Kritik an "Caren Miosga" und ARD: Keine Belege für "Kanal auf Russisch" von Sahra Wagenknecht

Carmen Miosga: Kann dieses Lächeln unwahre Tatsachenbehauptungen verbreiten helfen? Bild: ARD
ÖRR-Journalistin Adler unterstellt Politikerin Draht nach Moskau. Belege hat sie nicht. Lassen Sender und Gastgeberin die Anwürfe unkommentiert stehen?
Der BR-#Faktenfuchs, einer der renommiertesten und tatsächlich distanzierten Faktenchecker in den deutschen Medien, hat sich auf die Suche nach einem angeblichen russischsprachigen Telegram-Kanal von Sahra Wagenknecht oder ihrer Partei, dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), gemacht.
Das Ergebnis: Es gibt nur einen offiziellen Telegram-Kanal von Sahra Wagenknecht, und zwar auf Deutsch. Es existieren auch russischsprachige Kanäle zu Wagenknecht. Beobachtern zufolge gibt es aber keine Belege, dass Wagenknecht oder andere Kanäle von Wagenknecht oder dem BSW betrieben werden.
Ist das also das Ende der Geschichte? Wo ist der Nachrichtenwert? Und wieso über etwas berichten, für das es keine Belege gibt? Die Antwort: Weil wohl knapp vier Millionen Menschen unlängst in der ARD anders informiert wurden. Und weil die ARD das offenbar bis heute nicht richtiggestellt hat.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmung wird hier ein externer Podcast (Podigee GmbH) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Podigee GmbH) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Wagenknecht ist auf dem Netzwerk Telegram präsent. Der offizielle deutschsprachige Kanal ist auch auf der Parteiwebsite des BSW verlinkt. Er heißt Sahras offizieller Infokanal und hat aktuell knapp über 21.500 Abonnenten. In der Kanalbeschreibung wendet sich Wagenknecht direkt und persönlich an die Nutzer. Der Kanal postet fast täglich Beiträge, in den Wochen vor der Bundestagswahl sogar mehrmals täglich.
Was kann man Sabine Adler noch glauben?
Die Behauptung der Deutschlandradio-Journalistin Sabine Adler in der Sendung Caren Miosga, dass Sahra Wagenknecht einen Telegram-Kanal auf Russisch betreibe, auf dem sie sich "eins zu eins ans russische Volk beziehungsweise an Herrn Putin" richten würde, entbehrt nach Recherchen des #Faktenfuchs jeder Grundlage.
Auch die Nachfrage bringt keine Aufklärung
Adler nennt auf die #Faktenfuchs-Nachfrage, auf welchen Telegram-Kanal sie sich in ihrer Aussage bezog, einen Kanal mit dem Titel "Сара Вагенкнехт на русском". Übersetzt heißt das "Sahra Wagenknecht auf Russisch". Der Kanal existiert seit Oktober 2022, heute hat er knapp 3.000 Abonnenten. Geteilt werden dort vorwiegend russische Übersetzungen von Wagenknechts Social-Media-Beiträgen und ihren Reden.
Experten finden keine Belege
Experten wie Richard Kuchta vom Institute for Strategic Dialogue (ISD) Germany und Julia Smirnova vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) kommen übereinstimmend zu dem Schluss, dass es sich bei dem Kanal um einen Fan-Kanal handelt, der wohl weder von Wagenknecht selbst noch von ihrer Partei betrieben wird. Indizien dafür seien die Kanalbeschreibung, das unkoordinierte und unregelmäßige Post-Verhalten sowie ein kritischer Post zur Wahlniederlage des BSW.
Keine Reaktion auf Kritik Wagenknechts
Auf die Kritik Wagenknechts an ihrer Aussage reagiert Adler bislang nicht. Eine öffentliche Klarstellung oder gar Entschuldigung für die Verbreitung dieser Falschinformation bleibt sie schuldig. Stattdessen verweist sie lediglich auf den besagten russischsprachigen Fan-Kanal, ohne ihre eigene Behauptung zu hinterfragen.
Lesen Sie auch
Ein fragwürdiges Verhalten für eine Journalistin, zumal sie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschäftigt ist. Adler nährt den Verdacht, dass es Adler eher um Stimmungsmache gegen eine politische Gegnerin als um Fakten geht.
Emotionaler Disput zwischen politischen Lagern
Wagenknecht selbst widersprach der Behauptung Adlers am Tag nach der Sendung vehement auf X (früher Twitter): "Was für ein Stuss!" schrieb sie und postete dazu den Videoausschnitt der Sendung mit Adlers Behauptung.
Unter dem Post entbrannte eine hitzige Debatte zwischen Wagenknecht-Unterstützern und -Kritikern. Einige Nutzer posteten Screenshots des russischsprachigen Fan-Kanals, andere bezweifelten, dass Wagenknecht selbst dahintersteht.
Im Leserforum geht es hoch her
Viele Kommentatoren forderten eine Richtigstellung oder gar rechtliche Schritte gegen Adler wegen Verleumdung. Hier eine Auswahl der Kommentare:
"Fakenews? Na dann drauf: Abmahnung, notfalls einstweilige Verfügung, oder?" (Carsten Brennecke)
"Ich würde diese Verleumdung anzeigen. Die Propaganda gegen das BSW ist inzwischen unerträglich geworden." (ngrywmn)
"Einfach @SabineAdlerdeu mal taggen und fragen warum sie schon wieder lügt." (Maren Müller)
"Egal was für ein Stuss gesendet wird, wenn es von den ÖR kommt hockt die Mehrzahl der Deutschen vor der Glotze und glaubt tatsächlich was da erzählt wird. Genau darum ist Deutschland jetzt am Ende, man könnte auch sagen medial enthauptet" (DarkDeutschland)
Die Vehemenz und der Duktus solcher Kommentare zeigen, welch unmittelbare Auswirkungen solche Fauxpas auf das Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben. Maren Müller ist etwa Gründerin des Vereins "Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien".
Emotionalität und Beleidigungen
Auffällig ist, dass beide Lager – Unterstützer wie Gegner Wagenknechts – mit ähnlichen Mitteln agieren. Anstatt sich sachlich mit den Argumenten der Gegenseite auseinanderzusetzen, werden Vorwürfe wie "Lüge", "Propaganda" und "Fake News" erhoben.
Es geht weniger um eine inhaltliche Debatte als vielmehr darum, den politischen Gegner zu diskreditieren, wodurch die Grenze zwischen journalistischer Aufklärung und politischer Einflussnahme verschwimmt. Ein rationaler, an Fakten orientierter Diskurs findet nicht statt. Stattdessen wird die Auseinandersetzung überwiegend emotional und mit gegenseitigen Schuldzuweisungen geführt.
Methoden der Meinungsmache
Was bei Adler als plumpe Falschbehauptung daherkommt, wird in einem Gastbeitrag von Susanne Spahn im Focus zur perfiden Verschwörungstheorie ausgebaut. Unter dem Titel "Sahra Wagenknecht geht – Kreml verliert damit wichtige Fürsprecherin" strickt die Historikerin die krude These, Wagenknecht sei "Teil der Pläne des Kremls, eine Querfront von linken und rechten Kräften in Deutschland zu fördern."
Beitrag im Fokus fragwürdig
Belege dafür bleibt Spahn weitgehend schuldig. Stattdessen arbeitet sie mit Andeutungen, Kontaktschuld und der Umdeutung legitimer Positionen zu "russischen Interessen". Wer Waffenlieferungen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland ablehnt, vertrete damit automatisch "wichtige russische Interessen", so die Logik.
Wie werden Vorwürfe eigentlich begründet?
Über weite Strecken geht es in Spahns Text allerdings gar nicht um Wagenknecht selbst, sondern um ausführlich geschilderte Aktivitäten von Rechtsextremen, mit denen Wagenknecht nichts zu tun hat. Durch die ständige Nennung ihres Namens im Kontext von Rechtsextremismus soll aber eine diffuse Nähe suggeriert werden.
Lesen Sie auch
Bundestagswahl 2025: Wenig Personal, kurze Fristen, Zweifel an Briefwahl
USAID und deutsche Medien: Wenn Desinformation viral geht
Fragmentierte Informationen: Gefährliche Vereinfachung in der Berichterstattung
Medien als Moralapostel: Wer bestimmt, wer sprechen darf?
Kreisliga-Fußball überfordert künstliche Intelligenz
Spahn bezieht sich auch auf Dokumente der Washington Post, laut denen die russische Regierung eine "Querfront für den Kreml" in Deutschland plane. Doch selbst Spahn muss einräumen: "Es ist allerdings unklar, ob dies auf Anregung Moskaus oder aus eigenem Antrieb geschieht und welche Rolle Russland bei der Umsetzung spielt." Mit anderen Worten: Für eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit von Wagenknecht mit Moskau gibt es keinerlei Beweise.
Alter Thesen, wiedergekäut und zugespitzt
Dennoch gibt die Osteuropa-Wissenschaftlerin die Thesen der US-Zeitung wieder und spitzt sie weiter zu; auch das offenbar mehr politisch motiviert.
Der emotionale Schlagabtausch zwischen den politischen Lagern trägt wenig zu einer sachlichen Debatte bei. Im Gegenteil: Er vergiftet das Diskussionsklima und macht eine rationale Auseinandersetzung unmöglich.
Besonders fragwürdig agieren dabei Akteure wie Adler und Spahn, die unter dem Deckmantel des seriösen Journalismus Desinformation begünstigen.
Ähnliche Methode wie bei Donald Trump
Die Journalistin Adler verbreitet – davon muss man nach Prüfung und angesichts ihrer Stellungnahmen zur Aussage ausgehen – eine Unwahrheit und weigert sich, diese richtigzustellen. Das ist ein wenig die Methode Trump, nur eben politisch anders gelagert und von Gebührenzahler finanziert.
Die Regionalwissenschaftlerin Spahn strickt aus einem über ein Jahr alten Medienbericht eine Verschwörungstheorie, für die sie keine Belege liefert. Beide instrumentalisieren ihre Medienplattformen, um eine missliebige Politikerin zu diskreditieren. Das hat mit verantwortungsvollem Journalismus nichts zu tun.
Telepolis jedenfalls hat bei der ARD nachgefragt:
Betreff: Presseanfrage: Offenbar unwahre Tatsachenbehauptung in der Sendung "Caren Miosga" – Richtigstellung und Verfahren
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich wende mich an Sie mit einer Presseanfrage zu einem Fall, der in der Sendung "Caren Miosga" aufgetreten ist. In einer Ausgabe der Sendung behauptete die Journalistin Sabine Adler, dass die Politikerin Sahra Wagenknecht einen russischsprachigen Telegram-Kanal betreibt.
Es gibt zwar Hinweise darauf, dass ein solcher Kanal existiert, jedoch gibt es keine Beweise dafür, dass, wie behauptet, Wagenknecht selbst dahintersteht. Auf Nachfrage von Kollegen konnte Adler die Behauptung auch nicht belegen, was auf eine offenbar unwahre Tatsachenbehauptung hindeutet.
In solchen Fällen ist es wichtig, dass die Medien ihre Informationen sorgfältig recherchieren und überprüfen. Eine offenbar unwahre Tatsachenbehauptung kann gegen journalistische Standards verstoßen und die Glaubwürdigkeit der Medien schädigen. Es ist entscheidend, dass die Beweislast bei der Person liegt, die die Behauptung aufstellt, und nicht umgekehrt.
In Anbetracht dieser Umstände wäre es wichtig, dass die ARD eine öffentliche Richtigstellung vornimmt, um die Wahrheit zu wahren und den Ruf der betroffenen Person und des Senders zu schützen. Eine solche Richtigstellung könnte durch eine Entschuldigung oder eine Korrektur in einer nachfolgenden Sendung erfolgen.
Ich bitte um eine Stellungnahme zu folgenden Fragen:
1. Verfahren zur Vermeidung unwahrer Tatsachenbehauptungen in Livesendungen: Wie gehen Sie mit der Gefahr um, dass in Livesendungen unwahre Tatsachenbehauptungen verbreitet werden? Welche Maßnahmen ergreift die ARD, um solche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden?
2. Richtigstellung und Entschuldigung: Plant die ARD, eine öffentliche Richtigstellung oder Entschuldigung vorzunehmen, um die Wahrheit zu wahren und den Ruf der betroffenen Person zu schützen, insbesondere im Hinblick auf die offenbar unwahre Tatsachenbehauptung?
3. Konsequenzen für die Journalistin Sabine Adler: Werden Sie im konkreten Fall Konsequenzen in Bezug auf die Journalistin Sabine Adler ziehen, insbesondere angesichts des Umstands, dass sie offensichtlich an der nicht belegbaren Aussage festhält? Wenn ja, welcherart sind diese Konsequenzen?
Ich danke Ihnen im Voraus für Ihre Rückmeldung und freue mich auf Ihre Stellungnahme.
Mit freundlichen Grüßen
Harald Neuber
Chefredakteur Telepolis
Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Fassung stand "Caren Miosga" ohne Anführungszeichen im Titel. Dies konnte so verstanden werden, als ob die wohl unwahren Tatsachenbehauptungen von der Moderatorin selbst stammen, da ihr Name gleichzeitig der Titel ihrer Sendung ist. Wir haben den Namen in Anführungszeichen gesetzt, damit dieser Eindruck ausgeräumt wird. Zudem haben wir den Nachnamen von Sabine Adler – also der eingeladenen Journalistin, von der die mutmaßlich unwahre Tatsachenbehauptung geäußert wurde – in die Unterüberschrift eingefügt.