam-machen für Gleichstellung – nichts dagegen zu sagen, alles aber in der Praxis ziemlich folgenlos. Das zeigt sich schon daran, dass der Weltfrauentag mehr als 100 Jahre alt ist, ohne dass Frauen komplett gleichgestellt wären.

Umso bedauerlicher ist es dann gerade für alle, die sich als Feministen begreifen und an der Gleichstellung der Frauen nicht nur theoretisch interessiert sind, zu sehen, wie der Weltfrauentag zunehmend von Lobbys, von Aktivistinnen und anderen marginalen Stimmen gekapert wird oder dazu umfunktioniert, die ohnehin schon mitunter schwierigen Geschlechterdebatten noch weiter anzuspannen.

Hierzu stellvertretend für viele zwei aktuelle Beispiele aus Deutschland.

Blumenverbot und Mitlachverbot

Die Bielefelder Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerin Barbara Thiessen erzählt im Interview auf Web.de, dass es ihrer Ansicht nach "gedankenlos und ärgerlich" sei, Frauen Blumen zu schenken:

Das ist, wie wenn ich am Internationalen Tag gegen Rassismus der schwarzen Kollegin im Team Blumen mitbringe. Was für eine blöde Idee. Und am nächsten Tag mache ich wieder eine rassistische Bemerkung … Darum: Lieber ernsthaftes Engagement und Ideen für mehr Gleichberechtigung statt Blumen.

Barbara Thiessen

Was können Männer richtig machen? Oder bleiben sie heute am besten im Bett? Thiessen meint, "Männer können den feministischen Kampftag unterstützen – viele machen das bereits".

Sie könnten sich zum Beispiel "überlegen, wo sie beruflich zurücktreten können, damit sich die Partnerin stärker beruflich engagieren kann".

Beim nächsten sexistischen Witz eines Kollegen solle man nicht mitlachen, "sondern sagen, dass es nicht lustig ist".

Möglicherweise wird aber eine solche allgemeine Moralisierung des gesellschaftlichen Lebens die Verhältnisse eher verkrampfen und den Geschlechterkampf verhärten.

Da fragt es sich auch, ob Ungleichheiten im Geschlechterverhältnis automatisch Benachteiligung bedeuten, wo doch in anderen Zusammenhängen Diversität als Tugend und Vorzug gefeiert wird. Und ob die gern gesagte These eigentlich zutrifft, dass auch Männer unter patriarchalen Strukturen leiden.

Männer werden dazu erzogen, kaum Emotionen zu zeigen, in Beziehungen weniger zu kommunizieren, ihren Körper eher als Maschine zu verstehen, weniger auf Krankheiten zu achten oder als Jugendliche oder junge Männer Risikobereitschaft zu zeigen. Das tut Männern nicht gut. Letztendlich führt das bei ihnen zu einer geringeren Lebenserwartung.

Barbara Thiessen

Ein Schlag ins Gesicht

Das zweite Beispiel ist eine jetzt veröffentlichte Stellungnahme des Vereins Pro Quote Film zum ZDF-Film "Sie sagt. Er sagt." von Matti Geschonnek (Regie) und Oliver Berben (Produktion) nach einem Drehbuch von Bestsellerautor Ferdinand von Schirach. Darin heißt es recht reißerisch:

Dieser Film ist ein Schlag ins Gesicht für alle Menschen, die von Vergewaltigung und Trauma betroffen sind, weil das wichtige Thema geschlechtsspezifischer Gewalt relativiert wird. Liebes ZDF, werden sie ihrer Verantwortung gerecht und überlegen Sie in Zukunft genau welchen Filmemacher* innen Sie welche Thematiken anvertrauen!

Und weiter:

Die Herren von Schirach und Berben scheint das Thema sexualisierte Gewalt umzutreiben. Sie werden nicht müde, ihre Sicht der Dinge kund zu tun, die sich allerdings vor allem in der Besorgnis um eine potenzielle Falschbeschuldigung und Vorverurteilung äußert.

Es ist traurig, dass ausgerechnet ein Verein, der sich für die Rechte Benachteiligter einsetzt wie Pro Quote, die Möglichkeit einer Falschbeschuldigung pauschal kleinredet. Denn auch wenn diese vergleichsweise wenig vorkommen sollte, dann trifft doch hier wie ansonsten auch die Aussage zu, dass jeder Fall ein Fall zu viel ist.

Gesinnungsethische Stimmungsmache statt Komplexität der Wirklichkeit

Denn der in Schirachs Film geschilderte Fall ist ohnehin komplex und keineswegs für etwas typisch und deswegen auch nicht leicht für Thesen oder Lobby-Positionen zu vereinnahmen.

Allein schon deswegen, weil es sich beim möglichen Opfern um eine prominente Fernsehreporterin – vage einer Anne Will nachempfunden – handelt, deren Prominenz dem Fall ganz andere öffentliche Dimensionen gibt, die von Normalzuständen stark abweichen.

Zum Zweiten gibt es im erzählten Fall keine klaren Belege für die Vergewaltigung. Alles wird noch dadurch zusätzlich erschwert, dass der Angeklagte und das angebliche Opfer in einer jahrelangen Affäre miteinander verbunden waren – was lügen, um dem anderen zu schaden, hier also noch wahrscheinlicher macht als ohnehin schon. Schließlich widersprechen sich die Zeugenaussagen.

"Sie sagt. Er sagt" ist daher ein sehr präziser Titel.

Was "Pro Quote" gegen all dies nun einzuwenden hat, ist haltloser, weil unbelegter Moralismus und gesinnungsethische Stimmungsmache, zu der der Weltfrauentag als Publikationstrigger missbraucht wird.

Es wird ein Gesinnungsfuror gegen eine Position und gegen eine bestimmte Erzählung entfesselt, die nur deswegen schon unzulässig sein soll, weil sie nicht dem statistischen Mittel entspricht.

Das Thema der Falschbeschuldigung steht im Mittelpunkt der Handlung. Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Falschbeschuldigung nur bei 3-8% liegt.

Pro Quote Film

Hinzufügen muss man, dass Falschbeschuldigung weder das "Thema" des Films ist noch am Ende des Films als Faktum präsentiert wird. Sie steht nur als Möglichkeit im Raum.

Nutzt es "den Frauen", diese Möglichkeit zu leugnen?

Feministische Korrektheit

Neben dem fehlenden Kunstverständnis dieser Filmorganisation ist hier auch ein Desinteresse an komplizierten Rechtsverhältnissen erkennbar, ja überhaupt ein Rechtsverhältnis.

Stattdessen fordert diese Film-Lobby implizit, in Zukunft Fördergelder nur noch nach feministischer Korrektheit und moralischem Wohlverhalten zu vergeben:

Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland – wenn man das Dunkelfeld mit einbezieht – nur eine von hundert Vergewaltigungen zu einer Verurteilung des Täters führt, ist es mehr als fraglich, wieso in diesen Film Rundfunkgebühren investiert wurden.

Pro Quote Film

Gegenüber solchen - hier implizit geforderten - gefährlichen Eingriffen in die Kunstfreiheit ist die Feststellung, der Film sei "sehr oberflächlich recherchiert, was sich in der komplett unrealistischen und unglaubwürdigen Handlung zeigt", geradezu rührend. Würde man solche Einwände auch gegen den "Bergdoktor" und die "Bullen von Tölz" erheben?

Dann wird es endgültig subjektiv und gefühlig: "Die thematisierten Traumafolgen stimmen nicht mit der geschilderten Tat überein und sind in der von Ina Weiße verkörperten Figur nicht spürbar. Die Dialoge sind hölzern, die Figuren eindimensional."

Mit solchen Niedlichkeiten und politischen Banalitäten erweist "Pro Quote" gerade der Sache der im Film arbeitenden Frauen, nämlich als filmpolitische Gesprächspartner und künstlerische Stimmen auf Augenhöhe ernst genommen zu werden, einen Bärendienst.

Ihr Statement wird der komplexen Sachlage des Themas und der künstlerischen Freiheit von Filmemachern nicht gerecht. Stattdessen lesen wir Belehrungen über "eine fast reine Cis-Männerriege" und Vorwürfe gegen die beteiligten Frauen:

Was hat das ZDF und Sarah Kirkegaard (MOOVIE) dazu bewogen, genau diese Cis-Männer mit diesem sensiblen Thema zu beauftragen? Ein gemischtgeschlechtliches Team in den inhaltlich relevanten Departments hätte zu einem besseren Ergebnis geführt.

Träumt weiter, Pro Quote!

Anmerkung: Die erwähnte Stellungnahme von Pro Quote wurde offiziell versandt und liegt der Redaktion vor, ist aber auf der Website noch nicht zu finden.